Ted Cruz, republikanischer Senator von Texas, wusste nicht Bescheid. "Hätte Uvalde einen Zuschuss erhalten, um die Schulsicherheit zu verbessern, hätten sie möglicherweise Änderungen vorgenommen, die den Schützen hätten stoppen können", sagte er während einer Rede auf dem Kongress der Waffenlobby-Organisation National Rifle Association (NRA) nur wenige Tage nach dem Schulmassaker von Uvalde, Texas, mit 21 Todesopfern. Dann, so Cruz weiter, hätte man den Schützen "am einzigen Zugangspunkt durch unsere Sicherheitsleute töten können, bevor er eines dieser unschuldigen Kinder und Lehrer verletzt hätte." Peinlich für den Senator: Uvalde hat ein solchen staatlichen Zuschuss bereits erhalten – schon vor etwa zwei Jahren.
Laut einem Bericht der örtlichen Zeitung "The Texas Tribune" gingen im Januar 2020 69.000 Dollar aus einem staatlichen "Programm zur Verbesserung der physischen Sicherheit in Schulen" an den Schuldistrikt von Uvalde. Unklar sei, für wie viele Maßnahmen dieses Geld eingesetzt worden sei, heißt es. Der Schulbezirk verfügt über einen Sicherheitsplan, laut dem die Uvalder Grundschule zumindest so eingezäunt worden sei, dass Personen, die sich nicht auf dem Schulgelände aufhalten müssen, gar nicht oder nur kontrolliert eingelassen werden (Perimeter Fencing). Doch das hat den 18-jährigen Schützen nicht davon abgehalten, in das Schulgebäude einzudringen und um sich zu schießen.
Seit Uvalde schon 18 weitere Shootings
Seit Jahren gibt es in den USA sowohl auf Bundesebene als auch in den einzelnen Staaten Gesetze, die den sogenannten Mass Shootings vorbeugen sollen. Hunderte von Millionen Dollar wurden bereitgestellt, damit die Schulen Sicherheitsvorkehrungen treffen können – darunter alleinige Zugänge zu den Gebäuden, stark befestigte Umzäunungen, Metalldetektoren, verschlossene und gesicherte Türen sowie bewaffnete Lehrer:innen und Sicherheitspersonal. Auch in Texas gibt es seit dem Schulmassaker von Santa Fé vor vier Jahren mit zehn Toten ein solches Gesetz.
Das Geld reicht aber oftmals nicht aus, um alle Sicherheitsvorkehrungen zu finanzieren. Zudem finden sich wohl nur wenige Schulbedienstete, die bereit sind, mit einer Waffe zur Arbeit zu gehen. Gewirkt haben die Maßnahmen, Vorhaben und Gesetze zudem nicht: Allein in diesem Jahr haben sich bereits mehr als 200 Mass Shootings in den Vereinigten Staaten ereignet – darunter waren 27 Schulmassaker. Seit Uvalde gab es schon 18 weitere Vorfälle mit insgesamt elf Toten. (Stand: 30. Mai)
Trotz aller Amokläufe: So normal ist der Waffenbesitz in den USA

Trump und NRA fordern weiter Befestigung der Schulen
"Sowas passiert nur in diesem Land", hatte der demokratische Senator Chris Murphy aus Connecticut nach den tödlichen Schüssen von Uvalde beklagt und seine republikanischen Kollegen flehentlich darum gebeten, gemeinsam einen Weg zu finden, das im zweiten Zusatzartikel der US-Verfassung festgeschriebene Recht auf Besitz und Tragen von Waffen endlich spürbar einzuschränken. Doch obwohl angesichts der sehr jungen Opfer von Uvalde die Debatte um die Waffengesetze aktuell lebhafter geworden ist und eine Handvoll republikanischer Abgeordnete sich bereit erklärte, strengere Regeln oder Verbote unterstützen zu wollen, gab es auf dem NRA-Kongress in Houston erneut die bekannten Forderungen nach jenen Maßnahmen, die sich nicht nur in Uvalde nicht bewährt haben.
"Was wir jetzt brauchen, ist eine umfassende Sicherheitsüberholung an Schulen in unserem ganzen Land", forderte Ex-Präsident Donald Trump – ein ausgewiesener Unterstützer der Waffenlobby. Es müsse darum gehen, "endlich unsere Schulen zu befestigen und unsere Kinder zu schützen". Eine Einschränkung des Zugangs von Waffen war dagegen auch wenige Tage nach dem Schulmassaker kein Thema. Nach den Anschlägen vom 11. September habe man schließlich auch nicht Flugzeuge verboten, sondern die Sicherheit der Cockpits erhöht, brachte die Kongressabgeordnete Lauren Boebert (Colorado) einen bei Republikanern und Waffenfreunden beliebten Vergleich.

Schulmassaker vorbeugen: Experten nennen Möglichkeiten
Die Haltung der Republikaner und der Waffenlobby ist nicht nur politisch umstritten. Experten und Wissenschaftler in den USA haben sich nicht erst seit dem jüngsten Schulmassaker in Texas mit der Frage befasst, wie solche Tragödien zu verhindern seien. Ihre wichtigsten Erkenntnisse:
- Lehrer zu bewaffnen, ist keine gute Idee: Dafür gebe es praktisch keine Akzeptanz. Die überwältigende Mehrheit der Lehrerinnen und Lehrer lehnt es ab, Waffen in der Schule zu tragen. Die Risiken, dass das Vorhandensein von Waffen ungewollt Katastrophen oder Probleme auslöse, seien größer als die Chance, dass sie im Ernstfall helfen könnten, so Forscher Matthew Mayer von der Rutgers Graduate School of Education.
- Anheben der Altersgrenze für Waffenbesitz: Schulsicherheitsforscher fordern, den Besitz von Waffen erst ab 21 Jahren zu erlauben. Der Grund: Teenager reagierten erfahrungsgemäß noch zu impulsiv. Die Todesschützen bei den großen US-Schulmassakern (Parkland, Santa Fé, Newtown, Columbine, Uvalde) waren alle jünger als 21 Jahre.
- Zugang zu Waffen verschärfen: Laut einem Bericht des Secret Service von 2019 wurden bei rund der Hälfte der untersuchten Schulmassaker Waffen verwendet, die zu Hause leicht zugänglich oder nicht ausreichend gesichert waren. Hier brauche es klare Regeln und Gesetze. Schulsicherheitsforscher befürworten darüber hinaus auch ein Verbot von Angriffswaffen und universelle Hintergrundüberprüfungen von Waffenbesitzern.
- Kampf gegen Mobbing und Ausgrenzung: Nach Erkenntnissen des Secret Service wurden die meisten Schulangreifer gemobbt und fühlten sich ausgeschlossen. Daher sollten die Schulen die Fähigkeiten der Kinder zur Konfliktlösung und Stressbewältigung sowie die Empathie für ihre Klassenkameraden aufbauen und fördern. "Unsere erste präventive Strategie sollte darin bestehen, sicherzustellen, dass Kinder respektiert werden, dass sie sich verbunden fühlen und in die Schulen gehören", so Odis Johnson Jr. von der Johns Hopkins Universität. Für Mitarbeiter und Lehrer sollte es Anti-Mobbing-Schulungen geben. Der Secret Service empfiehlt zu dem geschultes Personal, um Schüler:innen, die sich in Krisen befinden, rechtzeitig zu identifizieren und zu unterstützen, ehe es zur Katastrophe kommt.
Uvalde, Texas – ein Ort voller Trauer, Schmerz und Wut

Offenbar haben sich etliche Schulen diese Ratschläge bereits zu Herzen genommen. Das Weiße Haus registrierte zuletzt eine 65-prozentige Zunahme von Sozialarbeitern und eine 17-prozentige Zunahme anderer Berater an den Bildungseinrichtungen, berichtet das National Public Radio (NPR) – finanziert durch die Covid-Pandemie-Hilfen des Bundes, nicht durch die Gesetze zur Befestigung der Schulen.
Derweil wachsen die Befürchtungen, dass der konservativ dominierte Supreme Court in einer anstehenden Entscheidung das Recht zum Tragen von Waffen ausweiten wird. Das oberste US-Gericht muss darüber befinden, ob der Staat New York das Tragen von Waffen zur Selbstverteidigung an sehr strenge Genehmigungen binden darf (Fall: New York State Rifle & Pistol Association v. Bruen). Beobachter glauben, dass das Richtergremium zu einer liberalen Interpretation neigt. Ungeachtet der Ereignisse von Uvalde.
Quellen: The Hill, "The Texas Tribune", National Public Radio, Education Week, Gunviolencearchive, Sicherheitsplan des Schulbezirks Uvalde