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Terrorprozess gegen Kritiker Erdogan zeigt, was für ein Feigling er ist

In der Türkei stehen die ersten von 1128 Wissenschaftlern vor Gericht, weil sie Erdogans Kurdenpolitik gebrandmarkt haben. Der Fall zeigt, wie sehr der Präsident Kritik fürchtet und wie ungeniert er die Türken ihrer Rechte beraubt.
Eine Analyse von Marc Drewello

Recep Tayyip Erdogan hat Angst: Angst vor Kritik, Angst vor Machtverlust, Angst vor der Wahrheit. Deshalb geht der türkische Präsident erbarmungslos gegen jeden vor, der es wagt, seine Politik oder gar seine Person infrage zu stellen. Das trifft Jan Böhmermann, aber vor allem trifft es die Menschen in der Türkei. Ein trauriger Beleg für Erdogans angstgetriebenes Bestreben, sein eigenes Volk einzuschüchtern und die Meinungsfreiheit abzuschaffen, ist der Prozess gegen vier Akademiker, der jetzt in Istanbul begonnen hat. Die zwei Frauen und zwei Männer müssen sich vor Gericht verantworten, weil sie mit 1124 weiteren Wissenschaftlern einen öffentlichen Aufruf unterzeichnet haben, in dem sie die Kurdenpolitik der Regierung kritisieren. Der Vorwurf gegen die Angeklagten: Propaganda für eine terroristischen Vereinigung. Die mögliche Höchststrafe: siebeneinhalb Jahre Gefängnis.

Erdogan benimmt sich wie ein Schulhofrowdy

Tasächlich haben Esra Mungan, Professorin an der Universität Bogaziçi, der Historiker Muzaffer Kaya von der Nişantaşı-Universität, der Mathematiker Kivanc Ersoy, Dozent an der Mimar-Sinan-Universität und seine Kollegin Meral Camci, die bis Februar an der Uni Yeni Yüzyil lehrte, gemeinsam mit den anderen Wissenschaftlern lediglich verlangt, dass die Regierung ihre gewaltsamen Militäraktionen in den Kurdengebieten beendet und die Friedensverhandlungen wieder aufnimmt - das allerdings in aller Deutlichkeit und mit scharfen Worten: Die Staatsführung müsse "ihre vorsätzlichen Massaker und Deportationen kurdischer und anderer Menschen in der Region" beenden, so die Unterzeichner. Sie warfen der Regierung vor, nicht nur PKK-Kämpfer, sondern auch die eigene Bevölkerung mit schweren Waffen anzugreifen. Das gewaltsame Vorgehen entbehre jeglicher rechtlicher Grundlage.

Für Erdogan war das ein persönlicher Affront. Unfähig, mit der Kritik der Wissenschaftler umzugehen und aus Furcht, die Petition könnte auch anderen Unzufriedenen Mut machen, gegen seine Politik aufzustehen, zog er wie ein Schulhofrowdy, der klar machen will, dass er der Stärkste ist, über die Unterzeichner her und bedrohte sie: Die "sogenannten Intellektuellen" würden den Preis für ihren "Verrat" zahlen, schimpfte der Staatschef vor Lokalpolitikern in seinem Präsidentenpalast. Mit ihrem "komfortablen Leben" aufgrund des vom Staat gezahlten Gehalts sei es nun vorbei. Er warf den Akademikern vor, "ihren Hass auf die Werte und Geschichte der Türkei" zu verbreiten und bezichtigte sie der Komplizenschaft mit den "Terroristen" der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).

Erdogan hetzt Staatsanwaltschaft auf Unterzeichner

Was folgte war Erdogans übliche Vorgehensweise gegen unliebsame Kritiker: Der Präsident forderte die Staatsanwaltschaft auf, zu handeln. Und mithilfe der türkischen Anti-Terror-Gesetze, denen auch "Cumhuriyet"-Chefredakteur Can Dündar und sein Bürochef Erdem Gül ihren Strafprozess zu verdanken haben, brachte diese Mungan, Camci, Ersoy und Kaya zunächst hinter Gitter und nun vor Gericht. Frei nach Erdogans Motto: Wer Worte wählt wie Terroristen, ist selbst ein Terrorist.

Auch die anderen 1124 Wissenschaftler, die mit den Kurden lieber reden wollen, als sie zu erschießen, bekamen Erdogans harte Hand zu spüren: Nahezu alle hätten mittlerweile ein Verfahren wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung am Hals, berichtet der Deutschlandfunk.  Viele der Unterzeichner hätten zudem ihre Arbeit verloren, da die Regierung  alle Universitäten des Landes aufgefordert habe, jeden zu entlassen, der seine Unterschrift unter die Erklärung gesetzt hatte.

"Dieser Fall ist erneut ein Beleg dafür, dass die Türkei die Meinungsfreiheit überhaupt nicht achtet", zitiert der Deutschlandfunk Emma Sinclair-Webb von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Erdogan ist das allerdings herzlich egal. Dass er längst über den Gesetzen seines Landes steht, hat er offen zugegeben. Mit Blick auf Forderungen nach "Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit" in der Türkei verkündete er vor wenigen Tagen in einer TV-Ansprache: "Ich sage es offen: Für uns haben diese Begriffe absolut keinen Wert mehr."

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