Das hier ist kein Märchen aus 1001 Nacht, auch wenn es im Königspalast in Dschidda, dem Sommersitz der saudischen Königsfamilie, so aussieht. An den Decken funkeln die Kronleuchter mit dem goldenen Stuck um die Wette, die Empfangshalle so groß wie das Wembley-Stadion, die Eingänge bewacht von den Leibwächtern des Königs mit goldenem Krummdolch vor dem Bauch und Patronengürtel um die Schultern.
König Salman bin Abdelaziz Al Saud schreitet herein, gemächlichen Schrittes, gestützt auf einen Stock, er ist nicht mehr der Jüngste, 81 Jahre alt. An seiner Seite, nein, nicht die Königin, Frauen haben in der Männerdynastie Saudi-Arabien so gut wie nichts zu melden. Es ist die Kanzlerin aus Deutschland, die neben ihm geht, in einem türkisfarbenen Jackett, als wolle sie in dieser schwarz-weißen Welt ein Zeichen setzen. Merkel begrüßt die Honoratioren links und rechts des langen Wegs zu ihrem Platz mit Kopfnicken.
Als sie an den mitgereisten deutschen Journalisten vorbeikommt, die nur unter der Bedingung mit in den Palast durften, dass sie ihre Handys draußen lassen, weil hier drinnen fotografieren strikt verboten ist, da will die Kanzlerin dem König wohl zeigen, dass sie auch etwas mitgebracht hat. Also sagt sie zu ihm: "Das hier sind unsere Journalisten". Es klingt so, als gehörten die Journalisten ihr, was in diesen Zeiten, da den Medien allenthalben vorgeworfen wird, mit den Mächtigen unter einer Decke zu stecken, natürlich kein schönes Etikett ist. König Salman nickt nur stumm, er hat eh keinen Schimmer, was freie Presse ist.
Selbst in Saudi-Arabien gerät die Welt aus den Fugen
Willkommen in Saudi-Arabien, in Dschidda am Roten Meer, knapp 40 Grad Celsius, die Luft so feucht wie ein nasses Handtuch. Die Kanzlerin ist zum dritten Mal in diesem unvorstellbar reichen, atemberaubend konservativen Land. 30 Millionen Einwohner, ein strenger Islam als Staatsreligion, eine absolutistisch herrschende Königsfamilie, das Öl als Allheilmittel. So war es jedenfalls bisher. Selbst in Saudi-Arabien jedoch ist die Welt ein ganz klein wenig aus den Fugen geraten. Der Ölpreis fällt, in der Staatskasse klafft ein gewaltiges Loch. Der Erzfeind Iran befreit sich gerade von den Fesseln der westlichen Sanktionspolitik. Und eine schnell wachsende, junge Bevölkerung verlangt nach Änderungen im Land, auch was die Rolle der Frauen betrifft. In Saudi-Arabien bewegt sich etwas. Das Land hat sich eine Agenda 2030 verordnet: weg vom Öl, mehr Privatwirtschaft, mehr berufstätige Frauen.
Hier drin im Königspalast ist davon nichts zu spüren. Die saudische Männerwelt präsentiert ihren Reichtum. Das königliche Protokoll hat Berge von Essen aufgetan. Die Kanzlerin an der Tafel verschwindet hinter riesigen Fleischtellern voll mit Lamm und Huhn. Um sie herum wirbeln Heerscharen von Dolmetschern, Protokollbeamten, Leibwächtern, Soldaten. Die Kellner, allesamt Filipinos, wie so viele Gastarbeiter aus einem ärmeren islamistischen Bruderstaat, servieren mehrere Gänge der "Saudi Cuisine", wie es in der kunstvoll gestalteten Speisekarte heißt. Unter den einheimischen Gästen - keine einzige Frau.
Es soll kein Zeichen des Protest sein, dass die Kanzlerin ihr Lamm nicht anrührt. Kein Problem für die Gastgeber. Sie haben ihr mit dem toten Tier ihren Respekt erwiesen, das war ihnen wichtig. Angela Merkel hat den Saal noch gar nicht verlassen, da fallen die Soldaten und Beamten schon über das Essen her, als gäbe es kein Morgen. Das Silberbesteck lassen sie links liegen, sie greifen einfach mit den Händen zu.
Wahlkampf mit Weltpolitik
Saudi-Arabien ist eine Reise in eine fremde Welt, ein Kulturschock. Politisch sind Merkel und der saudische König Lichtjahre voneinander entfernt. Aber deshalb nicht hinfahren? Ist ja auch keine Lösung. Trotz der Verletzung vieler Menschenrechte, der Verfolgung Homosexueller, der Unterdrückung der Frauen. Aus Sicht der Bundesregierung ist Saudi-Arabien "dramatisch wichtig" für die Lösung der vielen Konflikte in der arabischen Welt: Ohne Saudi-Arabien kein Frieden in Syrien, keine Eindämmung des iranischen Einflusses, kein erfolgreicher Kampf gegen den IS. Mal abgesehen davon, dass sich deutsche Unternehmen in dem zahlungskräftigen Land gute Geschäfte erhoffen.
So absolviert die Kanzlerin eines ihrer berühmt-berüchtigten Speeddatings: Treffen mit dem König, Gespräch mit dem Kronprinzen, Abendessen mit dem Stellvertretenden Kronprinzen. Saudi-Arabien in nur neun Stunden. Sie hat ja schließlich nicht ewig Zeit. An diesem Montag steht schon Abu Dhabi auf dem Programm, und am Dienstag trifft sie Russlands Präsidenten Wladimir Putin in Sotschi. Da kann der Martin Schulz ruhig mal staunen, was eine Kanzlerin im Wahlkampf so macht: Weltpolitik.
Angela Merkel spricht Fall des Bloggers Raif Badawi an
Die Themenliste bei den Gesprächen in Dschidda ist lang: Antiterrorkampf, Kriege, Klimaschutz, Wirtschaft, Frauenrechte, der G20-Gipfel in Hamburg. Da trifft es sich gut, dass die Saudis kurz vor Beginn des Besuches erklärt haben, momentan kein Interesse an neuen Waffenlieferungen aus Deutschland zu haben. Ein Reizthema weniger.
Umso leichter fällt es den Deutschen, Saudi-Arabien sicherheitspolitische Hilfe zu versprechen. Künftig sollen saudische Militärangehörige in Deutschland ausgebildet werden. Wieviele, wer genau, wo - all das ist noch offen. Auch eine Absichtserklärung zur polizeilichen Zusammenarbeit ist unterzeichnet worden. So soll die Bundespolizei saudische Grenzschützerinnen und Polizistinnen ausbilden.
Merkel spricht auch heikle Themen an, etwa die Todesstrafe und den Fall des inhaftierten Bloggers Raif Badawi. Sie weiß, dass sie damit nichts erreicht. "Wir werden natürlich an den dicken Brettern der Menschenrechte weiter bohren", sagt sie anschließend. Merkel kritisiert auch die Rolle Saudi-Arabiens im Jemen. Gegen den ausdrücklichen Rat ihres wichtigsten Verbündeten USA bombardieren die Saudis mit einer Allianz kleinerer Staaten die schiitischen Huthi-Milizen im südlichen Nachbarland. Die Kanzlerin mahnt eine diplomatische Lösung an. Jemen, das ärmste Land der arabischen Welt, steht am Rande des Abgrunds. Millionen von Jemeniten droht eine Hungersnot. Der Westen befürchtet, dass von der Instabilität im Jemen vor allem Al Qaida und der IS profitieren. Die Kanzlerin glaubt, dass Saudi-Arabien dabei Kraft verliert, die es für die Beendigung des Syrienkrieges dringend bräuchte.
Kanzlerin ohne Hijab und Abaya
Merkel ist übrigens, im Gegensatz zur Landessitte, ohne Hijab, also ohne Kopftuch, und ohne Abaya, den langen Umhang, unterwegs. Das akzeptieren die Saudis inzwischen klaglos. Als die Kanzlerin am Nachmittag mit ein paar Frauen zum Gespräch zusammentrifft, tragen alle traditionelle Kleidung, egal ob die Herausgeberin der englischsprachigen Zeitung "Saudi Gazette", die Frauenbeauftragte des Präsidenten der Sportbehörde - übrigens eine Prinzessin der Königsfamilie - oder die stellvertretende Uni-Dekanin. Sie berichten Merkel allerdings davon, dass sich die Lage der Frauen im Land langsam verbessert. Sie dürfen zwar immer noch nicht selbst Auto fahren und ohne ihren Mann nicht ins Ausland reisen. Aber in vielen Bereichen schwindet die Vormachtstellung des Mannes, wenn auch langsam. Seit Februar hat die saudi-arabische Börse zum ersten Mal eine Frau zur Chefin. Sie sagt: "Saudi-arabische Frauen sind schlauer, als viele denken."
Angela Merkel nennt den Modernisierungsdruck, unter dem das Land steht, hintersinnig eine "interessante Phase" für Saudi-Arabien. Was das praktisch bedeutet, kann sie am Abend selbst erleben. Als der Stellvertretende Kronprinz Muhammad bin Salman, der junge Sohn des Königs und Erfinder der "Vision 2030", die Kanzlerin zum Abendessen einlädt, sitzen plötzlich zwei Frauen mit am Tisch, eine Parlamentsabgeordnete und Sarah Al Suhaimi, die Chefin der Börse. Fast schon eine kleine Revolution, jedenfalls für das konservative islamische Königshaus.