Die deutsche Journalistin und Autorin Souad Mekhennet erhält den Sonderpreis der stern-Chefredaktion im Rahmen des Nannen Preises. Damit ehrt der stern ihre Berichterstattung zum Terror als außerordentliche journalistische Leistung.
Aus diesem Anlass veröffentlichen wir hier ein Porträt über die Ausnahme-Journalistin, das auch in der neuen Ausgabe des stern (Nr.16/2018) erscheint.
An jenem Abend im Sommer 2014 zog Souad Mekhennet ihre bodenlange, rosa bestickte Abaya an, die ihr schon so oft Glück gebracht hatte, und stieg in den Wagen, der sie zum Treffpunkt bringen sollte. Der "Islamische Staat" war zu der Zeit weltweit noch nicht so aktiv, aber Mekhennet ahnte, dass die Organisation eine zentrale Rolle im globalen Dschihad spielen würde. Darum wollte sie diesen Mann treffen. Abu Yusaf nannte er sich. Ein direkter Gefolgsmann al-Baghdadis, des Führers des vom IS proklamierten Kalifats.
Sie hatten ihr gesagt, sie müsse allein kommen. Ohne Tasche, ohne Handy, ohne Ausweispapiere; nur ein Notizbuch und ein Stift waren erlaubt. Der Wagen brachte sie zu einem Hotelparkplatz im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Als sie zu dem IS-Anführer ins Auto stieg, war es bereits Nacht. Natürlich wusste sie, wie gefährlich das war. Aber sie wusste auch, dass sie die erste westliche Journalistin sein würde, die einen hochrangigen IS-Kommandeur über die Langzeitstrategie der Organisation befragen konnte.
Und das ist ihr bei ihrer Arbeit das Wichtigste: Informationen aus erster Hand, im direkten Gespräch mit den Beteiligten.
Abu Yusaf hatte zugesichert, dass ihr nichts geschehen würde. Und er hielt sich daran. Souad Mekhennet fand heraus, dass der damals 27-Jährige in Marokko geboren worden war und sich in Europa radikalisiert hatte. Mit 18 Jahren war er in den Irak gegangen, um für al-Qaida zu kämpfen. Andere IS-Mitglieder berichteten ihr, wie der "Arabische Frühling" die Islamisten beflügelt hatte und wie der IS trainierte Kämpfer aus vielen Teilen der Welt rekrutieren konnte. Ihre umfassenden Recherchen fasste sie in einem Buch zusammen. Der Titel: "Nur wenn du allein kommst".
"Wir müssen mit diesen Leuten reden"
Souad Mekhennet, 1978 in Frankfurt am Main geboren, ist heute Sicherheitskorrespondentin der US-Zeitung "Washington Post", preisgekrönte Autorin und eine der weltweit führenden Expertinnen auf dem Gebiet des islamistischen Terrors. 2005 hat die Journalistin als eine der Ersten über den deutschen Staatsbürger Khaled el-Masri berichtet, der von der CIA entführt und gefoltert worden war; sie enttarnte die Identität des IS-Henkers "Jihadi John".
Sie spricht fünf Sprachen, darunter Arabisch und Türkisch; als gefragter Talkshow-Gast könnte sie bequem vom Sessel aus Strategien und Motive radikaler Gruppen analysieren. Doch statt sich auf ihrer Reputation auszuruhen, zieht es sie immer wieder an die Fronten des Dschihad. Sie ist eine leidenschaftliche Reporterin, kompromisslos in ihrem Anspruch an sich und ihren Berufsstand.
"Wir müssen mit diesen Leuten reden", sagt sie. "Nur so können wir verstehen, was sie antreibt. Das Wichtigste ist, dass man vor solchen Interviews ganz klare Vereinbarungen trifft. Ich sage immer: Ich höre mir eure Seite an, aber ich werde euch herausfordern und kritische Fragen stellen. Ich verspreche nichts, um an Informationen zu kommen. Ich erzähle denen keine Märchen."
Sie wäre eine wertvolle Geisel. Sie könnte vergewaltigt werden oder gefoltert, sie weiß, dass es trotz aller Absprachen nie eine Garantie auf Unversehrtheit gibt. Vor Treffen wie jenem mit Abu Yusaf hat sie Kollegen einen verschlossenen Briefumschlag gegeben: Telefonnummern der engsten Angehörigen und Kontakte, die bei einer Entführung notfalls ein gutes Wort für sie einlegen würden.
"Bisher habe ich den Umschlag immer ungeöffnet zurückbekommen", sagt sie.
Wenn man sie fragt, warum sie ihr Leben riskiert, um mit Terroristen zu sprechen, dann sagt sie: "Ich will wissen, woher der Hass kommt." In Frankfurt, erzählt sie, hatte ihre Familie jüdische Nachbarn. "Ein älteres Ehepaar, beide hatten noch die Nummern aus dem KZ eintätowiert. Als Jugendliche habe ich mich immer wieder gefragt: Wie konnten Menschen so aufgehetzt werden, dass sie ihre Nachbarn, mit denen sie friedlich zusammengelebt hatten, in Gaskammern schickten? Welche Dynamik bringt so etwas hervor?" Dann kam der 11. September. Und die Frage stellte sich ihr neu.
"Ich verstand, dass es mein Job und meine Pflicht als Journalistin ist, Menschen Antworten zu geben"
Im Mai 2001 hatte Souad Mekhennet die Ausbildung zur Journalistin an der Henri-Nannen-Schule abgeschlossen. Nachdem im September die Anschläge auf das World Trade Center verübt worden waren, traf sie die Witwe eines Feuerwehrmanns, der in den Türmen gestorben war. "Sie fragte uns Journalisten: 'Warum hassen diese Menschen uns so sehr? Und warum haben wir davon nichts gewusst?'"
Für Souad Mekhennet war das wie ein Startsignal. "Ich verstand, dass es mein Job und meine Pflicht als Journalistin ist, Menschen wie dieser Witwe Antworten zu geben. Sie müssen erfahren, woher der Hass kommt. Und darum müssen wir mit jenen reden, die solche Anschläge verüben."
In Hamburg recherchierte sie in Moscheen und Cafés den Hintergrund der Attentäter des 11. Septembers. 2003 flog sie in den Irak und erlebte den Zerfall des Landes: Saddam Hussein war gestürzt worden – und die Islamisten von al-Qaida sammelten sich bereits. Ihre tiefe Skepsis gegenüber diesem Regimewechsel und der vermeintlichen Demokratisierung des Landes brachte ihr damals reichlich Kritik von Kollegen ein. Eine Erfahrung, die sich in der Zeit des "Arabischen Frühlings" 2011 wiederholen sollte, als zunächst friedliche Demonstrationen gegen die autoritären Regime im Nahen Osten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, zum Machtzuwachs von Islamisten und in Syrien zum Bürgerkrieg führten.
"Viele Medien haben zu schnell die Perspektive der Aktivisten übernommen", sagt sie. "Da war die Rede von den demokratiefreundlichen Demonstranten und bösen Machthabern. Man hätte kritischer auf das schauen müssen, was einige Demonstranten unter Demokratie verstanden haben. Nämlich zum Beispiel: Mehrheit herrscht über Minderheit. Als Journalist darf man keiner Seite angehören – das muss man sich immer wieder deutlich machen."
"Ich bin so aufgewachsen, dass man Menschen nicht nach ihrer Religion oder Herkunft beurteilt"
Souad Mekhennets Mutter stammt aus der Türkei, ihr Vater aus Marokko. Die Eltern kamen Anfang der 70er Jahre als Gastarbeiter nach Deutschland und haben sich in Frankfurt kennengelernt. Die ersten Jahre ihrer Kindheit verbrachte Souad Mekhennet in Marokko bei ihrer Großmutter. Eine starke und selbstbewusste Frau, die ihr viel über den Islam beigebracht und sie sehr geprägt hat.
"Ich bin so aufgewachsen, dass man Menschen nicht nach ihrer Religion oder ihrer Herkunft beurteilt", sagt sie. "Die Familien meiner Eltern können ihre Abstammung auf die Prophetenfamilie zurückführen – die meiner Mutter von der schiitischen Seite, die meines Vaters von der sunnitischen. In Frankfurt haben wir immer Weihnachten gefeiert. Mir wurde beigebracht, auf die Gemeinsamkeiten zu schauen. Nicht auf die Unterschiede."
Schon früh interviewte sie in Europa radikalisierte Islamisten, die später zu zentralen Figuren des "Islamischen Staates" aufsteigen sollten – wie etwa den deutschen Rapper Denis Cuspert alias Deso Dogg, den sie 2011 in Berlin traf.
"Ich bin als Migrantenkind im Westen groß geworden", sagt Souad Mekhennet. "Ich weiß, mit welcher Art von Ausgrenzung man konfrontiert wird." Schulkinder, die nicht mit ihr spielen durften, Skinheads, die brennenden Häuser in Solingen und Mölln, die wachsende Ausländerfeindlichkeit – all das hat einen Teil ihrer Jugend geprägt. Aber es gab eben auch einen anderen Teil.
"Wir sind in eine Situation geraten, in der Menschen, die Brücken bauen wollen, es nicht einfach haben", sagt sie. "Wir haben keinen 'Clash of Civilisations', keinen Kulturkrieg. Sondern die Leute, die an ein Zusammenleben glauben, streiten mit jenen, die einen Keil in die Gesellschaft treiben wollen. Doch so schwierig der Brückenbau auch sein mag: In jeder Generation gibt es Menschen, die Gemeinsamkeiten finden und Einigkeit schaffen wollen."
Dass ein deutscher Innenminister heute sagt, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, mache ihr vor diesem Hintergrund große Sorgen. "Soweit ich weiß, haben wir in Deutschland Religionsfreiheit. Nicht die Religion ist wichtig, sondern ob Menschen gemeinsam mit Respekt voreinander und vor dem Grundgesetz und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Deutschland leben wollen. Aussagen darüber, wer dazugehört und wer nicht, sind heikel. Weil sie von Radikalen auf allen Seiten aufgegriffen werden können."
Souad Mekhennet weiß um den Einfluss, den Worte haben können, und wie vorsichtig man deswegen mit ihnen umgehen muss. Es war ihr marokkanischer Großvater, der einst zu ihr gesagt hatte: "Weißt du, die wirklich mächtigen Menschen, das sind die, die aufschreiben, was passiert ist." Deswegen ist sie Journalistin geworden.