Iranische Nobelpreisträgerin Ebadi "Demokratie ist wichtiger als die Bombe"

Todesdrohungen zum Trotz - die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi kämpft unbeirrt für Oppositionelle und politische Gefangene in ihrem Land. Nun bekam sie den "Roland Berger Preis für Menschenwürde" verliehen. stern.de sprach mit ihr über die Atombombe und Menschenrechte.

Frau Ebadi, waren Sie eigentlich erleichtert, dass Barack Obama zum US-Präsidenten gewählt wurde?

Ja. Ich war sehr froh, hatte ein gutes Gefühl. Ich erinnerte mich an Martin Luther King, seine Bürgerrechtsbewegung.

Erhoffen Sie sich eine Annäherung zwischen Iran und den USA, zweier Länder, die seit 30 Jahren keine diplomatischen Beziehungen mehr haben?

Ja, immerhin leben zwei Millionen Iraner in den USA. Die Iraner sind sehr interessiert an guten Beziehungen zu den USA. Die Menschen in meinem Land wollen den Dialog. Sie wollen Probleme friedlich lösen.

Gilt das auch für die iranische Führung?

Das kann ich nur hoffen.

Das hört sich aber nicht so an. Obama bietet einen Dialog an. Doch Irans Präsident Ahmadinedschad hetzt weiter gegen Israel.

Ach, wissen Sie, als Bill Clinton noch Präsident war, da entschuldigte sich seine damalige Außenministerin Madeleine Albright sogar für den Staatsstreich 1952 ...

... damals wurde mit massiver Unterstützung der CIA der Schah an die Macht geputscht ...

... daran sehen Sie: Die Amerikaner haben alles Mögliche gesagt, aber sie haben ihren Worten nicht immer Taten folgen lassen. Ich hoffe sehr, dass dies mit Obama anders wird.

Offenbar sind die USA bereit, über das iranische Atomprogramm zu verhandeln - und zwar ohne die bislang geltende Vorbedingung, nämlich die Urananreicherung zu stoppen.

Ich wünsche mir sehr, dass sich Iraner und Amerikaner endlich an einen Tisch setzen. Aber die Sanktionen gegen Iran sind um ein weiteres Jahr verlängert worden. Und die verursachen nur Leid für die betroffenen Menschen.

Zur Person

Die Juristin Shirin Ebadi, 61, verteidigt vor allem politische Gefangene und Oppositionelle. Vor fünf Jahren bekam sie als erste Muslimin den Friedensnobelpreis. Nun erhielt Ebadi gemeinsam mit der Organisation Reporter ohne Grenzen den mit insgesamt einer Million Euro dotierten "Roland Berger Preis für Menschenwürde". Bundespräsident Horst Köhler hielt die Laudatio.

Sanktionen wurden beschlossen - auch von Deutschland - weil man fürchtet, dass Iran an der Atombombe arbeitet.

Ich glaube nicht, dass die Welt so große Angst vor einer iranischen Atombombe hat. Immerhin gibt es doch viele Atommächte - etwa Indien, und da funktioniert die Zusammenarbeit mit den USA prächtig.

Die Welt hat Angst vor einem unberechenbaren, undemokratischen Iran mit Männern wie Ahmadinedschad an der Macht.

Ja. Die Frage der Demokratie in meinem Land ist wichtiger als die Atombombe. Wenn man über Iran spricht, vergisst man die Menschenrechte. Damit sollte sich die Weltgemeinschaft viel mehr beschäftigen, nicht nur mit der Bombe.

Auch Deutschland?

Ja. Auch hier, in Europa, werden viele Worte gemacht. Doch ihnen folgen keine Taten. Iran hält einen traurigen Rekord: Im Moment verzeichnen wir die weltweit höchste Zahl an Hinrichtungen. Allein in den vergangenen drei Monaten wurden 42 Menschen hingerichtet. Bei uns werden auch Jugendliche hingerichtet. Hören wir da etwa Proteste europäischer Staaten, der Weltgemeinschaft? Ich jedenfalls höre sie nicht.

Sie fordern ein klares Wort der Kanzlerin, des deutschen Außenministers?

Ja. Von deutschen ebenso wie von europäischen Politikern. Man darf doch nicht gleichgültig hinnehmen, wenn man etwa erfährt, dass in Iran Minderjährige hingerichtet werden. Ebenso wichtig erscheint mir: Wer über die Menschenrechte spricht, der sollte auch mit Vertretern der Menschenrechtsorganisationen sprechen. Wenn also der deutsche Außenminister nach Iran reist, dann sollte er sich nicht nur mit der politischen Führung treffen, sondern auch mit Vertretern der iranischen Zivilgesellschaft.

Und wenn das nicht passiert?

Dann kann ich nur hoffen, dass der deutsche Außenminister wenigstens meine Interviews zur Kenntnis nimmt.

Was wissen Sie über das Schicksal von Roxana Saberi, der 31-jährigen amerikanisch-iranischen Journalistin, die wegen angeblicher "Spionage" gerade zu acht Jahren Haft verurteilt wurde und jetzt im berüchtigten Evin-Gefängnis sitzt?

Ich wurde gebeten, ihre Verteidigung für die nächste Instanz zu übernehmen. Das tue ich gerne. Dieser Prozess war in keinster Weise fair oder gerecht. Das Urteil ist ungesetzlich. Der iranische Staat hat die Konvention der Menschenrechte unterzeichnet. Doch er hält sie nicht ein. Der iranische Staat verhält sich illegal.

Der Fall Roxana Saberi erinnert an die kanadisch-iranische Fotografin Zahra Kazemi, die vor fünf Jahren im Evin-Gefängnis starb. Es kam heraus, dass sie vergewaltigt wurde, schwer gefoltert, sie hatte schwere Schädelverletzungen.

Ja. Ich bin die Anwältin ihrer Familie. Immer noch sind viele Details in diesem Fall ungeklärt. Doch ich weiß mit Sicherheit: Zahra Kazemi wurde im Evin-Gefängnis ermordet. Das meine ich, wenn ich von Menschenrechtsverletzungen im Iran spreche. Denken Sie etwa an Omid Mirsayafi, ein junger Mann, er war 27 Jahre alt. Er hatte einen Blog im Internet. Und darin schrieb er einen offenen Brief an den Revolutionsführer ...

... der obersten Instanz in Iran, Ajatollah Khamenei ...

In diesem Brief bedankte er sich für die Unterstützung junger Palästinenser durch Iran. Und dann schrieb er, dass er ein junger Iraner sei, der keine Arbeit habe. Er bat um Hilfe: Behandeln Sie mich doch so, als ob ich ein junger Palästinenser wäre, schrieb er. Omid Mirsayafi wurde ins Evin-Gefängnis geworfen und wegen angeblicher Beleidigung des Revolutionsführers zu drei Jahren Haft verurteilt. Wir haben ihn verteidigt. Eine Woche nach seiner Einlieferung ins Gefängnis starb er auf mysteriöse Weise. Das war vor einem Monat. Er war jung und gesund. Seine Familie ist überzeugt, dass er ermordet wurde. Jetzt haben sie gegen den Leiter des Gefängnisses Anzeige erstattet.

Und sie selbst? Ihr Name stand auf einer Todesliste, immer wieder erhalten Sie Morddrohungen.

Im Dezember wurde das Büro unserer Menschenrechtsgruppe geschlossen, die Polizei durchsuchte mein Büro, konfiszierte Computer. Im Januar kamen junge Männer, sie umstellten mein Haus, rissen mein Türschild ab. Ich rief die Polizei. Jede Demonstration muss ja genehmigt werden. Ja, es kamen einige Offiziere. Sie haben an einer Ecke gewartet und sich alles angeschaut. Die gleichgeschaltete Presse und das Radio hetzen gegen mich.

Mehrere Zeitungen hatten verbreitet, dass Ihre Tochter angeblich zum verbotenen Bahai-Glauben übergetreten sei und dass Sie "CIA Agenten" verteidigen würden. Auf die Abkehr vom Islam steht im Iran die Todesstrafe. Sie hatten die Verteidigung von sieben Angehörigen dieser Religionsgemeinschaft übernommen.

Was soll ich sagen? Es ist nicht einfach. Aber ich werde nicht aufhören. Im Gegenteil. Ich freue mich, Ihnen mitzuteilen, dass wir jetzt eine neue Kampagne starten: gegen die Hinrichtungen Jugendlicher. In Iran werden Mädchen ja strafmündig, wenn sie neun Jahre alt sind, Jungen mit 15 Jahren. Das heißt, wenn ein zehnjähriges Mädchen in einem Geschäft ein paar Bonbons stiehlt, wird es betraft wie ein Erwachsener. Und wenn ein Jugendlicher in einen Todesfall, einen Mord verwickelt ist, dann wird er unter Umständen hingerichtet. Unsere Kampagne soll eine Gesetzesänderung erreichen. Denn dieses Gesetz gibt es erst seit der Revolution 1979. Genaue Zahlen kenne ich nicht, die Regierung hält sie geheim. Ich weiß aber, dass im Moment rund 100 junge Menschen in den Gefängnissen sitzen, die als Jugendliche zum Tode verurteilt wurden. Die Vollstreckung dieser Urteile müssen wir unbedingt verhindern.

Interview: Katja Gloger