Flüchtlingsdebatte, Angst vor islamistischen Extremisten, Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsflaute - diese Themen haben vielerorts die Wahlkampagnen für die anstehende Europawahl dominiert. Dies kam vor allem europafeindlichen, nationalistischen und rechtspopulistischen Parteien zugute, die in vielen EU-Staaten im Aufwind sind. Entsprechend kämpferisch gaben sich jüngst bei einer zentralen Wahlkampfveranstaltung in Mailand die Chefs mehrerer Parteien aus dem rechten Lager, allen voran Gastgeber Matteo Salvini von der einwanderungsfeindlichen italienischen Lega-Partei.
Der starke Mann der Regierung in Rom warb für eine Allianz "Europa des gesunden Menschenverstandes" (Europe of common sense), die nach der Europawahl im EU-Parlament eine große Fraktion gründen soll. Andere Redner geißelten vor Zehntausenden von Sympathisanten die Einwanderung, ein "Europa der Eliten" und warnten vor einer "Auflösung der Nationen."
Ibiza-Affäre verpasst Rechtspopulisten Dämpfer
Der Enthusiasmus erhielt aber einen deutlichen Dämpfer - durch den am gleichen Tag bekanntgewordenen Ibiza-Skandal um den nun ehemaligen österreichischen Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Der Rechtspopulist legte seine Ämter nieder, nachdem ein heimlich auf Ibiza aufgenommenes Video öffentlich geworden war. Darin zeigt er sich vor der Parlamentswahl 2017 bereit, als Gegenleistung für verdeckte Wahlkampfgelder öffentliche Aufträge an die angebliche Nichte eines russischen Oligarchen zu vergeben. Als Konsequenz kündigte Österreichs Kanzler Sebastian Kurz vorgezogene Neuwahlen an.
Der Skandal könnte nicht nur das Wahlergebnis der FPÖ negativ beeinflussen, sondern auch der Alternative für Deutschland (AfD) schaden, glaubt der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke. "Es dürfte eine Schwächung der AfD bei der Europawahl geben", sagte Funke der Nachrichtenagentur AFP. Er hielt es nicht für ausgeschlossen, "dass sie unter zehn Prozent kommt". In jüngsten Umfragen liegt die Partei bei zwölf Prozent, bei der Bundestagswahl 2017 hatte sie 12,6 Prozent erreicht. Den AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen sieht Funke nun "in der Ibiza-Falle".
Rechte wollen drittgrößte Fraktion werden
Die Enthüllungen um den Ex-FPÖ-Frontmann Strache kommen für Salvini und seine Hauptverbündete Marine Le Pen äußerst ungelegen. Die französische Rechtspopulistin versicherte denn auch umgehend, ihre Partei Rassemblement National (RN, Nationale Sammlungsbewegung) halte sich "strikt" an die Regeln zur Parteienfinanzierung. Dabei sind Le Pen und weitere RN-Mitglieder allerdings selbst Gegenstand von Ermittlungen wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder. Auch die AfD steht wegen diverser dubioser Wahlkampfspenden unter Druck.
Vor dem Skandal konnten rechtspopulistische und europafeindliche Parteien aller Couleur Umfragen zufolge auf rund 170 der 751 Mandate hoffen. Salvinis erklärtes Ziel ist es, die drittgrößte Fraktion im neuen Europaparlament zu bilden. Ob dies gelingt, bleibt freilich abzuwarten.
In vielen Fragen Uneinigkeit
Bisher hat die Allianz aber kein gemeinsames Wahlprogramm und dies aus gutem Grund: In vielen Fragen sind sich die Rechtspopulisten und Rechtsextremen aus den unterschiedlichen Ländern nicht einig. So fordert etwa Salvini von den übrigen EU-Staaten mehr Solidarität bei der Unterbringung von Flüchtlingen - was rechtslastige Parteien in anderen Staaten strikt ablehnen. Die AfD verlangt den Austritt Deutschlands aus der Euro-Zone, bei anderen Parteien der rechten Allianz ist dies kein Thema.
Le Pen liebäugelt offen mit Russlands Präsident Wladimir Putin und zieht sich damit den Unmut von rechten Politikern in osteuropäischen Staaten zu. Le Pens Trend zum Protektionismus wiederum ist AfD-Chef Meuthen und Rechtspopulisten in anderen Ländern ein Dorn im Auge. Vor allem treten Nationalisten grundsätzlich für die Interessen des eigenen Landes ein - was eine Zusammenarbeit mit Kollegen aus anderen Staaten erschwert.
Konflikte programmiert?
Dies war bereits der Fall in der bisherigen rechtslastigen Fraktion "Europa der Nationen und der Freiheit" (ENF), deren zuletzt 37 Mitglieder nicht immer auf einer Linie lagen. Sollten die Rechtspopulisten im neuen Europaparlament eine deutlich größere Fraktion zustande bekommen, sind Konflikte bereits programmiert.
Um eine Fraktion zu gründen, müssen sich mindestens 25 Abgeordnete aus mindestens sieben Ländern zusammenschließen. Diese Voraussetzung dürften die Rechtspopulisten nach der Wahl problemlos erfüllen. Nach der Geschäftsordnung des Parlaments müssen die Mitglieder einer Fraktion aber auch eine gemeinsame politische Linie vertreten.
