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Russland Zyperns Retter in der Not

Zypern bringt die EU in die Bredouille. Plötzlich rückt Russland in den Mittelpunkt. Putin schwingt sich zum Retter in letzter Not auf - er hat gute Gründe dafür.
Eine Analyse von Thomas Schmoll

Die Euroretter haben sich in den vergangenen drei Jahren einen Stehsatz an Beschwörungsformeln zugelegt, aus dem sie bei Bedarf zitieren können oder müssen. Zu diesem Repertoire gehören "ausreichend Vorsorge getroffen" und "keine negativen Auswirkungen auf den Rest der Eurozone". Am Dienstagabend musste Wolfgang Schäuble wieder einmal eine dieser Floskeln bemühen. "Wir haben ausreichend Vorsorge getroffen, dass die heutige Entscheidung auf Zypern keine negativen Auswirkungen auf den Rest der Eurozone haben wird", sagte der Finanzminister. Zwei Stunden zuvor hatte das Parlament in Nikosia das Hilfspaket für Zypern abgelehnt und damit die Eurokrise verschärft. Nun hängen Schäuble, seine Kollegen und die Regierungschefs der Eurostaaten wieder permanent am Telefon und beraten mit der Europäischen Zentralbank (EZB), der EU-Kommission und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) die entscheidende Frage: Was nun?

Das kleine Zypern hat es geschafft, den Kontinent wieder dorthin zu bringen, wo er seit Monaten nicht mehr war und nie wieder hin sollte. Seit EZB-Präsident Mario Draghi die "Bazooka" auspackte und erklärte, dauerhaft und in unbegrenztem Umfang Staatsanleihen von Ländern am Rande des Bankrotts zu kaufen, wenn die Zinsen rapide steigen, war Ruhe an der Eurorettungsfront. Jetzt ist die Lage wieder fragil und kompliziert. Egal, wie der Konflikt zwischen dem Inselstaat und seinen internationalen Partnern ausgeht - ein Risiko bleibt. Und plötzlich erscheint ein Player am Horizont, der sich bisher weitgehend aus der Krise herausgehalten hatte: Russland. Ausgerechnet das Land, das dabei ist, die Demokratie abzuschaffen, ist dabei, sich für das alte Europa zum Retter in letzter Not aufzuschwingen.

Verwunderlich ist das nicht. Präsident Wladimir Putin hat die Steueroase im Mittelmeer zu seinem Interessengebiet erklärt, weil dort Tausende seiner Landsleute volle Konten haben. Keine Kleinsparer, sondern Multimillionäre und Milliardäre, die nun 9,9 Prozent ihres dort angelegten Geldes - wohl 20 bis 40 Milliarden Euro - berappen sollen, um Zypern vor der Pleite zu bewahren.

Zypern als Russlands Geldwaschanlage

Die Euroretter sehen darin einen gerechten Beitrag zur Bewältigung der Krise. In Russland ist von "staatlichem Bankraub", "Piratentum", "Bolschewismus" und "Geiselhaft" die Rede. Der Kreml nennt es ein "Element der Respektlosigkeit", weil ihn die EU-Staaten nicht über die Anti-Staatspleiteabgabe informiert hatten. Präsident Putin hält sie für "unfair, unprofessionell und gefährlich". Die "Moscow Times" schrieb gar: "Europäische Parasiten ernähren sich von Zypern und Russland". Die Moskauer Tageszeitung "Nesawissimaja Gaseta" klagte, dass "die Europäer ihre Probleme faktisch auf Kosten russischer Aktiva" regelten. Die Wut richtet sich vor allem dagegen, dass russische Industrielle mit Geld auf der Insel seit Monaten in der europäischen Presse, der deutschen voran, als Mafiosi und Zypern als deren Geldwaschanlage dargestellt werden.

Die Eurostaaten haben zurückhaltend auf das verbale Geholze Putins reagiert. Einen Konflikt mit Russland können und wollen sie sich nicht leisten - nicht nur politisch, sondern auch, weil die Moskauer Regierung 40 Prozent ihrer Reserven in Euro angelegt hat. Der Kreml wiederum hat also ebenfalls Interesse daran, den Euro als stabile und starke Währung zu erhalten, zumal es mit den russischen Staatsfinanzen nicht zum Besten steht. Es gibt einen weiteren Grund, warum die Regierungen der Eurostaaten damit rechnen können, dass Russland seinen Beitrag zur Rettung Zyperns leistet: die engen Verflechtungen zyprischer und russischer Banken. Sollte der Inselstaat pleitegehen, wären russische Finanzkonzerne schwer getroffen. Insofern sind Putins verbale Attacken in Richtung Berlin und Brüssel auch Show. Gelingt es ihm, Landsleute vor einem herben Verlust zu bewahren, profiliert er sich nach innen. Außenpolitisch kann Putin, der wegen seines autokratischen Regierungsstils in Europa massiv an Ansehen verloren hat, Boden gutmachen, indem er sich als stabiler Anker in der Krise darstellt, der Europa vor dem Abgrund bewahrt.

Horrorszenario: Staatspleite ohne Wenn und Aber

Russland wird sich wohl an einem Hilfspaket für Zypern stärker beteiligen als bisher angedacht. Sonst stünde Putin als Politiker mit großer Klappe da, der seinen Ansagen keine Taten folgen lässt. Aber wie dann weiter? Woher sollen die 5,8 Milliarden Euro kommen, die Zypern selbst zu seiner Rettung beitragen soll, aber nicht beisteuern will? Die anderen Eurostaaten werden sich hüten, an dieser Stelle nachzugeben, weil sie sonst an Glaubwürdigkeit verlören. Hier kommt maximal infrage, dass der Eigenanteil Zyperns reduziert wird. Das allerdings würde bedeuten: mehr Kredite aus dem Ausland. Und steigen die, steigt die Verschuldung - ein Teufelskreis. Denkbar wäre, dass reiche Anleger mit mehr als den geplanten 9,9 Prozent Sonderabgabe belastet werden. Dann aber wäre Zyperns Ruf als attraktive Steueroase für immer verloren, Kapitalflucht die Folge. Die Schäden wären - besonders unter dem Aspekt der Langzeitwirkung - beträchtlich. Wie soll das kleine Land dann jemals wieder auf die Beine kommen? Allein durch Tourismus und Ausbeutung seiner Gasvorkommen wird das kaum zu machen sein. Also bleiben noch Steuererhöhungen, der Verkauf von Staatseigentum - oder eben doch zurück auf Anfang, was hieße, alle Zyprer zur Kasse zu bitten.

Das Horrorszenario wäre die Staatspleite ohne Wenn und Aber. Die wirtschaftlichen Verwerfungen wären sicherlich zu verkraften, der Gau bliebe vermutlich aus, da Zypern schlicht zu unwichtig für Europas Wirtschaft ist. Doch alle Bemühungen der Euroretter, endlich wieder für dauerhaftes Vertrauen in der Währungsunion zu sorgen, damit Italien, Spanien und Frankreich nicht tiefer in den Sog der Krise geraten, erhielten einen Rückschlag von nicht absehbarer Wirkung. Dann würde vielleicht sogar die Feuerkraft von Draghis "Bazooka" nicht mehr ausreichen, die Situation dauerhaft zu befrieden.

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