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"Anne Will" "Das muss sich alles einschleifen" – Reiner Haseloff und die Phrasen des Grauens

Die Runde bei Anne Will
Die Runde bei "Anne Will" diskutierte über einen Strategiewechsel in der Pandemiepolitik
© Wolfgang Borrs
Bei "Anne Will" war Augenrollen Programm. Wegen fehlender Tests, dem Unverständnis eines Gastes und der Phrasendrescherei eines Politikers.
Von Andrea Zschocher

Eine "unglückliche Beschlusslage" nannte Karl Lauterbach die aktuellen Coronabeschlüsse. Damit war die Frage von Anne Will "Lockern auf Probe – wohin führt der Strategiewechsel in der Pandemiepolitik?" eigentlich auch schon beantwortet. Aber Lauterbach hatte noch einen weiteren Knaller in petto, der selbst Anne Will ein entnervt-entsetztes Augenrollen und den Ausruf "das ist ein Skandal" entlockte.

Bei "Anne Will" zu Gast waren:

  • Lisa Federle, Notärztin und Pandemie-Beauftragte des Landkreises Tübingen

  • Angela Inselkammer, Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes DEHOGA Bayern

  • Karl Lauterbach (SPD), Mitglied des Deutschen Bundestages, Gesundheitsökonom und Epidemiologe

  • Reiner Haseloff (CDU), Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt

  • Markus Feldenkirchen, Politischer Autor im "Spiegel"-Hauptstadtbüro

Ungünstige Beschlüsse, die keine Lockerungen bringen

Schon vor dem Talk war klar, dass Karl Lauterbach Öffnungen zum jetzigen Zeitpunkt und mit dem aktuellen Konzept für einen Fehler hält. Er selbst drückte sich bei Anne Will vorsichtiger aus, nannte die Beschlüsse "ungünstig" und irgendwie auch unfair. Denn es würde den Bürgern suggeriert, dass es Lockerungen und Öffnungen geben könnte. Faktisch sind die Voraussetzungen für diese aber gar nicht gegeben, weil davon auszugehen ist, dass die Fallzahlen insbesondere durch die Mutanten schnell in die Höhe schnellen.

Deswegen ist der SPD-Politiker auch so froh um die Notbremse bei der 100 Inzidenz. Das "Gold des Beschlusses" nannte Lauterbach diese Zahl und monierte, dass der Strategiewechsel überhaupt nur auf Druck der Presse zustande gekommen sei. Lauterbach ist davon überzeugt, dass die Öffentlichkeit die Entscheidungen in großer Mehrheit weiter mitgetragen hätte, auch wenn dies ein weiteres Verharren im Lockdown bedeutet hätte.

Außengastronomie könnte klappen

Angela Inselkammer sah das aber anders. Die Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes wirkte in der Sendung mehrfach sehr verloren, beharrte auf ihrem Standpunkt, dass die Gastronomie und Hotels mit Hygieneplänen auf alles vorbereitet seien. Sie seien sogar "systemrelevant" und hätten "Hygiene mit der Muttermilch aufgesogen". Nun, die einen sagen so, die anderen so. Karl Lauterbach erklärte der Frau mehrfach, wieso ihr Wunsch insbesondere die Innengastronomie wieder zu öffnen, einfach keine gute Idee sei. Außengastronomie unter bestimmten Auflagen, ja, das könne er sich durchaus vorstellen, allein, es reichte Inselkammer nicht.

Sehen Sie im Video: Corona-Tests in vielen Aldi-Filialen bereits nach kurzer Zeit ausverkauft.

Das ist ein Stück weit natürlich verständlich, die Frau hat ja Recht wenn sie moniert, dass Urlaub in Deutschland zur Zeit nicht möglich ist, gleichzeitig Menschen im Ausland eben doch Urlaub machen. Das ist unfair und viele Hotels, Gaststätten, Kneipen und Bars haben keine finanziellen Rücklagen mehr, um die aktuelle Situation weiter durchzuhalten. Aber zu missbilligen, dass laut aktuellem Beschluss sich zwei Haushalte wieder treffen dürfen, wo laut Inselkammer es besser gewesen wäre, damit zu warten und stattdessen die Gastronomie zu öffnen, das ist irgendwie auch nicht der richtige Weg. Weil es Feindbilder aufbaut, die überhaupt keinen Kontext miteinander haben und letztlich der Sache überhaupt nicht dienlich sind.

Es scheitert an: Impfen, Testen, Nachverfolgen

Alle potenziellen Lockerungen stehen und fallen mit der richtigen Strategie. Die ist im Prinzip klar: Impfen, Testen und digitale Nachverfolgung. Aber in der Praxis scheitert es eben an allem. Nicht genug Impfstoff, keine effektive Nachverfolgung, und was das Testen angeht, nun, laut Lauterbach weiß aktuell niemand, wie viele Tests in Deutschland überhaupt vorrätig sind und wie viele bis zu welchem Datum gekauft werden können. Ein Skandal, dass diese wichtige Bestandsaufnahme fehlt, das war sogar in Wills Gesicht ablesbar. "Ich will das nicht bewerten, ich will das nur beschreiben", so Lauterbach. Aber ist es nicht Zeit für Bewertungen?

Wenn man Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff so zuhörte, dann ist es das Beste zurzeit, einfach gar nicht mehr nachzufragen. Wie er sich mehrfach aus der Frage Wills herauswand, ob denn nun ab dem 8.März zumindest die Bürger seines Bundeslandes pro Woche einen kostenfreien Schnelltest machen können, das war unerträglich. Lange, leere Worthülsen, 100 mal gehörtes allgemeines Blabla, da fehlt den Allermeisten inzwischen wirklich das Verständnis für.

Testen allein reicht nicht

Es sei ja ein "Marathon", diese Pandemie (ach was!), es gebe nur einzelne Komponenten, an denen man arbeiten könne, und überhaupt sei die Regierung doch ganz fähig in ihrer Arbeit, es müsse sich erst alles "einschleifen", schon allein beim Zuhören dieser Phrasendrescherei packt einen die Wut. Die Pandemie-Beauftragte des Landkreises Tübingen, Lisa Federle, die eindrucksvoll berichtete, wie sie Schnelltests organisiert und ein tragfähiges Konzept für die Stadt auf die Beine gestellt hat, wurde vom Haseloff mit dem Hinweis abgewatscht, dass man sich ja nicht allein aufs Testen verlassen könne. Natürlich nicht. Aber es wäre ein Anfang und mehr, als es bisher gibt.

FDP-Chef Christian Lindner äußert sich im ntv-Frühstart zur sogenannten Masken-Affäre (Symbolbild)

Sehen Sie im Video: Lindner übt harsche Kritik an CDU/CSU wegen Masken-Affäre – und fordert einen Sonderermittler.

Weitere Themenpunkte:

  • Sind Selbsttests ein Weg? Lisa Federle erzählte, dass sich bereits am Wochenende, nachdem die Selbsttests eines Supermarktes binnen kurzer Zeit ausverkauft waren, viele Menschen mit (falsch)positivem Testergebnis bei ihr in der Fieberambulanz gemeldet hätten. Sie plädierte dafür, die Schnelltests hochzufahren und dann erst nach und nach auf Selbsttests zu setzen. Auch, weil nicht klar ist, was falsch positive oder falsch negative Ergebnisse für Auswirkungen hätten.
  • Schlechtes Regierungshandeln Der Journalist Markus Feldenkirchen machte seinem Ärger über den Umgang der Politik mit Corona seit Oktober Luft, hatte kein Verständnis für die Maßnahmen. Die Leute hätten an Lockerungen ein berechtigtes Interesse, aber es sei die Aufgabe der Politik das sicher zu gewährleisten. Nach der ersten Welle, so Feldenkirchen, hätten sich zu viele auf ihren Lorbeeren ausgeruht.

Ein wenig verständlich waren die irritierten Reaktionen von Angela Inselkammer auf fehlende Tests und die Einschränkungen für die Gastronomie schon. Vermutlich geht es vielen Leuten genauso. Gleichzeitig muss aber gelten: Öffnen aber sicher. Und davon sind wir zurzeit noch weit entfernt.

Die komplette "Anne Will"-Sendung können Sie in der ARD-Mediathek sehen.

kng

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