Ukraine-Krieg Woher die Satellitenbilder stammen und wie sie den Verlauf des Krieges beeinflussen

Satellitenbilder der Kirche von Butscha mit zahlreichen Leichensäcken auf dem Gelände
Dieses Satellitenbild von Maxar Technologies zeigt die St. Andreas-Kirche von Butscha mit zahlreichen Leichensäcken, bevor hinter dem Gotteshaus offenbar ein Massengrab ausgehoben werden soll. Die Aufnahme stammt den Angaben zufolge vom 28. Februar.
© Maxar Technologies / DPA
Was ist in Butscha geschehen? Satellitenbilder leisten einen großen Beitrag zur möglichen Aufklärung der Kriegsverbrechen. Zudem beeinflussen sie den Verlauf des Krieges. Woher stammen die Fotos? Und wieso tauchen sie gerade jetzt auf?

Der Propaganda-Krieg um die mutmaßlichen Kriegsverbrechen von Butscha läuft. Russland bestreitet, dass seine Soldaten dafür verantwortlich seien, beschuldigt vielmehr die Ukraine, die Gräuel in dem Vorort von Kiew inszeniert zu haben. Zur Aufklärung der Ereignisse tragen schon jetzt Satellitenbilder maßgeblich bei. Aufnahmen aus dem All, die beispielsweise einen Vergleich erlauben zwischen der Situation in Butscha in den ersten Kriegstagen und der Situation in den vergangenen Tagen, als die schrecklichen Ereignisse bekannt wurden.

Was für die Ermittler ein Segen ist (auch für die Verifikations-Experten von RTL und stern), macht so manchen aber auch skeptisch. Nicht nur in den sozialen Medien wird gelegentlich die Frage gestellt: Wieso tauchen solche Satellitenbilder gerade jetzt auf? Und beeinflussen sie den Verlauf der Kämpfe?

Die bekannten Aufnahmen aus dem Kriegsgebiet stammen von kommerziellen Anbietern wie Black Sky oder Planet. Auch Airbus ist mit den "Pleiades"- und "Pleiades Neo"-Orbitern in diesem Segment aktiv. Die Bilder tauchen grundsätzlich nicht nur jetzt auf, sie stehen in Teilen ohnehin zur Verfügung und erweisen sich nun für die Ermittlungen zu den Kriegsverbrechen als hilfreich. Allerdings können Regionen zum Beispiel auf Wunsch von Kunden, zu denen unter anderen Geheimdienste gehören, auch gezielt angesteuert werden.

Aktuell wird die Erde von rund 8000 funktionstüchtigen Satelliten umrundet; Tendenz schnell steigend. Allein Elon Musks SpaceX will in den nächsten Jahren mit 42.000 künstlichen Erdtrabanten flächendeckendes Internet auf dem gesamten Globus sicherstellen und damit die Anzahl der Satelliten dramatisch erhöhen. Außer der Versorgung mit Internet dienen die Satelliten auch der Kommunikation und der Navigation, diversen Forschungszwecken oder der intensiven Erdbeobachtung. Die Oberfläche unserer Erde wird also seit Jahren praktisch permanent gescannt und fotografiert.

Maxar-Satelliten: Beobachter potenzieller Tatorte

Vor allem auf das US-Unternehmen Maxar Technologies mit Sitz in Westminster/Colorado, einer der größten kommerziellen Satellitenbetreiber, ist die Öffentlichkeit seit Beginn des Krieges durch Ukraine-Aufnahmen aus dem All aufmerksam geworden. Maxar-Satellitenbilder belegten bereits den russischen Aufmarsch und widerlegten nun laut einem Bericht der "New York Times" Moskauer Behauptungen, dass Leichen getöteter Zivilisten erst nach dem Abzug des russischen Militärs aus Butscha platziert worden seien. Seit 2007 hat das Unternehmen vor allem mit seinen Hochauflösungs-Satelliten der "WorldView"-Serie die Erde im Blick.

Die Aufnahmen, die derzeit über die Medien verbreitet werden, stammen unter anderem vom Satelliten "WorldView 3", einem der derzeit leistungsstärksten Erdbeobachter. Das Forschungsgerät befindet sich seit August 2014 im Orbit und liefert unter anderem der europäischen Raumfahrtagentur Esa wertvolle Daten für die Erdbeobachtung. Allein die fliegenden Augen von Maxar können täglich fünf Millionen Quadratmeter der Erdoberfläche abdecken. Die Auflösung ist enorm: Objekte einer Größe von 30 Zentimetern können aus dem All klar erfasst werden. Spätestens mit der "WorldView Legion"-Flotte aus sechs Satelliten, die laut Unternehmensangaben derzeit nach und nach in eine Umlaufbahn gebracht werden, sollen praktisch Echtzeitbeobachtungen möglich werden; bis zu 15 Mal täglich können Regionen dann gescannt werden.

Zusammenspiel mit Geheimdiensten

Wohl in keinem Krieg zuvor spielten Satellitenaufnahmen eine so große Rolle wie sie es im Ukraine-Krieg tun. Kaum eine Truppenbewegung bleibt noch unerkannt. Geheimdienste, die eigene Hochleistungssatelliten betreiben, deren Aufnahmen in aller Regel geheim bleiben, sehen darin kein Problem. Im Gegenteil: Die öffentlichen, im Internet zugänglichen Aufnahmen versetzen die Dienste in die Lage, eigene Erkenntnisse öffentlich zu machen, ohne die Quellen offenbaren zu müssen.

Es gibt vielmehr ein enges Zusammenspiel. Das National Reconnaissance Office (NRO), ein der CIA unterstellter US-Geheimdienst, der für die gesamte Bildaufklärung zuständig ist, ist der größte Kunde von Maxar. Für 300 Millionen Dollar im Jahr hat sich die NRO den Erstzugriff auf die Bilddaten gesichert; ebenso ein Mitbestimmungsrecht, auf welche Gegenden die Satellitenkameras gerichtet werden. 

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"Wir arbeiten mit 100 Unternehmen zusammen, verwenden derzeit Bilder von mindestens 200 kommerziellen Satelliten und haben ungefähr 20 verschiedene Analysedienste in unserer Pipeline", zitiert die Fachseite "SpaceNews" David Gauthier von der National Geospatial-Intelligence Agency (NGA), die für militärische, geheimdienstliche und kommerzielle kartografische Auswertungen und Aufklärung zuständig ist. Gauthier äußerte sich auf dem 37. Space Symposium in Colorado Springs, das an diesem Donnerstag zu Ende geht.

Als Russland sich auf die Invasion vorbereitete, verstärkten und beschleunigten wir und das NRO diverse Bemühungen, die auf kommerzieller Seite bereits bestanden", so Gaulthier weiter, der keinen Hehl daraus machte, dass die daraus resultierenden Erkenntnisse direkt an das US-Kommando in Europa (Eucom), die Nato und die Ukraine weitergegeben wurden.

Einsatz kommerzieller Satellitenbilder beispiellos

Mehr noch: Durch das Vorantreiben und die vorzeitige Inbetriebnahme von privaten Radarsatelliten (SAR), die eine Beobachtung auch durch dichte Wolkendecken ermöglichen, habe man die ukrainische Armee in die Lage versetzt, zu erkennen, wo sie ihre Verteidigung verstärken mussten, so Gauthier weiter. Über ein Webportal seien die kommerziellen Satellitenbetreiber sogar "direkt mit den Analysten in der Ukraine verbunden" worden. Das Ausmaß, in dem die kommerziellen Satellitendaten eingesetzt werden, sei "bei diesem Einsatz beispiellos", so Gauthier.

Unproblematisch ist die Bereitstellung kriegsrelevanter Daten aus kommerziellen Quellen an einen anderen Staat allerdings nicht. Laut einem Bericht der "Washington Post" befasste sich mit diesem Thema kürzlich eine Senatsanhörung, in der der Kommandant des US Space Command, James Dickinson, keine umfassende Antwort habe geben können. Das Stören von Satellitendaten – entsprechende Versuche soll es schon gegeben haben – werde allgemein noch nicht als Gewaltanwendung verstanden, so Jack Beard, Experte für Weltraumrecht, gegenüber der Zeitung. Was aber, wenn ein Satellit tatsächlich direkt angegriffen werde? "Es ist unklar, ob eine Attacke auf einen kommerziellen Satelliten einen bewaffneten Angriff rechtfertigt", so Beard. Solche Fragen seien ungeklärt, "werden aber mehr und mehr relevant".

Kommerzielle Satelliten als legitime Kriegsziele?

Womöglich schon in diesem Krieg. Nach Ansicht von Brian Weeden vom Thinktank Secure World Foundation könnte ein kommerzieller Satellit, dessen Daten den Kriegsverlauf beeinflussen, als legitimes militärisches Ziel angesehen werden.

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Ein Test russischer Anti-Satelliten-Waffen im November vergangenen Jahres erscheint daher nun in einem anderen Licht. Damals hatte die Zerstörung eines ausgedienten Satelliten für Unverständnis unter den internationalen Raumfahrern gesorgt, da die erzeugten Trümmerteile die Internationale Raumstation ISS zu gefährden drohten. Nun ist durch den Vorfall vor allem klar: Russland besitzt die Mittel, Satelliten im Orbit zu zerstören, und könnte den Fluss an Fotos und Daten, die helfen können, Kriegsverbrechen aufzuklären, beenden.

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