Michael Dukakis "Kerry packt's noch"

Der Endspurt im US-Wahlkampf wird Präsident Bush den sicher geglaubten Sieg kosten, sagt Michael Dukakis, der 1988 Bush senior unterlag. "John hat aus meinen Fehlern gelernt."

Herr Dukakis, John Kerry hat vergangene Woche die erste Fernsehdebatte gegen Präsident Bush gewonnen. Er wirkte endlich klar, entschlossen und präzise. Kommt der Wandel nicht ein bisschen spät?

Nein. Timing und Strategie ist alles in diesem Geschäft. Die Fernsehdebatten sind ein extrem wichtiger Faktor bei den Wahlen. Und ich habe immer gesagt, dass John bei weitem der beste Kämpfer ist. Und er wird besser, wenn es auf den Schlussspurt zugeht.

Präsident Bush war bisweilen fahrig und seltsam defensiv. Fühlte er sich bereits zu sicher?

Ich weiß es nicht. Aber ich kann nur warnen - unterschätzen Sie den Präsidenten nicht. Bush ist kein Dummkopf. Er ist smart, er hat gute politische Instinkte, er ist ein guter Wahlkämpfer.

Nach jüngsten Umfragen ist das Rennen wieder offen. Dabei lag John Kerry schon fast aussichtslos zurück. Kann eine Debatte allein einen derartigen Stimmungswandel auslösen?

Die Fernsehdebatten sind sehr, sehr wichtig, gar keine Frage. Aber dazu kommt die politische Konstellation: Die Situation im Irak wird von Tag zu Tag schlechter. Die Wirtschaft springt nicht an. Wir leben nicht gerade in guten Zeiten. Bush ist in großen Schwierigkeiten. Und je näher die Wahl rückt, desto mehr merken die Leute das auch.

Was sollen sie merken?

Zum Beispiel, dass wir einen Präsidenten haben, der die verantwortungsloseste Finanzpolitik in der Geschichte dieses Landes betreibt. Mir wurde immer gesagt, dass gerade die Konservativen besser mit Geld umgehen können. Dass sie Defizite hassen, dass sie ihre Rechnungen bezahlen. Und? Dieser Kerl häuft einen der höchsten Schuldenberge der Geschichte auf. Und dann natürlich das Chaos Irak. Mit jedem Toten wachsen die Zweifel an diesem Krieg. John Kerry weist zu Recht immer wieder darauf hin: Diese Regierung hatte keine Unterstützung, keine Alliierten, keinen Plan, den Frieden zu gewinnen.

Kerrys Meinung zu diesem Krieg war und ist aber auch alles andere als eindeutig...

Moment. John Kerry hat wie viele Amerikaner dem Präsidenten geglaubt und ihm bei der Kriegsresolution die Stimme gegeben, damit Bush den nötigen Rückhalt hat, um die internationale Gemeinschaft hinter sich zu versammeln. Nur, der Präsident hat sich nicht daran gehalten.

Das Bush-Team lässt keine Gelegenheit aus, Kerry als Flip-Flopper, als Mann ohne Überzeugungen und Standpunkt darzustellen. Gegen den Krieg, für den Krieg, zuletzt wieder dagegen...

Lassen Sie uns bitte eines festhalten: Der größte Flip-Flopper in der amerikanischen Politik ist George W. Bush. Er ist der Olympiasieger in dieser Disziplin. Erst ist er dafür, dass Sturmgewehre nicht mehr verkauft werden sollen. Dann ist er wieder dagegen. Erst ist er für eine umfassende Reform des Geheimdienstes, dann ist er wieder dagegen. "Wir werden den Krieg gegen den Terrorismus gewinnen", sagt er. Und dann: "Du kannst den Krieg nicht gewinnen." Was ist denn das für eine Botschaft?

Trotzdem betrachten viele Amerikaner Bush als führungsstark und Kerry als hedonistischen Windsurfer. Die permanenten Attacken haben gewirkt. Die Republikaner sind offenbar besser im Austeilen, oder sollen wir sagen: in Schmutzkampagnen?

Tja, für die ist das Routine. Wir Demokraten hatten immer die Einstellung: Bei einem Präsidentschaftswahlkampf geht es nicht um so einen Firlefanz, sondern um die Zukunft der Welt. Die Lehre aus meiner Niederlage 1988 gegen den alten Bush aber war: Du musst die Angriffe vorausahnen. Sonst hast du keine Chance.

Was haben Sie damals falsch gemacht?

Ich hatte entschieden, nicht auf die persönlichen Attacken zu reagieren. Das war dumm, ein schrecklicher Fehler. Ich lag damals 17 Punkte vor dem alten Bush und habe trotzdem verloren.

Also darf man Sie persönlich dafür verantwortlich machen, dass George Herbert Bush 1988 gewählt wurde?

Ja, und ich gehe sogar noch weiter: Wenn ich den alten Bush geschlagen hätte, hätten wir nie etwas von seinem Sohn gehört. Kerry wiederholt meinen Fehler nicht. Und Bill Clinton hat das auch nicht getan. Er richtete das so genannte "rapid response team" ein, eine Art Verteidigungsministerium gegen die Hetze der Republikaner. Das war sehr weise. Denn die Republikaner können gnadenlos sein. Sie machen ja sogar ihre eigenen Leute fertig.

Sie spielen auf John McCain an, der vor vier Jahren bei den republikanischen Vorwahlen gegen George W. Bush antrat?

Ja, John McCain. Und natürlich auch Senator Max Cleland. Der eine Republikaner, der andere Demokrat. Beide sind Kriegshelden. Cleland kam mit nur noch einem Arm aus dem Vietnam-Krieg zurück. Und die Republikaner nennen ihn "unpatriotisch". Die haben die beiden regelrecht zerstört. In wenigen Wochen.

Der ganze Wahlkampf erscheint uns ohnehin merkwürdig rückwärts gewandt. Es wurde zumindest bis vor kurzem mehr über Vietnam gesprochen als über den Irak...

Auch das ist das Ergebnis der republikanischen Kampagne. Die Bush-Leute haben versucht, John Kerrys Dienst am Vaterland in den Dreck zu ziehen.

Erwarten Sie noch mehr Attacken?

Das kann schon sein. John wird darauf vorbereitet sein. Ich war es nicht.

Ihnen wurde seinerzeit sogar unterstellt, unter psychischen Problemen zu leiden.

Das haben die Berater von Bush senior tatsächlich versucht. Sie streuten Gerüchte über meinen psychischen Zustand. Ich hatte nie seelische oder körperliche Probleme, das war alles frei erfunden. Und dann hat ein Senator aus Idaho meine Frau noch beschuldigt, bei einer Antikriegsdemonstration die amerikanische Flagge verbrannt zu haben. Sie war aber nie bei einer Antikriegsdemo.

Wie haben Sie auf diese Lügen reagiert?

Zehn Tage hat mein Team versucht, das Ganze zu stoppen. Und ich habe nichts anderes gemacht, als Menschen davon zu überzeugen, dass ich mental stabil war. Ich verlor acht Prozent in einer einzigen Woche. Und dann kommt der damalige Präsident Reagan und bezeichnet mich vor laufenden Kameras als "Invalide". Als er das sagte, war das Spiel gelaufen. Die Journalisten wollten sogar meine Krankenakten einsehen.

Lee Atwater, der Mann hinter den Attacken und Mentor des alten Bush, entschuldigte sich später bei Ihnen.

Ja, kurz bevor er starb. Da saß Bush senior aber schon im Oval Office.

In Atwaters Abteilung Attacke arbeiteten damals Karl Rove, heute Chef-Stratege im Weißen Haus, und George W. Bush...

Ich weiß, wen wundert's.

Und den beiden ist es schon wieder gelungen, den Wahlkampf von der inhaltlichen auf eine persönliche Ebene zu hieven.

Ja, aber das ist nicht neu. Die Persönlichkeit eines Kandidaten spielte immer eine große Rolle. Roosevelt hat sich entschlossen gezeigt in Zeiten der Krise. Und warum haben wir Eisenhower gewählt? Er stand für Stabilität.Und Kennedy? Er war jung, aufregend.

Und wofür steht Kerry?

Die jetzige Regierung ist die schlimmste, die ich je erlebt habe. Bush betreibt eine radikale, desaströse Außenpolitik, zu Hause gibt es Steuererleichterungen für die Superreichen, 45 Millionen Amerikaner leben ohne Krankenversicherung. Erst einmal müssen wir diesen Kerl loswerden.

Sie haben die Frage nicht beantwortet: Was spricht für Kerry?

Also, er ist stark, er ist intelligent, er kennt sich gut aus in außenpolitischen Fragen. Und also bitte, vergleichen Sie ihn doch nur mit dem Präsidenten: Als Bush gewählt wurde, hatte er keine Ahnung vom Ausland und umgab sich mit "rechten Spinnern". Das sind nicht meine Worte. Das hat Brent Scowcroft gesagt. Und der war der Nationale Sicherheitsberater des alten Bush. Der Mann hat Recht. Sie sind rechte Spinner. Dieser apokalyptische Blick auf die Welt und den Nahen Osten. Wenn die Theorie richtig ist, dass wir den Nahen Osten in eine Demokratie verwandeln müssen, warum fängst du dann im Irak an? Und wenn du das schon machst, dann im Verbund mit deinen Alliierten. Wir brauchen euch.

Dafür ist es zu spät. Die Welt kehrt Amerika den Rücken zu. Das Ansehen Ihres Landes hat während der Bush-Präsidentschaft den Tiefpunkt erreicht.

Ja, leider. Ich kann das auch nachvollziehen. Denn wie kann man den internationalen Terrorismus bekämpfen, wenn man nicht eng mit der internationalen Gemeinschaft zusammenarbeitet? Und insbesondere mit solchen Ländern, die mit Terrorismus ihre Erfahrungen gemacht haben - wie Deutschland beispielsweise. Das hat die Bush-Regierung komplett ignoriert.

Solche Töne dringen aber kaum ins Bewusstsein der US-Bevölkerung. Wie ist es möglich, dass fast die Hälfte immer noch glaubt, Saddam Hussein stecke hinter den Anschlägen des 11. September?

Das haben die mit voller Absicht in diese Richtung gedreht. Die Menschen sind getäuscht worden. Dick Cheney behauptet das ja immer noch.

Präsident Bush sagt unentwegt, zuletzt auch in der Fernsehdebatte, Amerika und die Welt...

...seien sicherer ohne Saddam. Ich weiß, ich weiß. Noch so ein Unfug. Die Welt soll sicherer sein? Erzählen Sie das mal den Leuten in Madrid. Und erzählen Sie das bitte den Menschen im Irak. Sicherer? Das ist absurd.

Herr Dukakis, wer wird die Wahlen gewinnen?

John Kerry. Aber es ist noch ein harter Weg.

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Michael Streck und Jan Christoph Wiechmann