Washington Memo Wie Hillary zum Endspurt rüstet

  • von Katja Gloger
Höchste Not im Clinton-Lager: Das Geld wird knapp, und Obama siegt in Serie. Aber Hillary Clinton stemmt sich gegen die Obama-Flutwelle, sie will kämpfen. Sie setzt nun auf eine neue Strategie, in der auch ihr Mann Bill wieder eine bestimmte Rolle spielen soll.

Vielleicht funktioniert ja die Nummer mit dem Feigling. Da traut er sich wohl doch nicht, gegen sie anzutreten, die "Getestete", wie sie sich selbst gerne nennt. Gerade fordert Hillary Clinton ihren Gegenspieler zu einer Fernsehdebatte heraus - es wäre die 19. Debatte in Folge. Barack Obama aber lässt die Dame bislang einfach abblitzen. "Warum hat er Angst? Warum versteckt er sich vor den Wählern?" fragt Clinton-Chefstratege Mark Penn mit bissigem Unterton. "Kann er sich gegen Hillary Clinton etwa nicht behaupten?"

Arme Hillary

Es ist ein ziemlich durchsichtiges Manöver. Nächste Woche wird im US-Bundesstaat Wisconsin gewählt, auch hier befindet sich Barack Obama gerade auf der Überholspur, da könnte ihr ein Schlagabtausch im Fernsehen vielleicht noch helfen. Denn Hillary Clinton ist gut in diesen Debatten, meist präziser als Barack Obama, der manchmal immer noch so aussieht, als ob er eigentlich keine Lust hat, die Probleme des amerikanischen Gesundheitswesens in 30 Sekunden zu diskutieren. Vor allem aber wäre es kostenlose Fernsehwerbung für Kandidatin Hillary. Denn sie ist seit einigen Wochen finanziell klamm. So klamm, dass sie ihren Wahlkampfmanagern fünf Millionen Dollar ihres Privatvermögens leihen musste, um überhaupt weiterzumachen.

Hatte sie nicht 100 Millionen Dollar für diesen Wahlkampf gesammelt? Ja, aber das Meiste ist schon ausgegeben. Und seit neuestem tröpfeln die Spenden. Ganze 13,5 Millionen Dollar im Januar - während Obama mit 32 Millionen mal wieder alle Erwartungen übertraf.

Politstar mit Erlöser-Appeal

Und so lässt Barack Obama die Dame zappeln. Auf zwei von fünf geforderten Fernsehdebatten in den kommenden drei Wochen hat er sich eingelassen. Warum soll er sein Momentum aufs Spiel setzen, jenen Erfolg, der neuen Erfolg gebärt, seinen Siegeszug durch das Land? Gerade hat er in acht Bundesstaaten in Folge mit Traumergebnissen triumphiert - darüber verblassen Clintons Siege in großen Bundesstaaten wie Kalifornien oder Massachusetts. Er hat mindestens so viel Delegierte wie Clinton, nach einigen der höchstkomplizierten Zählweisen sogar weit über 100 "festgelegte" Delegierte mehr. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre - am vergangenen Dienstag brach Obama mit seinen Siegen in den Bundesstaaten Maryland, Virginia sowie in der Hauptstadt Washington auch noch massiv in Clintons Kernwählerschaft ein. Vor allem im eher konservativ geprägten Bundesstaat Virginia gewann er Frauen, Einkommensschwache, Ältere. So schmiedet er die Koalition, die es braucht, um im November gegen John McCain zu gewinnen.

Jetzt ist Barack Obama der Frontrunner, der Spitzenkandidat, ein Liebling der Medien, man ruft ihn gar schon zum "Messias" aus, zum Politstar mit Erlöser-Appeal, und selbst der stockkonservative Kommentator William Kristol räsonniert in der "New York Times" bereits über "Obamas Weg zum Sieg".

Underdog in der Obama-Flut

Barack Obama, ein Mann, den noch vor wenigen Monaten nur ein paar Politjunkies kannten, ist gerade dabei, ganz Amerika mit dem "Obama-Fieber" zu infizieren. Es ist eine Geschichte, wie sie wohl nur Amerika schreiben kann. Amerika liebt Sieger. Zumal, wenn sie das Bessere in jedem seiner Bürger herausfordern. Und sie, die kampferprobte ehemalige First Lady, die glaubte, das Land schulde ihr die Wahl? Ist Hillary Clinton nun der Underdog? Es ist eine Rolle, die so gar nicht zu ihr passt.

Manchmal scheint es ungerecht, wie schnell man Hillary Clinton zur Verliererin stempelt, wie genüsslich man ihren angeblichen Abstieg beschreibt, die Panik in ihrem Wahlkampfstab, den "Niedergang des Hauses Clinton" zelebriert. Kritiker hämen, sie versuche es wohl jetzt mit der "Giuliani-Strategie", wolle nur noch in einigen Trutzburgen Wahlkampf machen, den Rest des Landes beachte sie kaum. Das ist ungerecht und auch falsch, denn sie hat in einigen ganz großen Bundesstaaten gewonnen, in Kalifornien, in New Jersey, gar einige Staaten im "roten", republikanischen Süden und sogar in Massachusetts, wo der Name Clinton den Wählern wichtiger war als die alteingesessenen Kennedys mit ihrem Obama-Fanclub. Hillary Clinton ist eine zähe Wahlkämpferin, sie hat ein echtes Programm, sie arbeitet sich die Seele aus dem Leib - und doch: es scheint, als ob sie sich immer weniger stemmen kann gegen die Flutwelle, die Obama heißt.

Ein schwacher Trost allenfalls, dass auch Jimmy Carter einst in 23 Bundesstaaten krachend verlor, bevor ihn im letzten Moment das wundersame "Momentum" ereilte.

"Super-Delegierte" geben den Ausschlag

Sie mag angeschlagen sein, sie mag ihre Wahlkampfmanagerin gefeuert, sie mag Finanzprobleme haben, doch ausgezählt ist diese Hillary Clinton noch lange nicht. Der neue, der letzte große Schlachtplan steht: der Kampf um jeden einzelnen Delegierten. Diesen Kampf will sie bis zur letzten Sekunde fechten. Und zwar mit allen Mitteln. Erste Station: der 4. März. Dann wird in den großen Bundesstaaten Texas und Ohio gewählt. Texas mit seinem hohen Anteil an Latinos, Ohio als gebeutelter Krisen-Staat - hier könnte Clinton bei ihren Stammwählern punkten. Am vergangenen Samstag absolvierte sie eine erste Wahlveranstaltung im texanischen El Paso. 10.000 Fans jubelten ihr zu - solche Massen kennt man sonst nur von Obama.

Doch selbst Siege Anfang März werden Clinton nicht reichen. Während einer Telefonkonferenz mit Reportern stellten ihre obersten Wahlkampfstrategen am vergangenen Dienstag klar: Bestenfalls könne sie Obama in ein Patt zwingen. Im Clinton-Lager rechnet man mit einem Unterschied von ungefähr 25 Delegierten zwischen Clinton und Obama - das wären gerade ´mal 0,6 Prozent aller Delegierten. Dieses Patt will Hillary Clinton nutzen, um die Entscheidung bis zuletzt offen zu halten. Denn bis zuletzt, bis zum Parteitag Ende August in Denver, können sich die 796 so genannten "Super-Delegierten" entscheiden. Die ebenso elitären wie unberechenbaren Funktionsträger von Partei und Staat, etwa Gouverneure und Parlamentsabgeordnete, sind allein ihrem Gewissen verpflichtet - und den Versprechen der Kandidaten auf Positionen in einer zukünftigen Regierung. Wütend erklärte die angesehene Demokratin Donna Brazile, einst Wahlkampfmanagerin von Al Gore und heute selbst Super-Delegierte, sie werde aus der Partei austreten, wenn Funktionäre über den Kandidaten entscheiden sollten. "Dieser Wahlkampf zeigt, dass es um Delegierte geht und nicht um ein angebliches Momentum", kontert Clinton-Chefstratege Mark Penn kühl. "Kein Kandidat kann die Nominierung ohne die Super-Delegierten gewinnen. Auch Barack Obama nicht. " Und wenn das nicht reicht? Dann will Hillary Clinton eine weitere, die letzte Front eröffnen: Michigan und Florida.

Die beiden Bundesstaaten hatten sich den Zorn der Parteizentrale zugezogen, weil sie eigenmächtig den Zeitpunkt ihrer Vorwahlen verlegt hatten. Dafür wurden sie mit einem Bann bestraft - die Stimmen ihrer Delegierten sollen auf dem Parteitag nicht zählen. Alle Kandidaten stimmten dem Verbot zu. Und so nahmen Anfangs nur Wenige davon Notiz, dass sich in Michigan unter den aussichtsreichen Kandidaten alleine Hillary Clinton namentlich auf den Wahlzettel setzen ließ. Und alleine Hillary Clinton reiste nach Florida, um dort eine Wahlparty zu feiern - sie reklamierte einen Sieg, der nach den Parteistatuten gar nicht zählt.

Jetzt fordern Clintons Sprecher und "Surrogates", wie prominente Unterstützer hier heißen, jeden Tag, immer lauter: die Millionen Stimmen von Michigan und Florida müssten letztlich doch gezählt werden. Es wären Delegierten-Stimmen für Clinton. Es wären Stimmen, die nach den Parteistatuten nicht zählen dürften.

Gefährlicher Showdown

Doch Clinton hat Nichts zu verlieren, sie wagt den Showdown - und wenn der erst auf dem Parteitag stattfände, ganze zwei Monate vor der Präsidentenwahl im November. Damit setzt sie die Wahlchancen der Demokraten aufs Spiel. "Wenn dieser Kampf zwischen den Demokraten - ein Kampf zwischen Rasse, Geschlecht und Generationen - bis zum Parteitag dauert," fürchtet der demokratische Kommentator Harold Meyerson, "dann würde eine blutige Schlacht um die Zukunft der Partei beginnen. Dann gäbe es nur einen Gewinner. Der hieße John McCain." Und Historiker erinnern bereits an den Wahlparteitag der Demokraten 1968. Damals zerfleischten sich die beiden Spitzenkandidaten öffentlich - und die Demokraten verloren die Wahl.

Zu siegessicher, zu überheblich

Sie hat zu spät reagiert, zu lange gezögert, ihre engste Vertraute zu feuern, ihr alter Ego, Wahlkampfmanagerin Patti Solis Doyle, die Frau, die gerne von sich sagt: "Wenn ich spreche, spricht Hillary Clinton." Und offenbar führte Solis Doyle den Wahlkampf in "Hillaryland" so, wie es die Chefin wollte: als straff organisierte Geheimoperation, in der kein Widerspruch geduldet wurde, in der Kritik rasch an Verrat grenzte. Die "Big Five", die fünf Chefstrategen wie Meinungsforscher Mark Penn, Kommunikationsexpertin Mandy Grunwald und Solis Doyle waren von der Unausweichlichkeit der Präsidentschaft Hillary Clintons überzeugt. Der Wahlkampf - ein Blitzkrieg, der in einem grandiosen Sieg am Super-Tuesday enden sollte. Kritiker wurden platt gemacht, Reporter galten ohnehin als Feinde, und selbst Großspender wurden verprellt, "weil man uns noch nicht einmal zurückrief", wie sich einer von ihnen beschwerte, anonym natürlich. Die Siegessicherheit, die Überheblichkeit war so groß, dass man in Hillaryland zunächst nicht bemerkte, dass da einer nach der Chance seines Lebens griff: Barack Obama. Auf einmal war er da. Kühl kalkulierend, mit einem hochprofessionellen Wahlkampf, mit Millionen begeisterter Kleinspender und prominenten Großspendern, die endlich eine Alternative zu Hillary hatten. Er erwischte Hillary Clinton kalt. Bis heute schafft sie es nicht, ihm zu seinen Siegen anständig zu gratulieren.

Und vielleicht hat sie wirklich ihre Chance verpasst, jenen Tränen-Moment von New Hampshire, als sie klug erschien und verwundbar zugleich, ebenso verantwortungsvoll wie fürsorglich, eine Präsidentin für ihr Land. Doch selbst wenn sie es wollte, sie fand nicht heraus aus alten Mustern, dem ewigen Kampf bis aufs Messer. Versuchte, Schmutzflecken auf Obamas weißer Weste zu entdecken. Seine angebliche Zögerlichkeit bei Senatsentscheidungen, sein angebliche Beziehung zu einem dubiosen Großinvestor aus Chicago, die Rassenfrage. Doch der Schmutz blieb an ihr hängen: Sieg um jeden Preis, Macht um jeden Preis, hieß es. Die alte Clinton-Nummer. Dabei ist dieser Barack Obama mindestens genau so ehrgeizig wie sie. Aber ihm glaubt man, dass er für das höhere Ziel kämpft.

Glücksformel: "Solution-Business"

Als Retterin in höchster Not kommt jetzt ihre ehemalige Stabschefin Maggie Williams, ebenso zupackend, offen wie willensstark, auch sie eine der Überlebenden in Hillaryland, die ihre Chefin schon im Weißen Haus in allen möglichen Skandalen verteidigte, so loyal und wohl so nah am Rande der Legalität, dass sie 1997 kündigte. Sie sei ausgebrannt, hieß es offiziell. Williams soll dem Wahlkampf mehr Offenheit, mehr Flexibilität, neue Ideen bringen.

In den kommenden Wochen will man in Hillaryland alles daran setzen, die "Kontraste" zu Obama herauszuarbeiten, heißt es nun. In Ohio und Texas braucht Clinton die Stimmen der älteren Frauen, der Arbeiter und vor allem die der Latinos - die werden in Texas mindestens ein Viertel aller Wähler stellen. "Solution-Business" gegen "Promise-Business" heißt die neue Glücks-Formel: sie biete "Lösungen für das 21. Jahrhundert", er habe nur ein paar luftige Versprechen. Auch Bill Clinton soll wieder verstärkt eingesetzt werden. Er hatte Obamas Hautfarbe geschickt zum Wahlkampfthema gemacht - wohl wissend, wie groß die Vorurteile bei vielen Latinos gegen Afroamerikaner sind.

Eine Gruppe allerdings hat sich in den vergangenen Tagen entschieden: die Optionshändler an der Polit-Börse Intratrade.com. Monatelang lag Hillary Clinton bei ihnen weit vorn. Jetzt aber gilt sie als Risikopapier.