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Machtwechsel in den USA "Für die Europäer ist das Team Biden wie ein Sechser im Lotto"

Joe Biden hat bei der Auswahl seines Schattenkabinetts deutlich gemacht, dass er eine völlig andere Politik plant als sein Vorgänger Donald Trump. Was deutsche und internationale Medien davon halten, lesen Sie in unserer Presseschau.

Der designierte US-Präsident Joe Biden hat sein außen- und sicherheitspolitisches Regierungsteam vorgestellt und dabei eine stärkere internationale Führungsrolle für die USA beansprucht. "Das ist ein Team, das die Tatsache widerspiegelt, dass Amerika zurück ist. Bereit, die Welt anzuführen und sich nicht von ihr zurückzuziehen", verkündete der 78-Jährige in seiner Heimatstadt Wilmington. Biden distanzierte sich damit deutlich vom abgewählten Amtsinhaber Donald Trump, der unter dem Motto "Amerika zuerst" auf nationale Alleingänge gesetzt und Partner wie Deutschland und andere EU-Staaten immer wieder vor den Kopf gestoßen hatte.

So kommentiert die Presse den Kurs des künftigen Mannes im Weißen Haus und dessen Auswahl erster Kabinettsmitglieder:

"De Telegraaf": "Die Namen, die Joe Biden bisher genannt hat, zeigen, dass er sich für Insider aus Washington entscheidet. Menschen, die selbst mit verbundenen Augen den Weg ins Machtzentrum der USA finden könnten. Dass Biden auf Erfahrung und Kontakte Wert legt, ist ein großer Kontrast zu Trump, der einen frischen Wind wehen lassen wollte und deshalb Leute von außerhalb der Washingtoner Politik auswählte. (...) Für Biden ist zudem die persönliche Verbundenheit mit seinen Kabinettsmitgliedern wichtig. Mit vielen seiner Kandidaten arbeitet er seit Jahrzehnten zusammen. Als Senator, Vizepräsident - und zuletzt in seinem Wahlkampf."

"El Mundo": "Die bisher bekanntgewordenen Personalvorschläge bestätigen den Willen des gewählten Präsidenten, eine Regierung zusammenzustellen, die auf Erfahrung und Mäßigung setzt. Antony Blinken als designierter Außenminister stellt eine drastische Kursänderung im Vergleich zu Trumps waghalsiger Geopolitik dar. Er ist ein resoluter Befürworter des Multilateralismus sowie der europäischen Idee und zögert nicht, den Brexit als Katastrophe zu bezeichnen.

Ein Latino (Alejandro Mayorkas) soll zum ersten Mal als Heimatschutzminister für die Sicherheit zuständig sein, während der ehemalige Präsidentschaftskandidat John Kerry die Klimapolitik leiten wird. Janet Yellen, die erste Frau an der Spitze der US-Notenbank, ist als Finanzministerin vorgesehen. Sie setzt sich für einen ausgeglichenen Haushalt ein und steht einer unkontrollierten Verschuldung ablehnend gegenüber. Ihre Nominierung erfolgt zu einem Zeitpunkt, an dem der Wiederaufbau der US-Wirtschaft, die von der Pandemie und hoher Arbeitslosigkeit schwer getroffen wurde, eine zentrale Herausforderung für die Biden-Regierung werden wird."

"Jyllands-Posten": "Es wird vielleicht etwas langweiliger in Washington. Das ist genau, was wir brauchen. Europa sehnt sich vor allem nach Ruhe, Umsicht und Vorhersehbarkeit, wenn Joe Biden in sieben Wochen ins Weiße Haus einzieht. Im Grunde alle europäischen Hauptstädte jubeln ihm zu, und da macht es weniger aus, dass ihm mit seinen 78 Jahren nicht gerade nachgesagt werden kann, er personifiziere einen großen Aufbruch zu neuen Horizonten. 

Biden repräsentiert eine USA, die Europa in den vier Trump-Jahren vermisst hat. Die ersten Ankündigungen zu Bidens außenpolitischem Team werden in Europa gut aufgenommen: bekannte, bewährte Kräfte mit internationaler Erfahrung und Unterstützung für das transatlantische Verhältnis und internationale Organisationen, gegen die Trump Krieg geführt hat. Das Signal geht in Richtung einer Art Reparatur und einem Versprechen, den Dialog in einen gewöhnlicheren - ja, zivilisierten - Rahmen zu bringen. Man kann den Seufzer der Erleichterung auf dem alten Kontinent beinahe spüren."

"Kölner Stadt-Anzeiger": "Für die Europäer ist das Team Biden wie ein Sechser im Lotto. Staunend stellt die EU jetzt fest: Der neue Außenminister Antony Blinken, der neue Sicherheitsberater Jake Sullivan, nicht zuletzt aber auch Biden selbst sind den Europäern zugewandter als die Washingtoner Regierungsteams der vergangenen Jahrzehnte. Schon in diesen Tagen ist ein dämpfender Effekt spürbar, den das Team Biden auf Premier Boris Johnson und dessen britische Regierung ausübt. Schon vor der Wahl hatten Biden und Blinken gelegentlich die Briten ermahnt, das gute Verhältnis zwischen Irland und Nordirland nicht durch unüberlegte Manöver im Zuge des Brexits aufs Spiel zu setzen. Inzwischen ist, allein aufgrund der neuen Konstellationen, aus der freundlichen Bitte eine Ansage geworden. Wahrscheinlich wird Johnson schon in Kürze die Vorgaben der Europäischen Union für ein Post-Brexit-Regime unten rechts unterschreiben."

"The Times": "Glücklicherweise lässt das Verhalten von Joe Biden seit der Wahl darauf vertrauen, dass die neue Regierung den entstandenen Schaden rasch wiedergutmachen wird. Seine Wahl von Antony Blinken als Außenminister und Jake Sullivan als nationalem Sicherheitsberater sendet ein beruhigendes Signal an den Rest der Welt, dass der gewählte Präsident das Versprechen einlösen will, Amerikas Bündnisse wiederherzustellen und seine Führungsrolle in der Welt neu zu etablieren. (...)

Die größte Herausforderung besteht für Biden darin, eine einheitliche Haltung der westlichen Demokratien gegenüber China zu schmieden, das er als Amerikas stärksten strategischen Konkurrenten ausgemacht hat. Donald Trump hat dies zu Recht auf die Agenda gesetzt, aber es wird geduldiger Staatskunst bedürfen, um ein Bündnis von Nationen zu schmieden, das China vor Augen führen kann, wie töricht jede aggressive Handlung ist." 

"Washington Post": "'Amerika ist zurück und bereit, die Welt anzuführen', sagte Herr Biden am Dienstag bei der Bekanntgabe der Ernennungen. Wie die Nominierten wissen, wird die Umsetzung dieser Worte in Herrn Trumps Fahrwasser eine gewaltige Aufgabe sein. Er hinterlässt tiefe Zweifel an der Fähigkeit, Vertrauenswürdigkeit und Entschlossenheit der USA. Sollten sie jedoch (vom Senat) bestätigt werden, werden die Vereinigten Staaten ab dem nächsten Jahr über Führungskräfte im Bereich der nationalen Sicherheit verfügen, die fähig und gewissenhaft sind, sich in den Angelegenheiten gut auskennen, mit denen sie sich auseinandersetzen werden, und nicht anfällig dafür sind, von Tweets des Präsidenten unterminiert zu werden. Das ist ein großer Schritt auf dem Weg zur Besserung."

mad DPA AFP

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