Man muss sich US-Präsidenten als suchende Männer vorstellen. George W. Bush, Barack Obama, Jimmy Carter, Bill Clinton – sie alle dürften gerade hektisch ihren Besitz und ihre Büros durchflöhen, irgendwo könnte womöglich noch ein Blatt vom CIA über Nukleararsenale von Schurkenstaaten herumliegen. Oder schmeichelhafte Schreiben von dubiosen Diktatoren. Wie derzeit bei Donald Trump und Joe Biden zu sehen, neigen Topangestellte des Weißen Hauses offenbar dazu, geheime Arbeitspapiere mit nach Hause zu nehmen.
Liebesbriefe von Kim Jong Un
Das mag manchmal verständlich sein, wer bekommt schon, wie Donald Trump, nette Briefe von Kim Jong Un? Doch leider ist es verboten, sie dann im eigenen Keller zu verstauen. Sämtliche Korrespondenz der Staatsführung gehört dem Staat und landet im offiziellen Archiv. Wer sich nicht daran hält bekommt eben Besuch vom FBI wie der Ex-US-Präsident oder von einem Sonderermittler wie der Amtsinhaber.
Joe Biden hatte Staatsunterlagen in der Garage neben seiner 1967er Corvette gelagert. Anders als sein Vorgänger aber rückte er die Dokumente schnell und ohne Murren wieder heraus. Auch war deren Zahl längst nicht so hoch wie bei Trump in Florida. Das aber sind nur Formalien. Für Teile der Öffentlichkeit und die konservative Opposition hat Biden nun genau wie Trump ein ernsthaftes Glaubwürdigkeitsproblem. Zwar soll ein Sonderermittler für Klarheit sorgen, doch das dürfte ein schmerzvoller Prozess werden.
So zynisch das klingen mag: Für manche seiner demokratischen Parteifreunde könnte "Garage-Gate" gerade zur rechten Zeit kommen. Denn Biden, lange ein eher ungeliebter Präsident, ist im Aufwind: die Wirtschaft, die Ölpreise, die Inflation, viele für die US-Amerikaner wichtige Eckdaten sehen gut aus, manche stellen überrascht fest, dass der alte Mann im Weißen Haus vielleicht doch kein so schlechter Präsident ist. Doch er ist leider eben auch: alt.
Trump und Biden waren und sind die Ältesten
Trump und Biden waren bei ihren Amtsantritten die jeweils betagtesten Neulinge auf dem Posten. Der Republikaner war 70 und der Demokrat sogar 78 Jahre alt. Sollte Biden 2024 erneut kandidieren, hätte er sogar 82 Jahre auf dem Buckel. Ohnehin wirkt er bei Auftritten und Reden lange schon fahrig und verwirrt, sein Gang ist steif. Ist so einer noch fit genug für einen der wohl forderndsten Jobs der Welt? Es gibt kaum jemanden, der das ohne zu zögern bejahen dürfte. Außer ihm selbst natürlich. Und das ist das große Dilemma der Demokraten.
Denn die politische Sitte sieht vor, dass ein amtierender US-Präsident ohne internen Gegner für eine zweite Amtszeit kandieren darf. Jedenfalls wenn er oder sie will. Und Joe Biden scheint sehr zu wollen. Zwar steht sein republikanischer Konkurrent noch nicht fest, aber die Umfragen zeigen, dass Biden gegen so gut wie alle möglichen Bewerber verlieren würde. Außer gegen Donald Trump, dessen Stern in den letzten Wochen allerdings dramatisch abgestürzt ist. Sein wahrscheinlichster Gegner ist der Gouverneur von Florida, Ron DeSantis: halb so alt und gestärkt mit dem Rückenwind seiner Wiederwahl.
Die Regierungspartei steht also vor der Frage: Wohin mit Opa? Eine Nicht-Nominierung für die nächste Präsidentschaftswahl käme einem Königsmord gleich und also nicht in Frage. Aber mit dem Amtsinhaber als Kandidaten wird es schwer werden in zwei Jahren. So gesehen wäre "Garage-Gate" eine willkommene Gelegenheit für einen Kurswechsel. Der Dokumentenfund ist nicht skandalös genug, um Bidens Renommee zu beschädigen, aber ernst genug, um den Alten nahezulegen, vielleicht doch in den verdienten Ruhestand zu gehen. Als mögliche Nachfolgerin drängt sich zwar gerade niemand auf, aber potenzielle Anwärter gäbe es natürlich. Vizepräsidentin Kamala Harris, Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom und der demokratische Fraktionsführer Hakeem Jeffries hätten dann noch genug Zeit, sich warmzuwahlkämpfen.