Pippi Langstrumpf dürfte sich auf der Liste wiederfinden. Genauso wie die Kinder aus Bullerbü. ABBA sicherlich auch. Und wahrscheinlich auch Håkan Nessers Krimis.
Alles kulturelle Werke und Kulturschaffende aus Schweden, die vielleicht in einen "Kulturkanon" kommen. Einen solchen will die neue Regierung des Landes schaffen. Somit soll definiert werden, welche kulturellen Werke des Landes wichtig sind – oder eben nicht.
"Kulturkanons" gibt es bereits in anderen Ländern. Dänemark und Ungarn haben sie etwa.
Expertenausschüsse sollen Vorschläge für "Kulturkanon" machen
Ulf Kristersson, der neue konservative Ministerpräsident, sagte bei einer Regierungserklärung im Oktober vor dem schwedischen Parlament in Stockholm: "Kultur und ihre Praktiker sind ein unverzichtbarer Bestandteil der Zivilgesellschaft und halten den demokratischen Diskurs lebendig." Die Kultur und "unsere gemeinsame Geschichte bilden die Grundlage für unsere gemeinsame Identität". Sie schaffe Zusammenhalt und verbessere das Verständnis füreinander.
Daher will die Regierung – bestehend aus Liberalen, den konservativen Moderaten und Christdemokraten – unter anderem die Möglichkeiten für alle fördern, Kultur zu erleben. Sie will ein lebendiges kulturelles Erbe fördern, das "bewahrt, genutzt und weiterentwickelt wird". Und sie will einen "Kulturkanon". Unabhängige Expertenausschüsse sollen Vorschläge für diesen erarbeiten.
Daran stört sich aber genau die Kulturszene.
Abba - wie Sie sie die Gruppe noch nie gesehen haben

Rechts: Anni-Frid "Frida" Synne Lyngstad 1956 im Alter von elf Jahren. Als Tochter einer Norwegerin und eines deutschen Besatzungssoldaten hatte sie keine leichte Kindheit. Ihre Mutter starb noch vor ihrem zweiten Geburtstag, ihren Vater lernte sie erst 1977 kennen.
Das Problem mit der "Armlänge Abstand"
Anna Troberg, Vorsitzende des Kulturverbandes DIK, sagte in einem Beitrag in der Tageszeitung "Svenska Dagbladet", dass die Regierung ihre Absichten im Bereich der Kultur klarstellen müsse. "Schweden braucht keinen kulturellen Kanon. Schweden braucht eine lebendige Kulturschule, gut ausgestattete Schulbibliotheken und einen gestärkten und gut finanzierten Kultursektor."
Der "Kulturkanon" sei aus ihrer Sicht nicht mit dem langjährigen Prinzip der "Armlänge" vereinbar. Dies sieht vor, dass sich die Politik aus der Kultur heraushält. Kristersson hatte in seiner Rede betont, dass die "Armlänge Abstand" den "Kultursektor von Politisierung und unangemessener Einflussnahme" befreit.
Es sei gut, dass die Wichtigkeit dieser Armlänge betont wurde, so Troberg in einer Mitteilung. "Gleichzeitig regieren sie mit der Unterstützung der Schwedendemokraten, einer Partei mit einer ideologisch instrumentellen Auffassung von Kultur, was natürlich eine gewisse Unsicherheit schafft. Das setzt auch die neue Kulturministerin unter Druck, sich wirklich für die freie Kultur und diese 'Armlänge' einzusetzen."

Angst vor Einfluss der Schwedendemokraten
Der Vorschlag, einen schwedischen "Kulturkanon" zu entwickeln, berge "im schlimmsten Fall die Gefahr einer Verkleinerung der Armlänge und ist im besten Fall ein Schuss ins Blaue." Die Kultur solle "frei sein von der Enge eines schmalen Pfades".
Troberg bezieht sich mit der "ideologisch instrumentellen Auffassung von Kultur" der Schwedendemokraten auf deren Kulturpolitik. Im Grundsatzprogramm der Partei etwa stehen Sätze wie: "Kulturelle Impulse, die von Machthabern oder Gruppen, die sich nicht als schwedisch verstehen, in die schwedische Gesellschaft eingepflanzt werden, betrachten wir nicht als Teil der schwedischen Kultur, sondern eher als eine Form des Kulturimperialismus, ohne dass sie an die schwedischen Verhältnisse angepasst werden."
Oder: "Es liegt auf der Hand, dass einige Kulturen die grundlegenden Menschenrechte, die Demokratie und den materiellen Wohlstand, eine gute Gesundheitsversorgung, ein hohes Bildungsniveau und die Gleichheit vor dem Gesetz besser aufrechterhalten als andere."
Die Mitte-Rechts-Regierung Kristerssons ist auf die Unterstützung der Schwedendemokraten im Parlament angewiesen, um eine Mehrheit zu bekommen. Das gibt der Partei starken Einfluss auf die Regierung und deren Politik.
Kritik an "Drag Queen Story Hour" in Schweden
"Die SD (Schwedendemokraten) wird sich auf die Kulturpolitik auswirken, so viel ist klar", sagt Andreas Johansson Heinö von der Denkfabrik Timbro in der Gewerkschaftszeitung "Arbetsvärlden". Denkbar sei, dass die Schwedendemokraten Gesetzen der Regierung zustimme – im Gegenzug für deren Zustimmung zu ihrer Kulturpolitik.
Die Schwedendemokraten räumten der Kulturpolitik, relativ gesehen, eine viel höhere Priorität ein, so Heinö. Kulturthemen seien ein wichtiger Teil der Vision der Partei für die schwedische Gesellschaft. Der Politikwissenschaftler Niklas Bolin sagte "Arbetsvärlden", dass die Schwedendemokraten die Kultur als eine Möglichkeit sehen würde, "dauerhafte und weitreichende Werte zu festigen, denen wir in der Gesellschaft entsprechen sollten".
Jetzt schon machen Politiker der Schwedendemokraten Druck auf die Kultur – allerdings auf lokaler Ebene. So berichtete unter anderem das LGBTQ-Medium "QX", dass ein SD-Lokalpolitiker der Partei eine "Drag Queen Story Hour" im November in der Stadt Kalmar als "ekelhaft" und "pervers" bezeichnete. Bei diesen Veranstaltungen touren Drag Queens durch Bibliotheken und lesen Kindern Büchern vor.
Vieles unklar rund um "Kulturkanon"
Nach der Attacke wurden Bibliotheken in Südschweden, die die Geschichtenerzähler gebucht hatten, mit Hass und Drohungen konfrontiert, wie "QX" weiter berichtete.
Besagter SD-Lokalpolitiker ist Jonathan Sager aus Kalmar. Er forderte, dass Inhalte der Bibliotheken und Vorschulen der Gemeinde Kalmar überprüft werden sollen. Er sei der Meinung, dass Geld für unangemessene und anstößige Inhalte für Kinder ausgegeben wird, sagte er in einem Interview im Radiosender P4 Kalmar. Sager kritisierte schon häufiger solche "Drag Queen Story Hour", wie sein Twitter-Profil zeigt.
Ob dieser Fall ein Vorbote für den Einfluss der Schwedendemokraten auf die Kultur des Landes ist oder nur ein lokalpolitischer Streitfall lässt sich noch schwer sagen. Ebenso ist unklar, wann der "Kulturkanon" kommt, den unabhängige Expertenausschüsse schaffen sollen. Oder wo er zur Anwendung kommen soll.
Ideen für den Kulturkanon: ABBA und die Stockholmer Moschee
Eine erste kulturelle Institution stellt sich schon quer. Die Schwedische Akademie, deren Aufgabe es ist, schwedische Sprache und Literatur zu fördern, will sich nicht am Kanon beteiligen, sagte deren Ständiger Sekretär Mats Malm der Zeitung "Dagens Nyheter". Der "Kulturkanon" sei "ein Konzept, das von Macht und Machtausübung durchdrungen ist".
Positiver eingestellt hingegen ist Torbjörn Forslid von der Universität Lund. "Da viele Menschen den informellen Kanon, der in Schweden ohnehin existiert, nicht kennen, könnte eine formelle Liste zu einer Demokratisierung führen", sagte er "Dagens Nyheter". Er plädiert allerdings für mehrere Kanons. Zum Beispiel einen für Grundschulen, einen für Universitäten, einen mit internationalen Werken.
Und was könnte nun in diesem "Kulturkanon" stehen? Die Nachrichtenseite "Dagens Arena" aus Schweden hat da ein paar Ideen:
- "Waterloo" von ABBA
- "Mozart Brothers" von Suzanne Osten
- "Jerusalem" von Selma Lagerlöf
- Die Stockholmer Moschee
- Die große Synagoge in Stockholm von Fredrik Wilhelm Scholander
- Und natürlich: Pippi Langstrumpf von Astrid Lindgren
Quellen: Regierungserklärung Kristersson, Schwedens Regierung, DIK, "Svenska Dagbladet", SVT, Sveriges Radio, "Dagens Arena", "Dagens Nyheter", "Süddeutsche Zeitung", "Biblioteksbladet", "Göteborgs Posten", Twitter Jonathan Sager, Drag Story Hour, QX, "Arbetsvärlden", Grundsatzprogramm Schwedendemokraten