Am 21. September – an dem Tag, als Wladimir Putin die Mobilmachung in Russland verkündete – fand in Tschetschenien zum ersten Mal seit vielen Jahren eine Demonstration gegen die örtlichen Behörden statt. Mehrere Dutzend Frauen protestierten auf dem zentralen Platz von Grosny gegen die Entsendung ihrer Männer und Söhne in den Krieg.
Der unerwartete Protest von einigen Dutzend Frauen hinterließ Eindruck. Der Präsident der Teilrepublik, Ramzan Kadyrow, wandte sich noch am selben Tag mit einer Ansprache an sein Volk. Tschetschenien habe in den ersten Monaten des Kriegs den aus Moskau vorgegeben Mobilisierungs-Plan um 254 Prozent übertroffen. Daher bestehe keine Notwendigkeit, zusätzliche Kräfte zu mobilisieren, verkündete der Mann, der sich den Ruf des Bluthunds Putins erworben hat. Aber um ihnen eine Lektion zu erteilen, seien die Männer der Frauen, die einen Protest gewagt haben, zum Training für ihren Einsatz an der Front geschickt worden.
Er ordnete zudem die Verfolgung von Bürgern an, die Tschetschenien verlassen und ihren Meldeort ändern wollen. "Bisher hat der Dienstverweigerer einen Lohn bekommen, faulenzte zu Hause. Und jetzt, wenn Hilfe benötigt wird, will er abhauen und sein Maschinengewehr wegschmeißen?", polterte der Machthaber. "Ich weiß nicht, was für Kreaturen das sind. Voller Angst fangen sie nun an, die Republik zu verlassen, um nicht in den Krieg zu ziehen. Wir haben genug nutzlose, flüchtende Menschen. Wir werden Männer aus ihnen machen", versprach Kadyrow und drohte: "Entweder wir helfen ihnen, im Dschihad zu sterben, oder wir werden sie umerziehen."
In Bussen zusammengekarrt – die peinliche Putin-Show vor den Mauern des Kremls

Ramzan Kadyrow: "Du bist ein gewöhnlicher Sklave"
Dienstverweigerer sind für Kadyrow aber nicht nur diejenigen, die den Ort ihrer Registrierung ändern wollen, sondern auch diejenigen, die Anträge auf einen Reisepass stellen. Auf seinem Telegram-Kanal wandte sich der tschetschenische Machthaber an seine Untertanen: "Ich rede mit dir, Dienstverweigerer. Du kannst dir alle möglichen Ausreden einfallen lassen. Du kannst das Märchen erzählen, dass dir die Idee des Krieges und das Konzept der Waffen fremd sind. Oder Gewalt für dich nicht akzeptabel ist. Aber wisse, dass du nur ein Feigling, ein Verräter und eine Person zweiter Klasse bist. Du bist ein gewöhnlicher Sklave deiner Hasen-Seele. Du lässt deine Verwandten, Freunde, Bekannte, Heimat, und Stadt im Stich."
Männer werden wohl entführt
Bereits vor der Veröffentlichung dieser martialischen Botschaft Kadyrows berichtete die oppositionelle Bewegung 1ADAT, dass Männer entführt werden, die einen Reisepass beantragt haben. Mehrere Telegrammkanäle der Opposition berichteten, dass die betroffenen Männer in den Stadt- und Bezirksabteilungen des Innenministeriums festgehalten werden würden. Die Behörden würden sie mit Tricks anlocken. Einer der festgehaltenen Männer sei etwa gebeten worden, nochmals bei der Behörde zu erscheinen, bei der er den Reisepass beantragt hat – angeblich um Daten abzuklären.
Ein Angehöriger schilderte gegenüber der Lokalzeitung "Kavkaz.Realii" einen anderen Fall: "Sie haben meinen Neffen zu sich bestellt und gefragt, wozu er einen Reisepass brauche. Und ob er schon Tickets irgendwohin gebucht hat. Sie beschuldigten ihn, weglaufen zu wollen." Erst nachdem sein Neffe irgendein Dokument unterzeichnet habe, sei ihm erlaubt worden zu gehen. "Ich denke, dass er jetzt selbst dann wird nicht ausreisen können, wenn er den Reisepass bekommt. Er wird jetzt in der Russischen Nationalgarde geführt und kann jederzeit zur Übung und dann für den Krieg abgeholt werden", erzählte die Quelle unter der Bedingung der Anonymität.
Tschetschenien will seine Bürger zurückholen
Nachdem Putin die Mobilmachung verkündet hatte, bildeten sich vor der tschetschenischen Migrationsbehörde lange Schlangen, um Reisepässe zu bekommen. Doch die Ausgabe wurde stark eingeschränkt. Zunächst erklärte die Behörde dies mit technischen Problemen. Zuletzt hieß es, dass für die Ausstellung eines Reisepasses eine Erlaubnis des Einberufungsamtes erforderlich sei.
Laut einer Quelle in den tschetschenischen Strafverfolgungsbehörden "werden in der Republik Wege diskutiert, um diejenigen, die (vor der Mobilisierung) in die Türkei geflohen sind, zurückzubringen", berichtet "Kavkaz.Realii". Dies werde man entweder durch "offizielle Anfragen" oder durch Druck auf Angehörige zu erreichen versuchen.
Russland als Besatzungsmacht empfunden
Der oppositionelle tschetschenische Blogger und Aktivist Ansor Maschadow ist sich sicher, dass die Mobilmachung in Tschetschenien fortgesetzt wird. Er ist sich sicher, dass der Chef Tschetscheniens die Massenmobilisierung nicht ablehnen wird, um den Plan vor dem Kreml wiederholt zu "übererfüllen". Kadyrow werde nicht von einer massenhaften Zwangsrekrutierung absehen: "Heute benutzt er das tschetschenische Volk für seine eigenen Zwecke – er verfolgt, erklärt Blutrache, nimmt Ehefrauen und Verwandte als Geiseln, um Einheiten aus Tschetschenen zu rekrutieren. Die Menschen versuchen mit allen Mitteln, dieser Mobilisierung zu entgehen. Sie laufen weg, bestechen, verstecken sich." All dies zeige, wie prekär die Position der russischen Besatzer in Tschetschenien sei. Bis heute werden Russen in Tschetschenien von vielen Einheimischen als Besatzer wahrgenommen.