Krieg in der Ukraine Schlacht um Awdijiwka – darum muss Kiew die Stadt um jeden Preis halten

Ukrainische Soldaten in der Stadt.
Ukrainische Soldaten in der Stadt.
© Vlada Liberova / Getty Images
Die Stadt Awdijiwka ist eine Festung. Die Russen haben schwere Verluste erlitten, konnten aber wichtige Positionen einnehmen. Nun müssen die Verteidiger sie stoppen. Rücken die Russen weiter vor, droht ein zweites Bachmut – in viel größeren Dimensionen.

Seit dem Terror-Überfall der Hamas auf Israel tritt der Krieg in der Ukraine in der Öffentlichkeit zurück. Und doch geht er mit unverminderter Härte weiter. Im Raum von Cherson sind die Ukrainer erfolgreich über den Dnjepr gesetzt und versuchen ihre Brückenköpfe zu erweitern. Auch am Ort des tiefsten ukrainischen Einbruchs der Sommeroffensive gehen die Kämpfe weiter. Kiew übt Druck auf die russischen Stellungen bei Robotyne und Werbowe aus, erleidet dabei aber schwere Verluste und erzielt keine nennenswerten Gewinne. Westlich von Robotyne gelang es ihnen, den Russen eine Baumreihe abzunehmen.

Wichtige Eroberungen

Noch größere Verluste haben die Russen in der Schlacht um Awdijiwka einstecken müssen, doch sie konnten wichtige ukrainische Positionen erobern. Awdijiwka ist eine Stadt im Donbass unweit der Separatistenhochburg Donezk. Die Ukrainer haben die Stadt seit 2014 zu einer uneinnehmbaren Festung ausgebaut und sind doch in eine bedrohliche Lage gekommen. Ihnen droht ein Bachmut in XXL. Woran liegt das? Die Befestigungen in der Stadt sind nur schwer zu bewältigen, aber die Russen besaßen eine ausgezeichnete Position, als sie ihren Großangriff starteten. Die Stadt war bereits von drei Seiten umfasst. In Bachmut dauerte es Monate verlustreicher Kämpfe, bis Moskau so eine Ausgangslage erreichen konnte.

Nur wenige Kilometer 

Seit Wochen versuchen die Russen, die Umfassung voranzutreiben. Anstatt die Festung zu stürmen, wollen sie sie abschneiden. Dafür müssen sie den Zugang der Ukrainer weiter einengen. Zu Beginn der Kämpfe haben die Russen in wenigen Tagen weit über 100 gepanzerte Fahrzeuge verloren. Gewaltige Verluste, doch auch Kiew hat in zwei Wochen im Raum von Robotyne etwa 50 gepanzerte Fahrzeuge eingebüßt – ohne greifbaren Erfolg.

Die Russen hingegen konnten etwa zwei Kilometer vorrücken. Zwei Kilometer sind nicht viel, angesichts des schmalen Landkorridors unter ukrainischer Kontrolle aber doch signifikant. Vor allem gelang es den russischen Streitkräften, an das Industriegebiet im Norden der Stadt heranzurücken. Dort liegt eine riesige Industrieanlage, eine Kokerei. Sie wird von Kiew gehalten. Nur wenig davon entfernt, erhebt sich eine Schlackenhalde aus den Abfällen der Fabrik. Diese Halde ist die beherrschende Höhe im Norden. Wenn es den Russen gelingt, den bereits eroberten Raum um die Halde zu halten, werden sie danach befestigte Stellungen auf den Schuttbergen errichten, dann haben sie volle Sicht und Feuerkontrolle auf die gesamte Fabrik.

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Wenig Zufahrtsstraßen

Die ukrainischen Verteidiger stehen vor der Herausforderung, ihre Nachschubwege freizuhalten. Doch nach Awdijiwka führt nur eine Straße mit geschlossener Fahrbahn, alle anderen Zuwege sind Straßen zweiter Güte ohne feste Decke, die sich zusehends in grundlose Schlammwege verwandeln. Die feste Straße führt in den Ort Orlivka. Sollte es den Russen gelingen, im Norden und Südwesten der Stadt die jeweils nächsten Dörfer zu erobern, ist die Zufahrt bedroht.

Im Norden wären das die Siedlungen Stepove und Berdychi, im Südwesten Sjeverne und der Nachbarort Tonen'ke. Diese kleinen Ortschaften liegen auf Höhenzügen, die Straße verläuft in der Niederung dazwischen. Fallen die Dörfer, wird diese Zufahrt eingesehen und befindet sich unter der Feuerkontrolle der Russen. Wenn das geschehen sollte, ist der Fall der Festung nur noch eine Frage der Zeit.

Ukraine: Drohnen entscheiden hier den Krieg

Die russischen Linien befinden sich teils weniger als zwei Kilometer von den Ortschaften entfernt. Trotz aller Vorbereitungen nutzt die Festung Awdijiwka Kiew derzeit wenig. Gekämpft wird auf Feldern, um Baumreihen und kleine Siedlungen. Hier müssen die Verteidiger die Russen aufhalten. Eine zähe Verteidigung wird den Russen weitere Verluste einbringen, doch früher oder später wird es ihnen gelingen, die Ukrainer zurückzudrängen. Viel Raum gibt es nicht mehr, Kiew darf weder die Dörfer noch die Kokerei verlieren. Kiew muss in dem Raum die Initiative zurückerlangen. 

Seit etwa sieben Tagen stagnieren die Kämpfe. Das hat aber nur temporäre Bedeutung. Die Russen befestigen ihre Eroberungen und gruppieren sich neu. Sobald das geschehen ist, werden sie die Orte angreifen. Dafür wollen sie im Wesentlichen auf Kämpfer der selbsternannten Donezker Volksrepublik und Einheiten des "Storm Z" zurückgreifen. In früheren Zeiten konnte man die Zonen der härtesten Kämpfe daran erkennen, dass gepanzerte Divisionen dorthin verlegt wurden. Im Krieg in der Ukraine werden die Einheiten mit den besten Drohnenpiloten in die am stärksten umkämpften Zonen geschickt.

Politisch wäre der Fall von Awdijiwka eine Katastrophe. Die gesamte Sommeroffensive der Ukrainer hat nur dazu geführt, eine Handvoll von Siedlungen zu befreien. Die größeren Ziele der Operation (Einschließen von Bachmut, Durchbruch zum Meer, Befreiung von zumindest Tokmak) wurden verfehlt. Nicht eine Stadt wurde erobert. Sollte den Russen dies erneut gelingen, würde der Glauben, dass Kiew die Russen besiegen kann, im In- und Ausland weiter abnehmen.