Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat am Freitag überraschend die Bundeswehrsoldaten in Afghanistan besucht und anschließend ein positives Fazit gezogen. Er habe in Kundus hochmotivierte Soldaten vorgefunden, die sehr dankbar gewesen seien, dass er seine Fehleinschätzung des verheerenden Luftangriffs korrigiert habe, sagte der CSU-Politiker am Abend nach seiner Rückkehr in Berlin.
Während seines Besuchs wurde eine deutsche Patrouille nahe Kundus mit Handfeuerwaffen und Panzerabwehrwaffen beschossen. Als die Soldaten nach Angaben der Bundeswehr das Feuer erwiderten, ergriffen die Angreifer die Flucht. Deutsche Soldaten seien nicht verwundet worden.
Guttenberg warnte davor, die politischen Debatten über den Luftangriff auf dem Rücken der Soldaten auszutragen und diese zu diskreditieren. Dies dürfe "um Himmels Willen" nicht geschehen. Die Soldaten hätten auch begrüßt, dass er den umstrittenen deutschen Oberst Georg Klein, der den Luftangriff befohlen hatte, nicht fallengelassen habe, fügte der Minister hinzu. Es sei nun Sache des Untersuchungsausschusses, die Dinge aufzuklären.
Rückendeckung für Oberst Klein
Guttenberg stattete dem Bundeswehrcamp in Kundus in Nordafghanistan einen Blitzbesuch ab. Er betonte, es bestehe ein "berechtigter Aufklärungsbedarf des Deutschen Bundestags". Klar sei, dass es bei dem Bombardement aus heutiger Sicht Verfahrensfehler gegeben habe. Der Minister wurde auf seiner überraschend anberaumten zweiten Reise nach Afghanistan von Verteidigungspolitikern der Bundestagsfraktionen begleitet. Er stellte sich erneut vor Oberst Klein. Dieser hatte die Bombardements der zwei von Taliban gekaperten Tanklaster am 4. September angeordnet, bei denen bis zu 142 Menschen getötet wurden, darunter viele Zivilisten.
Der Verteidigungsausschuss des Bundestags konstituiert sich am kommenden Mittwoch als Untersuchungsausschuss, um den Verlauf der Ereignisse rund um die Bombardierung aufzuklären. Der Minister mahnte in Kundus, der Untersuchungsausschuss dürfe nicht zur Diskreditierung der Soldaten führen, sondern müsse zur Optimierung der Rechtssicherheit beitragen.
"Fürchterliches Leid" für die Zivilbevölkerung
Seine ursprüngliche Bewertung vom 6. November, das Bombardement sei militärisch angemessen gewesen, nannte Guttenberg in der ARD erneut eine "Fehleinschätzung". Die anfängliche Bewertung habe auf dem Sachstand der damaligen Zeit basiert. Auch auf den Bericht des Roten Kreuzes, über den der stern in der neuen Ausgabe exklusiv berichtet und der bereits damals von zahlreichen zivilen Opfern sprach, ging Guttenberg ein: Er habe den Bericht "in dem Moment, indem ich ihn bekommen habe, auch sofort mitgeteilt". Im Wesentlichen habe er sich aber auf den Nato-Bericht zu den Vorfällen gestützt.
Der CSU-Politiker sprach von "fürchterlichem Leid", das die Zivilbevölkerung erlitten habe und das nie wieder gutzumachen sei. Zu der Frage einer Entschädigung der Angehörigen der Opfer sagte er, es sei "ganz klar, dass wir eine Lösung finden müssen". Allerdings müsse diese "der Kultur vor Ort gerecht werden". Die Menschen sollten nicht brüskiert werden, sagte Guttenberg. Der Freiherr sprach erneut von einem "Kampfeinsatz" in Afghanistan. Das müsse deutlich ausgesprochen werden.
Am Vorabend hatte Guttenberg noch in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner" gesessen. Direkt nach dem Live-Talk in Berlin bestieg er das Flugzeug in Richtung Afghanistan. Der Weg in das Bundeswehr-Feldlager bei Kundus ist für Guttenberg nicht nur im Wortsinn lang und steinig.
Die 180-Grad-Wende
Denn gerade im Amt hatte er am 6. November die Bombardierung trotz einiger Verfahrensfehler militärisch angemessen genannt. Bei den Soldaten war das gut angekommen - vom Feldwebel bis zum General. Hatte sich ihr neuer oberster Dienstherr doch trotz dieser extrem schwierigen Lage gleich quasi als "einer von ihnen" gezeigt. Und jetzt?
Schon bald tauchten kritische Berichte der Bundeswehr auf, von denen Guttenberg nach eigenen Angaben bis dahin nichts gewusst hatte. Er machte eine 180-Grad-Wende. Aus "militärisch angemessen" wurde in der vorigen Woche "militärisch nicht angemessen". Seither wartet die Opposition auf die Begründung für die Neubewertung. Ohne Medien, dafür im Beisein der Obleute der Bundestagsfraktionen, will Guttenberg nun den Soldaten von Angesicht zu Angesicht seine Gründe nennen.
"Dieser Krieg ist nicht gewinnbar"
Bei Maybrit Illner saß auch der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete und Afghanistan-Kenner Jürgen Todenhöfer. Er kritisierte scharf, dass Guttenberg den Angriff, durch den zahlreiche Menschen verbrannt seien, zunächst verteidigt hatte. "Das macht mich krank", sagte Todenhöfer erregt. Er verlangte einen "echten Friedensplan". Dazu gehörten Entwicklungshilfe - begleitet von militärischer Stabilisierung, Gespräche mit Afghanistans Nachbarstaaten und Verhandlungen mit den Taliban.
Und noch ein Politiker saß in der Runde. Egon Bahr, der langjährige außenpolitische Stratege der SPD und Vertraute von Willy Brandt. Der inzwischen 87-Jährige analysierte schonungslos. Die Deutschen hätten zu Beginn des internationalen Afghanistan-Einsatzes 2002 die Illusion gehabt: "Die Amis machen die Sache mit den Waffen und wir machen die Sache mit dem Aufbau und dem Frieden. De facto befinden wir uns aber in einem Krieg - den wir so nicht nennen. Doch dieser Krieg ist nicht gewinnbar."
Das hätten die Russen bei ihrem Krieg in Afghanistan eher erkannt als die internationale Gemeinschaft heute, sagte Bahr. Er mahnte, Politiker in Deutschland leisteten einen Eid auf die Verfassung, nicht auf die Nato. Wenn ihnen klar sei, dass sie in Afghanistan den falschen Weg gewählt hätten, müssten sie umkehren.