"Neue Presse"
Die in Hannover erscheinende "Neue Presse" wundert sich: "Ausgerechnet der französische Präsident gießt Öl ins Feuer. Chirac, in der Irak-Frage noch voll und ganz der Friedenskumpel von Ex-Kanzler Schröder, drohte Terrorstaaten gestern unverhohlen mit dem Einsatz von Atomwaffen. Ein Fall von politischer Demenz? Will Chirac, bevor er in Pension geht, noch mal zeigen, was für ein harter Kerl er eigentlich ist? Voll nach der Devise: Alles was Bush kann, das kann ich viel besser. Eine überzeugende Drohkulisse sieht anders aus."
"Oldenburgische Volkszeitung"
"Guter und böser Polizist das mag bei kriminalistischen Verhören eine effektive Methode sein, um den Übeltäter weich zu klopfen", findet die "Oldenburgische Volkszeitung" aus Vechta. "Aber in komplizierten Krisen von weltpolitischem Ausmaß birgt diese plumpe Technik die extreme Gefahr einer Eskalation. Umso mehr, wenn sie offensichtlich nicht abgestimmt ist, wie im Fall der Drohung des französischen Präsidenten Jacques Chirac, notfalls Atomwaffen gegen Terrorstaaten einzusetzen. Für die europäischen Unterhändler mit Teheran kann dies den Supergau bedeuten. Die Verschärfung des Konflikts mit dem Iran ist vorprogrammiert. Es ist spätestens jetzt fünf vor zwölf."
"Cellesche Zeitung"
"Vielleicht will der französische Präsident dem Eindruck entgegen wirken, die EU sei bei ihren Warnungen in Richtung Teheran nicht mehr als ein zahnloser 'Papiertiger'", so der Kommentator in der "Celleschen Zeitung". "Jedenfalls betrieb Jacques Chirac gestern wortreich eine deutliche Eskalation im politischen Konflikt mit dem atomar engagierten Iran, als er den Einsatz von Nuklearwaffen ins Spiel brachte. Doch Frankreich zieht mit seiner Drohgebärde nur die Konsequenz aus den vergeblichen Bemühungen, die Mullahs in der Islamischen Republik mit freundlicher Diplomatie zum Einlenken zu bewegen. Nach massiven Ausfällen des iranischen Staatspräsidenten Ahmadinedschad - vordergründig gegen Israel, doch letztlich gegen den gesamten Westen - muss dessen verbaler Amoklauf gestoppt werden. Denn wir wissen, dass Worten meist auch Taten folgen. Gefährlich an dieser Strategie ist allerdings, dass sie Menschen wie Ahmadinedschad nicht unbedingt beeindrucken wird."
"Leipziger Volkszeitung"
"Man zuckt unweigerlich zusammen: Da will Frankreichs Präsident im Ernstfall terroristische Anschläge mit einem Atomschlag vergelten. Frei nach dem Motto: Der kalte Krieg ist zwar vorbei - doch die Atommacht Frankreich steht auf der Wacht", überlegt die "Leipziger Volkszeitung". "Was hat den ersten Mann im Elyséepalast bloß geritten, ohne erkennbare Not den Terroristen den atomaren Fehdehandschuh hinzuwerfen? Weiß le President mehr, steht Frankreich kurz vor einem Anschlag? Und selbst wenn - wo sollen nukleare Sprengköpfe denn die al Kaida-Gruppen treffen? Bislang war weltweit kein Geheimdienst in der Lage, den Aufenthaltsort Bin Ladens genau zu ermitteln, geschweige denn das Terror-Netzwerk auszuhebeln. Auch wenn die Anschlagsgefahr seit New York, Madrid und London inzwischen auch für Berlin oder Paris gilt - die französische Drohgebärde ist unverantwortlich. Signalisiert sie doch Staaten wie Iran oder Nordkorea, ihr Atomprogramm zu intensivieren, um so einen Schutzschild zu haben. Zugleich provoziert Chirac gewaltbereite Islamisten, die nach dem Grundsatz 'Jetzt erst recht' kaum schweigend die starken Worte ertragen dürften.
Vielleicht wollte der auf Abruf regierende Chirac noch ein letztes Achtungszeichen setzen. Zuletzt hatte sich "Monsieur 1000 Volt" nur noch als Schwachstrom-Elektriker auf internationalem Parkett blamiert. Nichts wollte mehr gelingen, weder beim EU-Gipfel noch bei der verpatzten Olympia-Bewerbung von Paris. Deshalb prahlt Chirac bisweilen gern mit dem atomaren Arsenal, um den verblassten Glanz der Grand Nation aufzupolieren. So war er es, der trotz aller Proteste die Atomtests auf dem Mururoa-Atoll wieder aufnahm. Danach verkündete er den grundsätzlichen Wechsel von der atomaren Verteidigungs- zur Vergeltungsstrategie. Das neue Säbelrasseln mag daher für Chirac nicht ungewöhnlich sein. Einen ruhmreichen Platz in den Geschichtsbüchern, nach denen sich der de-Gaulle-Verehrer so sehr sehnt, bekommt man damit aber nicht".
"Rheinische Post"
"Terrorismus, wie ihn Bin Laden und seine Verbrecherorganisation predigen und praktizieren, ist eine geistige Deformation, die nicht mit der A-Waffen-Drohung therapiert werden kann", bemerkt sie "Rheinische Post". "Wenn al Kaida an A-B-C-Waffen käme, setzte sie diese ein: Bin Ladens Leute lieben bekanntlich den Tod. Zielte Chirac nur auf Iran mit seinen atomaren Gelüsten und dem bislang nur wortaggressiven Präsidenten, signalisierte Paris den Willen zur Selbstbehauptung im Falle eines Falles. Das wäre aber die gleiche Logik, mit der die Noch-Nicht-Atommacht Iran das Teufelszeug (Kanzler a.D. Willy Brandt) begehrt. Wenn sich die Idee durchsetzt, dass der beste Schutz vor einer Groß-Attacke eigene, dosiert einsetzbare Atombomben sind, dann hätte die Welt es bald mit vielen neuen 'Irans', also einem Albtraum zu tun."
"Ouest-France" (Frankreich)
Die französische Regionalzeitung "Ouest-France" aus Rennes meint dazu: "Jacques Chirac spricht nicht aus, welche Verbündeten mit unter den französischen atomaren Schirm kommen könnten. Er nimmt aber die Idee einer europäischen Verteidigung wieder auf, die auf die atomare Schlagkraft Frankreichs und Großbritanniens zählen könnte. Chirac will so zeigen, dass er immer noch über einen europäischen Trumpf verfügt, während Frankreich doch zu den beiden Ländern gehört, die (wegen der abgelehnten EU-Verfassung) für die gegenwärtige Panne der Europäischen Union verantwortlich sind. Im Übrigen war Chiracs Rede weniger von strategischen Notwendigkeiten als vielmehr von dem Willen eines geschwächten Präsidenten diktiert, bis zum Ende seines Mandats Autorität auszuüben. Indem er sich auf die einzige Macht stützt, die ihm niemand entreißen kann - die Herrschaft über das nukleare Feuer."
"Le Figaro" (Frankreich)
"Trotz der strategischen Zweideutigkeit, ohne die jede Abschreckung ihre Wirksamkeit einbüßt, ändert sich die Doktrin der Anwendung atomarer Waffen nicht. Das ist ganz klar gesagt worden, und zwar deutlicher als in den USA, wo vor dem Hintergrund des Kampfes gegen den Terrorismus Forschungen über nukleare Minibomben auf den Weg gebracht worden sind. Diese sollen bei einer begrenzten Kraft in der Lage sein, unterirdische Bunker zu zerstören. Eine glaubwürdige Abschreckung beizubehalten, wird von einer Mehrheit der Bevölkerung nicht in Frage gestellt, auch wenn vielen nicht klar ist, wo der Zweck letztlich liegt. So war Chiracs Rede pädagogisch gemeint", philosophiert die konservative französische Tageszeitung "Le Figaro".
"La Repubblica" (Italien)
Die römische Zeitung "La Repubblica" findet: "Jacques Chirac hat gestern die französischen Atomwaffen aufpoliert. In der Europäischen Union, wo Frankreich neben Großbritannien die einzige Atommacht ist, ist dies eine wichtige Neuigkeit. Und dies umso mehr, als die britische Nuklearstrategie mit der amerikanischen im Zusammenhang steht, während die Frankreichs sich immer ihre Einzigartigkeit bewahrt hat. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Verschwinden der traditionellen Bedrohung durch die Sowjetunion schien die nukleare Abschreckung ihre wichtigste und konkrete Rechtfertigung verloren zu haben. Diese Waffen riskierten, nachdem sie ihr Ziel verloren hatten, nur noch als rein dekoratives Tafelsilber angesehen zu werden: Zwar waren sie noch nützlich für das Prestige einer Nation, die ihre Machtstellung betonen will, aber sie waren auch teuer für eine Wirtschaft (...), die ihre Kosten senken will. Der französische Präsident hat den Atomwaffen wieder einen Existenzgrund gegeben."
"Neue Zürcher Zeitung" (Schweiz)
"Kurz nach dem Scheitern der Verhandlungen mit Iran ergreift Präsident Chirac die Chance, Klartext zu sprechen. Die Drohung, gegen Terrorstaaten notfalls auch "andere Mittel" einzusetzen, rückt ins Bewusstsein, dass der Krieg gegen den Terrorismus sich nicht auf polizeiliche Maßnahmen und Grenzkontrollen, auf Abhöraktionen, klandestine Treffen und kulturelle Dialoge beschränken kann", konstatiert die "Neue Zürcher Zeitung". "Es bedarf eines französischen Präsidenten, in Erinnerung zu rufen, dass Nuklearwaffen existieren, dass es so etwas wie Abschreckung gibt und dass zur Wirkung dieser Abschreckung Erwägungen über die Möglichkeit eines Einsatzes dieser Waffen gehören. Hätte ein Präsident Bush die gleiche Rede gehalten - man wagt kaum daran zu denken, was dann passieren würde. Chirac hat seinem Land und Europa damit sicher einen Dienst erwiesen."