Wenige Stunden bevor der libanesische Präsident Michel Suleiman zu seinem Staatsbesuch nach Syrien aufbricht, explodierte in einer belebten Einkaufsstraße im Zentrum der nordlibanesischen Stadt Tripoli eine Bombe. Mindestens elf Menschen wurden getötet. Der Sprengsatz wurde in der Nähe eines Busses gezündet, in dem auch Soldaten saßen. Der Anschlag macht deutlich, wie fragil die Sicherheitslage im Libanon noch immer ist: In den vergangenen Wochen war es immer wieder zu schweren Gefechten zwischen sunnitischen Unterstützern der anti-syrischen Regierungsmehrheit und pro-syrischen Aleviten gekommen.
Zwar hat sich bislang niemand zu dem Terrorakt bekannt, doch Zeitpunkt und Ziel deuten darauf hin, dass die Täter offenbar den Ablauf des geplanten Gipfeltreffens des früheren Armeechefs Suleiman mit seinem syrischen Amtskollegen Baschar al Assad stören wollten. Es ist der erste Besuch eines libanesischen Staatspräsidenten in Damaskus seit dem Ende der syrischen Besatzung des Libanons. Die beiden Staatschefs wollen die äußerst angespannten Beziehungen zwischen den Nachbarstaaten verbessern. Im Zentrum der Gespräche soll der Aufbau diplomatischer Beziehungen stehen. Die libanesischen Medien bezeichnen den Gipfel daher schon vorab als "historisch".
Ein erster Schritt zu einem neuen Verhältnis
Beide Staaten verbindet eine bewegte Geschichte: Die ehemalige Mandatsmacht Frankreich schnitt 1920 den Libanon aus dem Gebiet des früheren Großsyrien heraus. Die Unabhängigkeit des kleinen Nachbarstaates hat Damaskus aber nie anerkannt. Nun jedoch scheint es, als ändere Syrien seine Strategie: Präsident Baschar al Assad hatte während des Gründungsgipfels der Mittelmeerunion Mitte Juli angekündigt, erstmals in der Geschichte beider Länder diplomatische Beziehungen aufnehmen zu wollen. "Es wäre ein erster Schritt, der den Anbruch einer neuen Ära im Verhältnis zwischen Syrien und dem Libanon markieren könnte", sagte Paul Salem, Leiter des Carnegie Middle East Center in Beirut. "Andererseits wird allein der Austausch von Botschaftern Syrien nicht daran hindern, sich weiter im Libanon einzumischen."
Nahezu 30 Jahre lang hatte Syrien sein Nachbarland besetzt und konnte dessen Politik als Schutzmacht dominieren. Erst im Frühjahr 2005, in Folge der Ermordung des libanesischen Ex-Ministerpräsidenten Rafiq al Hariri, zogen die syrischen Truppen ab. Das Regime in Damaskus steht bis heute unter Verdacht, in den Anschlag verwickelt zu sein.
Syrien beeinflusst noch immer die Politik im Libanon
Über seine Verbündeten, maßgeblich die militante Hisbollahbewegung, beeinflusst Syrien auch weiterhin das Geschehen im Libanon. Schon der Verlauf der politischen Bruchlinien im Libanon macht deutlich, wie stark das Verhältnis zu Syrien die Innenpolitik des Landes bestimmt: Auf der einen Seite steht ein sunnitisch dominiertes anti-syrisches Bündnis, auf der anderen Seite die pro-syrische Koalition, die von der schiitischen Hisbollah angeführt wird. 18 Monate lang hatte der zähe Machtkampf zwischen den beiden Lagern die Politik des Libanon vollständig gelähmt. Der Streit eskalierte Anfang Mai, als ein bewaffneter Aufstand der Hisbollah und ihrer Verbündeten landesweite Unruhen auslöste. Zur Beilegung der Krise einigten sich die Parteien auf die Bildung einer "Regierung der nationalen Einheit", innerhalb derer dem Hisbollah-geführten Bündnis ein Vetorecht eingeräumt wurde.
Dadurch konnte Syrien seinen Einfluss innerhalb des Libanons sowie in der gesamten Region deutlich festigen. "Die Syrer fühlen sich mit der neuen Regierung sehr viel wohler: Es ist die Regierung, die Syrien in Beirut sehen wollte", sagte Andrew Tabler, politischer Analyst in Damaskus. Damit sei zunächst eine grundlegende Voraussetzung für eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen den beiden Ländern geschaffen. Al Assads Zusage, diplomatische Beziehungen zum Libanon aufbauen zu wollen, wertet er zudem als direkte Folge von Syriens Teilnahme an dem Gipfel in Paris. "Es ist ein Zugeständnis gegenüber Europa", so Tabler. "Es wäre ein symbolischer Schritt und würde Syrien nicht viel kosten." Mit seiner Einladung hatte Frankreich die jahrelange internationale Isolation Syriens aufgehoben und das Regime im Westen praktisch wieder hoffähig gemacht.
Grenzfrage ist weiterhin ungeklärt
Doch selbst, wenn es tatsächlich zum Austausch von Botschaftern kommt, blieben noch zahlreiche Fragen im Verhältnis zwischen den beiden Staaten offen. Dazu zählen vor allem mehrere hundert libanesische Häftlinge in syrischen Gefängnissen, die der Staat während seiner Hegemonialzeit verhaften ließ, sowie die Demarkierung der gemeinsamen Grenze. Über diese Themen will man ebenfalls während des Gipfels in Damaskus verhandeln.
Die Grenze ist freilich das größte Problem für den Libanon: Ihr Verlauf ist vor Ort nie mit Grenzpfeilern festgelegt worden, über weite Strecken ist zudem unklar, wo genau der eine Staat aufhört und der andere beginnt. Das Grenzland konnte sich daher zur Zone der Gesetzlosigkeit entwickeln, wo pro-syrische palästinensische Milizen, wie etwa die radikale Volksfront zur Befreiung Palästinas, ihre Basen unterhalten. Bislang nutzt Syrien die Durchlässigkeit der Grenze, um seine Verbündeten aufrüsten zu lassen und damit das fragile Kräfteverhältnis in Beirut zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Die Waffen, mit denen der Iran die Hisbollah unterstützt, gelangen über Syrien in die Hände der Islamisten.
Nicht alle wollen eine Verbesserung der Beziehungen
Es sind also eine ganze Reihe heikler Themen, die Michel Suleiman während seines ersten Staatsbesuchs anzusprechen hat. Gleichzeitig herrscht im Libanon weiterhin Skepsis, ob Syrien tatsächlich bereit ist, seinen bisherigen Kurs zu ändern. Kritiker fürchten eher, dass Damaskus versucht, den Westen im Austausch für sein Entgegenkommen davon abzubringen, den Aufbau des internationalen Tribunals zur Aufklärung des Hariri-Mordes weiter voranzutreiben und damit eine erhebliche Gefahr für das Regime Baschar al Assads abzuwenden. Der heutige Anschlag hat zudem noch einmal in Erinnerung gerufen, dass eine Verbesserung der Beziehungen zu Syrien längst nicht im Interesse aller Libanesen ist.
Für die Zukunft des Landes hängt vieles von den Ergebnissen des Gipfels ab: Politiker und Medien spekulieren bereits seit Tagen, welche Versprechen der libanesische Präsident seinem syrischen Amtskollegen abringen wird. "Es ist unrealistisch zu erwarten, dass Suleimans Besuch alle Probleme lösen kann, die im Laufe mehrerer Jahrzehnte angewachsen sind", schreibt die Tageszeitung Daily Star in einem Leitartikel. "Doch eine Einigung über den Aufbau diplomatischer Beziehungen kann erreicht werden. Und damit wäre die Souveränität des Libanon zumindest formell bestätigt."