Giorgia Meloni Italien steht vor Neuwahlen. Gewinnen könnte eine Neofaschistin

Giorgia Meloni bei einer Wahlkampfveranstaltung
Sie hat gute Chancen, die erste Frau im Ministerpräsidentenamt in Italien zu werden: Giorgia Meloni
© Alessandro Bremec / Imago Images
Italien steht vor Neuwahlen. Drei rechte Parteien liegen in der Wählergunst derzeit weit vorne und könnten eine Regierung bilden. Beste Aussichten auf das Amt des Regierungschefs hat: eine Neofaschistin.

Das politische Chaos in Rom hat sich vorerst beruhigt. Ministerpräsident Mario Draghi hat seinen Rücktritt eingereicht, Staatspräsident Sergio Mattarella hat diesen akzeptiert und noch am selben Tag die Auflösung des Parlaments eingeleitet.

Eine Neuwahl wurde so gut wie unausweichlich; tagelang gab es ein politisches Tauziehen in Rom. "Die politische Situation hat zu dieser Entscheidung geführt", begründete Mattarella in einer Fernsehansprache die Auflösung des Parlaments.

Obwohl der 74-jährige Draghi mit seiner Regierung, die von Parteien sowohl im rechten als auch linken Spektrum getragen wurde, eineinhalb Jahre Italien regierte, das Land aus der Coronakrise holen wollte und große Unterstützung in der Bevölkerung genoss – es reichte nicht mehr.

"Brüder Italiens" liegen in Umfrage vorn

Der Sturz kam aus den eigenen Reihen. Die Regierungspartei Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) boykottierte ein Vertrauensvotum für den ehemaligen Zentralbanker. Am Mittwoch dann ein letzter Versuch im Senat, das Vertrauen für die Draghi-Regierung zu bekommen. Doch sowohl die M5S als auch die konservative Forza Italia und die rechtsextreme Lega boykottierten die Abstimmung im Senat.

Am 25. September sollen die Italienerinnen und Italiener nun die Abgeordneten neu bestimmen. Große Chancen haben dabei gerade die Parteien, die Draghi gestürzt haben: Forza Italia und die Lega. Und eine weitere Partei, die Fratelli d’Italia (FdI) – die Brüder Italiens.

Die FdI liegen gerade in den Umfragen vorn. Eine Sonntagsfrage des Meinungsforschungsinstituts für die italienische Zeitung "La Stampa" ergab, dass die Brüder Italiens auf 22 Prozent in der Wählerinnen- und Wählergunst kommen, dicht gefolgt von der sozialdemokratischen PD. Die Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini kommt auf 14,6 Prozent. Die Forza Italia des ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi schafft es auf 8,6 Prozent.

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Die Fünf-Sterne-Bewegung verliert mehr als 20 Prozent, liegt bei 10,7. Andere Parteien schaffen es nicht über fünf Prozent.

Größte Aussichten auf die Nachfolge Draghis hat dabei eine Frau: die 45-jährige Giorgia Meloni – ehemalige Ministerin unter Berlusconi, Neofaschistin, rechtsextrem. "Königin der Rechten" wird sie auch genannt. Heute ist sie Präsidentin der rechts-konservativen und EU-kritischen Europapartei Europäische Konservative und Reformer. "Wir sind bereit", schrieb Meloni am Donnerstag auf Twitter.

Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni mit stramm rechtem Programm

Ihre Fratelli d’Italia ist eine stramm rechte Partei. Neo- bzw. postfaschistisch, rechtsextrem, rechtsnational. Im Parteilogo ist eine grün-weiß-rote Flamme. Die Partei will die Überarbeitung der EU-Verträge und tritt für eine Neugründung der EU als Föderation souveräner Staaten ein. Folgen für die EU sowie deren Zusammenarbeit mit Italien wären unabsehbar. FdI-Politikerinnen und -Politiker fielen immer wieder mit EU-feindlichen Äußerungen auf – und auch mit dem "saluto romano", dem Faschistengruß, der dem Hitlergruß entspricht.

Die Brüder Italiens kommen mit einer klar rechten Programmatik daher. "Italien und Italiener zuerst", heißt es etwa im Richtlinienprogramm der Partei. Sicherheit, Recht und Ordnung sollen Vorrang haben. "Sofortige Ausweisung für Ausländer, die eine Straftat begehen", wird etwa gefordert, aber auch der Kampf gegen Mafia und Korruption.

"Illegale Einwanderer" sollen nach Vorstellung der FdI ausgewiesen werden, Italienerinnen und Italiener Vorrang bei Sozialleistungen bekommen. Zudem will sich die Partei gegen eine angebliche Islamisierung Italiens stemmen. Die "traditionelle" Familie soll bevorzugt werden.

Sollte Meloni Draghis Nachfolge übernehmen, wäre sie die erste Frau auf diesem Posten. Eine Frau, die, wie sie sagt, ein "entspanntes Verhältnis zum Faschismus" hat. Es wäre dann das erste Mal seit gut 100 Jahren, dass der Faschismus wieder in die Regierung Einzug erhält. 1922 kam Benito Mussolini in Italien an die Macht.

Video: Italien nach Draghis Rücktritt vor Neuwahlen im Herbst
Italien nach Draghis Rücktritt vor Neuwahlen im Herbst

Rechte Parteien in Italien: Freunde und Feinde zugleich

Dennoch gibt Meloni sich modern und emanzipiert – anders als Mussolini-Anhänger und neofaschistische Schläger in ihrer Partei. "Bei den Fratelli d'Italia gibt es keinen Platz für Rassisten, Antisemiten und Neonazis", machte die Parteichefin deutlich. Faschisten fehlen in dieser Aufzählung, wohl nicht nicht ganz unbewusst.

Melonis Mitstreiter und Konkurrenten stehen in den Startlöchern für einen Machtpoker in Rom. "Mitte-Rechts ist bereit, die Wahl am 25. September zu gewinnen", erklärte Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega noch am späten Donnerstagabend.

Sollte es aber zum Sieg der rechten Parteien in Italien kommen, dann würde Meloni wahrscheinlich ihren Führungsanspruch behaupten – sofern sie ihre Partei noch vor der Lega und Forza Italia halten kann.

Die Zeitung "Corriere della Sera" kommentiert dazu: "Auf der rechten Seite ist es wahrscheinlich, dass Berlusconi und Salvini versuchen werden, sich zu einen, in der Hoffnung, Giorgia Meloni nicht das Ruder der von allen Umfragen favorisierten Koalition zu überlassen."

Diese Parteivorsitzenden griff Meloni noch vor zwei Monaten an: "Wir sind bereit, die Segel zu hissen für eine lange Reise, die die Konservativen in die Regierung bringen wird. Wir wollen zusammen gewinnen oder verlieren, ohne Allianzen mit unseren Gegnern." Ein Fingerzeig dahin, dass Lega und Forza Italia mit Mitte-Links-Parteien die Regierung Draghi unterstützten.

In Italien fehlt es an Auseinandersetzung mit dem Faschismus

Eine Garantie, dass eine rechte Koalition bis zur Wahl in Italien auch gestärkt ist, die gibt es allerdings nicht. So zeigten sich innerhalb der Forza Italia Absetzungsbewegungen: Die für Süditalien zuständige Ministerin Mara Carfagna erklärte etwa, sich von ihrer Partei distanzieren zu wollen. Ihr Parteikollege Renato Brunetta, Minister für die öffentliche Verwaltung, will die Partei des früheren Regierungschefs Berlusconi verlassen. Und auch im Parlament wechselten die ersten Abgeordneten aus Frust die Seiten.

Aber warum findet eine faschistische Partei wie die Fratelli d’Italia so viel Anklang? "Brüder Italiens schweigt in bemerkenswerter Weise zur Geschichte des Faschismus. Die Partei zeichnet sich durch Elemente der Kontinuität aus, vor allem in kulturell-ideologischer Hinsicht", erklärte die italienische Faschismus-Forscherin Giulia Albanese der ARD. Die Partei distanziere sich nicht klar vom Faschismus.

Hinzu komme Melonis Rolle als charismatische Oppositionsfigur gegen die Draghi-Regierung. Doch auch die mangelnde Auseinandersetzung vieler Italienerinnen und Italiener mit der historischen Vergangenheit spielten eine Rolle, so Albanese. "Es ist noch nicht ins allgemeine Bewusstsein in Italien eingedrungen, was die Geschichtsforschung herausgefunden hat über den Faschismus und seine Verantwortung für Gewalt, für den Aufstieg der Nazi-Herrschaft, auch für den Zweiten Weltkrieg und in Bezug auf die Beteiligung am Genozid an den Juden." Zudem seien viele italienische Medien nicht oder zu wenig an dem Thema interessiert, in Schulen werde darüber kaum unterrichtet.

"Der Erfolg der 'Brüder Italiens' basiert zum Teil auf einer verbreiteten Ignoranz zum Thema. Der Faschismus ist lange Zeit in Italien verharmlost worden", sagt Albanese.

Quellen: Nachrichtenagenturen DPA und AFP, Parteiprogramm Fratelli d'ItaliaRai, "Der Standard", "Cicero", SRF, "Euractiv", "Tagesschau"

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