Die beiden UN-Chefinspekteure wollen die von US-Außenminister Colin Powell vorgelegten Informationen über angebliche Verstöße Iraks gegen die Resolutionen der Vereinten Nationen prüfen. Das erklärten Hans Blix und Mohamed ElBaradei am Mittwoch nach der Rede Powells vor dem Weltsicherheitsrat in New York den Mitgliedern des Gremiums bei einem Essen.
Blix, der Leiter der UN-Abrüstungskommission (UNMOVIC) sagte der Nachrichtenagentur AP: "Ich denke, der Bericht ist sehr interessant, und ich denke, dass alle Fakten auf den Tisch gehören." Der Bericht dürfte bei den Gesprächen der Chefinspekteure am Wochenende in Bagdad eine wichtige Rolle spielen. Mit Blick auf diese Gespräche sagte Powell in einem Interview des US-Fernsehsenders CBS, er werde die Reise sehr genau beobachten und er sei gespannt, ob Irak seine Haltung geändert habe.
Powell warf Irak in seiner Rede vor dem Sicherheitsrat drastische Verstöße gegen die Resolutionen der Vereinten Nationen vor und drohte mit ernsten Konsequenzen. Er legte Tonband- und Satellitenaufnahmen vor, die nach seinen Worten belegen, dass Irak geheime Waffenprogramme unterhält. "Hier wird getäuscht, hier wird versteckt und verborgen", sagte Powell. Er warf der irakischen Führung auch direkte Kontakte zum Terrornetzwerk El Kaida von Osama bin Laden vor.
Irak muss Vorwürfe entkräften
Bundesaußenminister Joschka Fischer, der die Sitzung leitete, sprach sich in seiner Rede für eine weitere Verschärfung der UN-Waffenkontrollen in Irak aus. Er betonte, ein Erfolg der Reise von UN-Chefwaffeninspekteur Hans Blix am Wochenende in den Irak sei von allergrößter Bedeutung. Ein Erfolg hänge "essenziell von der vollen Zusammenarbeit Bagdads ab". Der Irak müsse die Vorwürfe vollständig entkräften. Der französische Außenminister Dominique de Villepin schlug eine Verdreifachung der Zahl der UN-Kontrolleure vor. Russlands Außenminister Igor Iwanow sieht keinen Anlass von der Abrüstung des Iraks mit friedlichen Mitteln abzurücken. Die "sehr ernsten" Vorwürfe gegen Bagdad würden von russischen Experten gründlich geprüft. Auch China sprach sich für eine Fortsetzung der Waffenkontrollen aus. Vor einem Militärschlag müsse alles versucht werden, die Krise politisch zu lösen, sagte Außenminister Tang Jiaxuan.
Großbritannien warf dem Irak schwerwiegende Verstöße gegen die UN- Resolution zur Abrüstung vor. Außenminister Jack Straw sagte, der irakische Präsident Saddam Hussein lüge, wenn er behaupte, sein Land verfüge über keine Massenvernichtungswaffen. Verbessere der Irak seine Kooperation nicht, müssten die Vereinten Nationen "ihrer Verantwortung nachkommen". Die Zeit werde nun sehr knapp. Spanien sieht im US-Material einen klaren Beweis für einen Verstoß Bagdads gegen die Resolution. Pakistan warnte vor einem neuen Irak-Krieg. Zuvor hatte Mexiko für weitere Inspektionen plädiert, während Bulgarien sich auf die Seite der USA stellte. Kamerun - auch eines der zehn nichtständigen Mitglieder des Gremiums - plädierte für weitere Waffeninspektionen. Auch Angola, Kamerun, Guinea sind für Inspektionen.
UN-Generalsekretär Kofi Annan betonte, Powell habe die Gefahr, die der Irak seiner Meinung nach für die Welt darstellt, sehr deutlich gemacht. Er sei gründlich gewesen und habe sich Zeit genommen, bestätigte Annan dem US-Außenminister am Mittwochabend. Er sei überzeugt, dass ein Krieg weiter vermeidbar sei. "Aber das hängt vor allem von Saddam Hussein und der irakischen Führung ab". Die Chefinspekteure Hans Blix und Mohammed el Baradei würden dies in Bagdad vortragen, und er rate dem Irak, genau zuzuhören, sagte Annan.
EU fordert Irak zur Abrüstung auf
Der Irak wies alle Vorwürfe Powells zurück. Der Berater Saddam Husseins, Amir el Saadi, sagte am späten Mittwochabend in Bagdad, vielen Behauptungen Powells liege allerdings "die bewusste Absicht zu Grunde, die Glaubwürdigkeit und die Professionalität der Waffeninspekteure im Irak zu unterminieren".
Zu den angeblichen Telefonmitschnitten von irakischen Offizieren, die das Verbergen verbotener Materialien vor den Inspekteuren beweisen sollen, erklärte El Saadi: "Jede drittklassige Geheimdiensteinrichtung hätte solche Aufnahmen produzieren können."
Auch die Satellitenfotos von einem Munitionsdepot, von dem chemische Kampfstoffe vor den Inspektionen abtransportiert worden sein sollen, beweisen nach El Saadis Worten nichts. El Saadi bekräftigte die Bereitschaft Bagdads, der UN-Waffenkontrollmission im Irak (UNMOVIC) Erkundungsflüge mit U-2-Flugzeugen zu genehmigen.
In Brüssel forderte die Europäische Union den Irak dringend zur Abrüstung seiner Massenvernichtungswaffen auf und warnte erstmals vor einem Ablaufen der Zeit. Der NATO-Rat will an diesem Donnerstag über Möglichkeiten zur Unterstützung der USA im Fall eines Irakkriegs beraten. Zehn Staaten aus Ost- und Südosteuropa erklärten sich mit den USA solidarisch und versprachen ihren Beitrag zu einer internationalen Koalition zur Entwaffnung Bagdads.
Powell forderte in der Sitzung die Außenminister und Botschafter der anderen 14 Mitgliedstaaten des Sicherheitsrats auf, der Gefahr zu begegnen, die vom Irak "für alle von uns ausgeht". Das Regime habe UN-Resolutionen erheblich verletzt. Bagdad verfolge nach wie vor eine Strategie des Betrugs und der Täuschung. Powell warf dem Irak vor, chemische und biologische Waffen und Raketen zu verbergen. Zudem gebe es bisher keinerlei Beweise dafür, dass der Irak atomare oder andere Waffen vernichtet sowie Programme zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen endgültig eingestellt habe. Der Irak verfüge über 100 bis 500 Tonnen Giftstoffe für den Einsatz in Chemiewaffen und könne sie wieder zur Kriegsführung nutzen, sagte Powell.
Neben Frankreich sprachen sich auch die beiden Veto-Mächte Russland und China für eine Fortsetzung der UN-Inspektionen in Irak aus und betonten, sie müssten die neuen, von Powell erhobenen Vorwürfe zunächst genau prüfen. Der britischer Außenminister Jack Straw sagte, Powell habe eine überzeugende Präsentation vorgelegt.
Der irakische UN-Botschafter Mohammed el Duri wies als letzter Redner der Debatte die Anschuldigungen Powells als "ohne Bezug zur Wahrheit" zurück, neue Informationen habe der US-Außenminister nicht vorgelegt. Die irakische Führung kritisierte Powells Rede in einer ersten Reaktion als "typisch amerikanische Show komplett mit Stunts und Spezialeffekten". Präsidentenberater Amir el Saadi wies die von Powell erhobenen Vorwürfe als lächerlich zurück. Die Anschuldigungen sollten nur dazu dienen, eine im Großen und Ganzen uninformierte Öffentlichkeit zu beeinflussen, um damit den Weg für eine "Aggression gegen Irak" freizumachen, sagte er.
Die Außenminister zehn osteuropäischer Staaten stellten sich in einer am Abend in New York veröffentlichten Erklärung voll hinter die USA. In der Erklärung hieß es, Powell habe "zwingende Beweise" für die Existenz irakischer Waffenprogramme vorgelegt. Zugleich boten sie den USA bei der Entwaffnung Iraks ihre Unterstützung an. Unterzeichnet wurde das Papier von den Außenministern Albaniens, Bulgariens, Kroatiens, Mazedoniens, Rumäniens, der Slowakei, Sloweniens, Estlands, Lettlands und Litauens.