Am Tag, nachdem in Amsterdam der Prozess um den Abschuss des Passagierflugs MH 17 über der Ukraine vor sieben Jahren eröffnet worden ist, rückt Russland erneut in den Fokus der Ereignisse. Laut Erkenntnissen des niederländischen Geheimdienstes AIVD waren Hacker des russischen Auslandsnachrichtendienstes SWR tief in die Systeme der niederländischen Polizei eingedrungen – just zu der Zeit, als 2017 internationale Ermittlungen zum Abschuss der Malaysia-Airlines-Maschine in Angriff genommen worden waren. Das berichtet die Tageszeitung "De Volkskrant" an diesem Dienstag.
Wie groß der Schaden ist, den die Hacker anrichten konnten, sei nicht bekannt, heißt es dort. Russland hat stets jede Beteiligung an der Katastrophe mit fast 300, größtenteils niederländischen Todesopfern bestritten, und sich gleichzeitig wiederholt beschwert, von den internationalen Ermittlungen ausgeschlossen zu werden.
Mit Beginn des politisch brisanten Prozesses, der unter großen Sicherheitsvorkehrungen am Amsterdamer Flughafen stattfindet, erneuerte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag die Kritik. Wie sich nun herausstellt, war Russland mutmaßlich zumindest aber über Stand und Inhalt der Ermittlungen im Bilde. Laut dem Bericht der "Volkskrant" wurde der Hack von der Polizei nicht erkannt, kam aber aufgrund der Geheimdienst-Erkenntnisse ans Licht. Die Zeitung gibt an, dass sich ihre Informationen auf eine Untersuchung stützen, für die Gespräche mit den direkt Beteiligten geführt wurden. Der Hack war bisher öffentlich nicht bekannt; die Polizei lehnt den Angaben zufolge jede eigene Stellungnahme ab.
MH-17-Ermittlungen: Infizierte IP-Adresse bei Polizei
Konkret soll der AIVD Informationen erhalten haben, wonach die russischen Hacker über eine bestimmte IP-Adresse bei der niederländischen Polizeiakademie in das Polizeinetzwerk eingedrungen seien. Über solche Adressen können einzelne Geräte in Computernetzen gezielt angesprochen und erreicht werden. Mehrere anonyme Quellen hätten bestätigt, dass Spuren der Angreifer an verschiedenen Stellen im Polizeinetz entdeckt wurden. Festgestellt wurde das Sicherheitsleck im September 2017. Zwei Monate zuvor hatten sich die Anklagebehörden der betroffenen Nationen (Niederlande, Ukraine, Belgien, Australien und Malaysia) im Joint Investigation Team (JIT) zusammengeschlossen. Das Ziel: Verdächtigte sollten sich in den Niederlanden verantworten. Drei Russen und ein Ukrainer, die nun angeklagt sind, für den MH-17-Abschuss maßgeblich verantwortlich zu sein, erschienen am Montag allerdings nicht vor Gericht; nur einer ließ sich durch einen Anwalt vertreten. Es wird davon ausgegangen, dass sie sich in Russland aufhalten und dass eine Auslieferung im höchsten Maß unwahrscheinlich ist.
Die Entdeckung des Hackerangriffs soll bei der niederländischen Polizei angesichts der brisanten Ermittlungen "große Panik" ausgelöst haben. Aufgrund mangelnder Sicherheitsvorkehrungen sei die russische Infiltration nicht bemerkt worden; wegen fehlerhafter Log-Dateien sei es laut mit den Vorgängen vertrauten Personen "praktisch unmöglich" festzustellen, worauf die Hacker zugegriffen hätten. Das Polizeinetz sei so groß, "dass sie an verschiedenen Stellen drin sein könnten", heißt es weiter. Experten hätten nicht gewusst, wo sie suchen sollten, es sei nur klar gewesen: "Die Russen sind drin." Auf Drängen des Geheimdienstes seien die wichtigsten Ermittlungsergebnisse umgehend gesichert und geschützt worden. Zudem sei eine Verbesserung des Sicherheitssystems des Polizeinetzwerks in Angriff genommen worden. Manche dieser Projekte seien noch nicht abgeschlossen.
Niederländische Behörden erlebten vielfache Angriffe
Laut dem Bericht hatten die niederländischen Behörden zu jener Zeit immer wieder russische Attacken registriert. So hätten Mitarbeiter von Polizei und Staatsanwaltschaft Phishing-E-Mails erhalten. Dabei handelt es sich in erster Linie um unverdächtig aussehende Nachrichten, die den Empfänger auf präparierte Webseiten lenken sollen, um so unbemerkt geheime Zugangsdaten preiszugeben. Zudem soll in der Nähe der ermittelnden Staatsanwaltschaft Rotterdam ein mit Spionagetechnik gespicktes Fahrzeug entdeckt worden sein. Auch Desinformation über Soziale Medien und die Einflussnahme auf an den Ermittlungen beteiligten Länder sollen zum Arsenal Russlands gehört haben, eindeutige Erkenntnisse über die Ursache des Abschusses zu verschleiern.
Diese soll nun trotzdem im Amsterdamer Prozess geklärt werden. Drei Fragen sollen in dem bis Ende des Jahres terminierten Verfahren beantwortet werden: Wurde Flug MH 17 tatsächlich durch eine russische Flugabwehr-Rakete abgeschossen? Die Staatsanwaltschaft will dafür eine Fülle an Beweisen vorlegen – inklusive Zeugenaussagen und Videoaufnahmen, die den Transport der Rakete aus Russland belegen sollen. Unter anderem waren im Leichnam des Piloten kleine Teile einer solchen Rakete gefunden worden. Zweitens: Von welcher Stelle wurde die Rakete abgefeuert? Die Anklage verweist auf ein Feld im Osten der Ukraine. Die Verteidigung zweifelt das an. Drittens: Haben die vier Angeklagten eine Rolle bei dem Abschuss gespielt? Die Staatsanwaltschaft geht nicht davon aus, dass sie selbst auf den Knopf gedrückt haben. Allerdings ist sie der Auffassung, dass sie den Auftrag erteilten.
Zweifelsfrei: Luftabwehrrakete ließ MH 17 abstürzen
Was zweifelsfrei bekannt ist: Der Linien-Flug der Malaysia Airlines mit der Nummer MH 17 war am 17. Juli 2014 unterwegs von Amsterdam nach Kuala Lumpur. Zwischen 16.20 Uhr und 16.25 Uhr Ortszeit stürzte die Boeing 777-200ER über der Stadt Tores in der Ostukraine ab. Alle 298 Insassen, darunter 80 Kinder und 15 Besatzungsmitglieder kamen dabei ums Leben. Untersuchungen ergaben zweifelsfrei, dass der Passagierflug durch eine aus Russland stammende Flugabwehrrakete vom Typ Buk M1 abgeschossen worden war. Die Katastrophe ereignete sich zur Zeit der Kampfhandlungen in der Ostukraine. Nach Anzahl der Opfer gehört der Abschuss zu den zehn schwersten Luftfahrt-Katastrophen. Die Suche nach den Verantwortlichen dauert an.
Quellen: "De Volkskrant" (Bezahl-Inhalt), "De Telegraaf" (Bezahl-Inhalt), "Allgemeen Dagblad", Nachrichtenagentur DPA