Folgen des Ukraine-Kriegs II Wenn Nahrung zur Waffe wird, Computerschadware zunimmt und Gerhard Schröder (fast) alles verliert

Nahrung Lebensmittel Knappheit
Leere Lebensmittelregale sind auch im Westen wie hier in Las Vegas, USA, keine Seltenheit mehr – auch wenn ihn die Nahrungskrise längst nicht so heftig trifft wie arme Staaten. 
© Amy Katz / Picture Alliance
Die Folgen des Ukraine-Kriegs treffen die gesamte Welt und fast alle Lebensbereiche.Düngemittelpreise explodieren, Gerhard Schröder wird zum Kriegsverlierer und Erpressersoftware nimmt zu: Ein Überblick der Kriegsfolgen in drei Episoden. Teil II.

Schon bevor das Coronavirus Teile der Welt lahmlegte, hing der vom damaligen US-Präsident Donald Trump angezettelte Handelskrieg wie ein Damoklesschwert über der globalen Wirtschaft. Als die Pandemie hereinbrach und sich Lockdown an Lockdown reihte, gingen auch Produktionen und Lieferketten in die Knie. Anfang des Jahres, als das Schlimmste überstanden schien, marschierten russische Truppen in die Ukraine ein, ein weiterer Tiefschlag für die erwachende Konjunktur.

Mehr noch: Aggressor Russland fällt wegen den Sanktionen als Energielieferant aus. Aus der Ukraine kommt kein Getreide mehr, überall auf der Welt schießen die Preise für Brot und Treibstoff in die Höhe. Staaten, die auf osteuropäischen Weizen angewiesen sind, droht eine beispiellose Hungersnot.

Das sind nur einige der zahllosen Folgen der Doppelkrise Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg. Der Überfall Russlands könnte tatsächlich die Zeitenwende sein, von der etwa Bundeskanzler Olaf Scholz sprach und wie die folgende Beispiele zeigen:

Lebensmittel- und Getreideversorgung

Seit Beginn des Angriffskriegs sitzt die Ukraine, weltweit viertgrößter Getreideexporteur, auf den eigenen Vorräten fest. Große Teile davon sind für ohnehin von Dürre betroffene Länder wie Äthiopien, Somalia und den Tschad bestimmt, dort droht eine Nahrungsmittelkrise. Auch Sonnenblumenprodukte sind vom Lieferstopp betroffen. Der Westen macht Moskau für die Blockade verantwortlich, da russische Streitkräfte ukrainische Häfen besetzt hätten oder die Ausfahrt der Schiffe behinderten. Zudem soll Russland in großem Umfang Getreide aus den von ihm besetzten Gebieten stehlen. Russland hingegen beschuldigt die Ukraine, ihre eigenen Häfen vermint zu haben – und die Minen nicht wieder räumen zu wollen.

Die Getreideblockade stößt weltweit auf Entsetzen: So sagte Papst Franziskus "ein Grundnahrungsmittel dürfe nicht "als Kriegswaffe" dienen. Ob und wann sich die Ukraine wieder von den Kriegsfolgen wird erholen können, ist unklar. Der ukrainische Landwirtschaftsminister sagte Mitte Juni, sein Land werde für eine lange Zeit vom Markt verschwinden. Die russische Invasion wirke sich bereits auf drei Ernten aus – die aus dem vergangenen Jahr könne nicht exportiert werden, die gegenwärtige nicht eingeholt und die kommende nicht ausgesät werden.

Gerhard Schröder und andere prominente Kriegsverlierer

Dieser Krieg kennt viele Verlierer, manche sind auch solche, die sich nicht einmal explizit auf eine Seite geschlagen haben. Wie etwa Nina Kravitz, DJ aus Russland und Star der Techno-Szene. Weil sie im Wesentlichen gar nichts zum Ukraine-Krieg sagen wollte, ließ sie ihr niederländischer Vertrieb fallen, später wurde sie dann von großen Festivals wie dem Detroiter "Movement" ausgeladen. Die Liste an mehr oder weniger prominenten Kulturschaffenden, die wegen ihrer mehr oder weniger klaren Haltung zu Putin geschasst wurden, ist länger: Opernstar Anna  Netrebko gehört dazu, wie auch die Dirigenten Valerie Gergiew und Teodor Currentzis.

Auch Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder ist gewissermaßen ein Kriegsopfer. Nur dreiviertelherzig hat er sich vom Ukraine-Krieg distanziert, nicht aber von seinem alten Freund Wladimir Putin. Erst nach längerer Kritik trat er von seinem Aufsichtsratsposten beim staatlichen Gaskonzern Rosneft zurück und verzichtete auf eine gleiche Position bei Gazprom. Außerdem soll ihm ein Teil seiner Altkanzler-Privilegien (Büro und Personal) gestrichen werden, wogegen er sich aber via Anwalt wehrt. Die SPD will ihn loswerden und bis auf weiteres dürfte keine Straße nach Schröder benannt werden.

Computersicherheit

Mit dem Ukraine-Krieg nimmt auch die Zahl der Cyberangriffe auf private und gewerbliche Computer zu. Grund: Mit Kriminalität im Netz und virtuellen Raum lässt sich viel Geld verdienen, Geld, mit dem wiederum der echte Krieg finanziert wird. So sagte der Wiener Sicherheitsexperte Cornelius Granig in einem "Spiegel"-Interview: "Die finanziellen Aktivitäten rund um Ransomware-Attacken, die ja in Kryptowährungen vollzogen werden, um die Sanktionen zu umgehen, dienen auch dazu, die Motivation der Soldaten hochzuhalten. Neue Waffen zu kaufen, neue Ausrüstung." Ransomware sind Erpressungsprogramme, die Computer lahmlegen und erst gegen Zahlung von Lösegeld wieder gelöscht werden.

Neben der Sicherheit im Netz sind auch (deutsche) IT-Unternehmen betroffen, die in den vergangenen Jahren vermehrt gut ausgebildete (und günstigere) Programmierer aus Russland und der Ukraine eingestellt haben. Viele der Fachleute dort stehen wegen des Kriegs nicht mehr für westliche Firmen zur Verfügung. Während die Ukrainer unter den Kriegsfolgen leiden oder als Soldaten dienen, verlassen russische Fachkräfte das Land oder werden arbeitslos, weil die Unternehmen enteignet wurden.

Astronomie und Weltallwirtschaft

Als Donald Trump 2019 die US-Space-Force gegründet hatte, war der Spott groß. Doch der Krieg in der Ukraine zeigt, wie entscheidend Technik und Sicherheit im Erdorbit sind. Satelliten dokumentieren Frontverläufe und Aufmarschgebiete. Über sie werden Drohnen und Flugzeuge gesteuert. Und ganz nebenbei gibt es kein Internet und keine Kommunikation. Ohne Weltraumsysteme sind Armeen (und Zivlisten) taub, stumm und blind. Die Ukraine kann sich auch deshalb gegen die übermächtigen Russen zur Wehr setzen, weil Elon Musk seine Starlink-Satelliten für die Streitkräfte geöffnet hat. 

Auch auf die Weltraumforschung hat der Ukraine-Krieg deutlichen Einfluss. So kündigt die russische Weltraumagentur Roskosmos nach und nach die Zusammenarbeit mit dem Westen auf. Das Röntgenteleskop "eRosita" befindet sich derzeit im Schlafmodus. Auch die europäisch-russische Marsmission "ExoMars" wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.

Umwelt und Klimaschäden

Als russische Soldaten kurz nach dem Einmarsch in die Ukraine das havarierte Atomkraftwerk Tschernobyl besetzt hatten, wuchs die Angst, dass der Unglücksreaktor wieder zu einer Gefahr für Mensch und Umwelt wird. Letztlich zogen die Russen unverrichteter Dinge wieder von dort ab, doch im Osten vergiften die Kämpfe Luft, Wasser Böden, Pflanzen und Tiere. Laut den Behörden von Schwarzmeer-Staaten sind seit Februar deutlich mehr Delphine getrandet als üblich. Auch wenn genaue Zahlen schwer zu ermitteln sind, geht die Betreiber des Nationalparks bei Odessa von mehreren tausend toten Delphinen aus. Von der Krim werden 282 tote Delphine gemeldet, aus Rumänien mindestens 62 und die Türkei spricht von 80.

Exakte Zahlen über Art und Häufigkeit von Umweltverbrechen liegen noch nicht vor, die ukrainischen Behörden aber führen bereits Buch, auch um Russland nach Ende des Kriegs zur Verantwortung zu ziehen. Unter den 250 Vergehen ist etwa der Angriff auf eine Düngemittelfabrik und den Beschuss eines Salpeterlagers sowie einer Ölraffinerie. Die berüchtigte großflächige Verseuchung des Asowschen Meeres bei der Belagerung von Mariupol ist ausgeblieben. Unklar aber sind die Folgen durch den Einsatz von giftiger Uran-Munition. Daneben dürften abertausende Quadratmeter Wald, Böden und Gewässer durch Rauch, Gase und Giftstoffe aus verbrennenden Gebäuden, Industrieanlagen und Häusern verseucht werden.