Krieg in der Ukraine Militärflugzeug stürzt über Russland ab: Was wir wissen und was nicht

Russischer Militärjet mit ukrainischen Kriegsgefangenen abgestürzt – Video zeigt Explosion
Russischer Militärjet mit ukrainischen Kriegsgefangenen abgestürzt – Video zeigt Explosion
© UGC / AP / DPA
Sehen Sie im Video: Russischer Militärjet mit ukrainischen Kriegsgefangenen abgestürzt – Amateuraufnahmen zeigen Explosion.
 
 
 
 
Ein russisches Militärflugzeug ist nach offiziellen Angaben in der russischen Region Belgorod abgestürzt. Dieses Augenzeugenvideo soll den Vorfall zeigen. Die Nachrichtenagentur RIA meldete unter Berufung auf das russische Verteidigungsministerium, an Bord der Maschine hätten sich 65 Kriegsgefangene, sechs Besatzungsmitglieder und drei weitere Personen befunden. Bei dem Flugzeug soll es sich den Angaben zufolge um einen Militärtransporter vom Typ Iljuschin Il-76 handeln. Die Absturzursache war zunächst nicht bekannt. Die Region Belgorod grenzt an die Ukraine. Sie geriet in den vergangenen Monaten immer wieder vom Nachbarland aus unter Beschuss. Bei einem Raketeneinschlag im Dezember wurden 25 Menschen getötet.
Ein russisches Militärflugzeug vom Typ Iljuschin Il-76 ist beim Anflug auf den Flughafen Belgorod abgestürzt. Russland behauptet, die Ukraine habe das Flugzeug abgeschossen und neben der Crew auch 65 ukrainische Kriegsgefangene getötet. Was ist da dran?

Nach dem Absturz eines russischen Flugzeugs haben sich die Regierungen in Moskau und Kiew am Mittwoch gegenseitig mit Vorwürfen überzogen. Dem russischen Außenministerium zufolge schoss die Ukraine eine Transportmaschine des Militärs mit ukrainischen Kriegsgefangenen ab, die Teil eines Tausches sein sollten. Alle 74 Menschen an Bord seien bei dem Absturz in der Grenzregion Belgorod ums Leben gekommen. 

Es handele sich um einen "barbarischen Terrorakt". Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verlangte am Mittwochabend eine vollständige Aufklärung des Vorfalls. Er warf der Regierung in Moskau in seiner abendlichen Videoansprache vor, "mit dem Leben der ukrainischen Kriegsgefangenen zu spielen".

Russland sieht nach dem Absturz seines Militärflugzeugs vom Typ Iljuschin Il-76 in der Grenzregion Belgorod nach Kremlangaben weiteren Klärungsbedarf. "Es ist noch nicht bis zum Ende geklärt, was passiert ist, gestern erst haben die Ermittler damit begonnen, die Überreste des Flugzeugs zu untersuchen", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Donnerstag russischen Agenturen zufolge. Er hatte sich am Mittwoch, als die Maschine im Gebiet Belgorod abgestürzt war, zunächst nicht geäußert. In der Ukraine war zwar bestätigt worden, dass für den Tag ein Austausch geplant gewesen war. Kiew hat sich aber nicht zu Gefangenen an Bord der Maschine geäußert.

Was als sicher gilt

Im Grunde ist bislang nur klar, dass ein russisches Militärflugzeug vom Typ Iljuschin Il-76 in der Grenzregion Belgorod gegen 11.15 Uhr am Mittwoch abgestürzt ist. Außerdem haben russische Behörden die Namen des getöteten Piloten und weiterer fünf Besatzungsmitglieder veröffentlicht. "Das ist für alle ein nicht wieder gutzumachender Verlust. Unser Beileid gilt den Familien und Freunden der Helden", teilten die Behörden der Region Orenburg am Donnerstag mit. Ein vom Verifikationsteam von stern und RTL für echt befundenes Video zeigt den Absturz. Der Absturzort liegt bei Jablonovo, knapp 50 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt.

Absturzursache der Militärmaschine in Russland

Im Absturzvideo ist am Ende ein Rauchpilz in der Luft zu sehen. Das könnte auf den Einschlag einer Rakete hinweisen, schließt aber auch eine andere Ursache nicht aus. Dieses Indiz deutet darauf hin, dass es in der Luft eine Explosion gegeben hat. Ein technischer oder menschlicher Fehler ist daher eher unwahrscheinlich. Russland beschuldigt die Ukraine, das Flugzeug abgeschossen zu haben. Die Führung der ukrainischen Streitkräfte und des ukrainischen Geheimdienstes räumte auf "Telegram" indirekt und sehr vage ein, dass die Streitkräfte des Landes am Absturz des Flugzeugs beteiligt sein könnten.

Die Ukraine fordert eine internationale Untersuchung zum Absturz des Flugzeugs, das nach Angaben aus Moskau Kriegsgefangene transportiert haben und von der Ukraine abgeschossen worden sein soll. Er werde sich deswegen an die Vereinten Nationen (UN) und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz wenden, sagte der ukrainische Ombudsmann Dmytro Lubinets im staatlichen Fernsehen. Der ukrainische Geheimdienst SBU hat bereits Ermittlungen eingeleitet: Der SBU habe "eine strafrechtliche Untersuchung des Abschusses eines IL-76-Flugzeugs der russischen Luftwaffe in der Region Belgorod eingeleitet", hieß es in einer Erklärung des Geheimdiensts am Donnerstag.

Wer oder was war an Bord?

Laut Russland befanden sich neben der Crew drei Wachleute sowie 65 ukrainische Kriegsgefangene auf dem Weg zu einem Gefangenenaustausch. Die Ukraine ging und geht davon aus, dass die Maschine Munition an Bord hatte. Gegen Russlands Behauptung spricht, dass am Absturzort bislang nur wenige Leichen gefunden worden sein sollen – bei mehr als 70 Toten erscheint das doch eine zu geringe Anzahl. 

Die russische Propagandistin Margarita Simonyan hat eine Liste von 65 Gefangenen veröffentlicht, die sich angeblich an Bord der Il-76 befanden. Die Echtheit der Liste wurde von anderen Quellen nicht bestätigt. Auf der Liste finden sich laut russischem Exilmedium "Meduza" auch 52 Namen von Kriegsgefangenen, die die Kriegsgefangenen-Website "Wartears.org" ebenfalls aufzählt – darunter einer, der bereits drei Wochen vor dem Absturz ausgetauscht wurde. Später wurde diese Angabe auf "Wartears.org" laut "Meduza" korrigiert.

War die Ukraine über möglichen Gefangenentransport informiert?

Der ukrainische Militärgeheimdienst GRU sei 15 Minuten vor dem Einflug der Transportmaschine in das betroffene Grenzgebiet gewarnt worden, sagte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses in der Duma, Andrej Kartapolow. Der GRU habe der russischen Seite auch bestätigt, dass er die Information über das Flugzeug erhalten habe, das auf dem Weg zu einem Gefangenenaustausch gewesen sei, fügte der General im Ruhestand mit engen Verbindungen zum Verteidigungsministerium hinzu.

Der GRU hatte dagegen erklärt, er sei weder informiert worden, wie Russland die Gefangenen zum Übergabepunkt bringen würde, noch aufgefordert worden, die Sicherheit des Luftraums zu gewährleisten, wie es sonst bei einem Gefangenenaustausch der Fall gewesen sei.

Absturz russischer Transportmaschine: Selenskyj: Russland spielt mit Leben ukrainischer Gefangener
Selenskyj: Russland spielt mit Leben ukrainischer Gefangener

Sollten überhaupt ukrainische Kriegsgefangene an Bord gewesen sein und die ukrainischen Stellen hätten davon gewusst, hätte das Militär das Flugzeug wohl auf keinen Fall beschossen. Sollten keine Kriegsgefangenen an Bord oder die Ukraine nicht darüber informiert gewesen sein, wäre die russische Militärmaschine ein legitimes Ziel im Krieg gewesen.

Fazit

Zum jetzigen Zeitpunkt (Donnerstag, 13.20 Uhr) deutet vieles darauf hin: Das russische Flugzeug wurde abgeschossen – wahrscheinlich von der Ukraine. Kriegsgefangene waren eher nicht an Bord, sonst wären schon jetzt mehr Leichen oder Körperteile gefunden worden. Aber für ein abschließendes Urteil ist es noch viel zu früh.