"Änderung der Impfreihenfolge, Rückkehr zu Grundrechten – wer darf wann wieder was?", diese Fragen wollte Anne Will in ihrer Talkshow anreißen. Der Erkenntnisgewinn nach einer Stunde Sendung: Grundrechte sind wichtig, die Impfreihenfolge könnte geändert werden und was sich teilweise in Altenheimen abspielt ist skandalös. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) war vor allem darum bemüht, sich selbst gut darzustellen und konnte sich einen Seitenhieb auf den CDU-Chef und Unionskanzlerkandidaten Armin Laschet nicht verkneifen.
Zu Gast bei "Anne Will" waren:
- Christine Lambrecht (SPD), Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz
- Christiane Woopen, Vorsitzende des Europäischen Ethikrats
- Markus Söder (CSU), Parteivorsitzender und Ministerpräsident von Bayern
- Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Köln
- Martin Stürmer, Virologe
"Wir in Bayern"
"Wir hier in Bayern", wir machen im Prinzip vieles richtig. Oder aber auf jeden Fall besser als NRW, das war Bayerns Ministerpräsident Söder schon wichtig zu betonen. Der ganze Abend aber war für ihn vor allem eine "bei uns hier in Bayern"- Show, bei der man sich am Ende fast freuen konnte, dass doch nicht Söder Kanzlerkandidat der Union ist. Immerhin will der Rest von Deutschland vielleicht nicht alles so machen, wie "wir hier in Bayern". Obwohl, was die Änderung der Priorisierungen beim Impfen angeht, da ist Bayern schon interessant. Denn laut Söder werden eben in Ballungszentren auch sozial Schwache geimpft oder Familien.
Ein Weg, den auch Virologe Martin Stürmer unterstützt, in dem er sich dafür stark macht, dass sozial schwache Menschen auch zur Priorisierungsgruppe 3 hinzugefügt werden. Man sollte, warf er ein, mehr auf die IntensivmedizinerInnen hören, die ja mehrfach betonten, dass aus dieser Bevölkerungsgruppe mehr Menschen auf den Intensivstationen liegen würden. Für solch eine Entscheidung sei keine große Überarbeitung der Verordnung notwendig und "die Akzeptanz für sowas ist sicher gegeben".
Kontaktverbot im Altenheim
Was inakzeptabel für die meisten Menschen ist, sind ältere MitbürgerInnen, die trotz zweifacher Impfung nicht mal gemeinsam mit ihren Kontakten im Heim zu Mittag essen dürfen. Die keinen Besuch von der Familie, sondern nur jeweils einem Familienmitglied bekommen dürfen. Vor einem Jahr wurden Einschränkungen dieser Art zum Schutz der BewohnerInnen getroffen. Dass sie bisher aber nicht an das Infektions- und Impfgeschehen angepasst wurden, ist skandalös.
Justizministerin Christine Lambrecht stellte in Aussicht, dass dies sich ab nächster Woche ändern solle: "Ich habe da ganz dicke Bretter gebohrt", und man dürfe nun nicht mehr warten. Natürlich, die Mühlen in der Politik mahlen oft sehr langsam, aber dass in diesem Fall nicht mit dem Beschluss auch gleichzeitig eine Exitstrategie entworfen wurde, um Menschen, die nicht mehr lange leben werden, vor Einsamkeit besser zu schützen, lässt einen doch kurz zweifeln.
Freiheit in der kontrollierten Pandemie
Zweifelhaft fand die Vorsitzende des Europäischen Ethikrats, Christiane Woopen, die Kommunikation der Bundesregierung. Denn wieso, fragte sie, bekämen ab demnächst die vollständig Genesenen und zweifach Geimpften einen Teil ihrer Grundrechte wieder, die negativ Getesteten aber nicht. Es gäbe aus ihrer Sicht keinen Grund, warum nicht alle drei Gruppen wieder – zum Beispiel – an Veranstaltungen teilnehmen dürften, es müsse nur unterschiedliche Wege geben, wie das ermöglicht werden könnte. Das ginge aber nur, wenn aktuell die Zahlen noch weiter sinken würden, denn dann sollte es "Freiheit in der kontrollierten Pandemie" geben. Das mit der Kontrolle ist aber so eine Sache, manchmal ist sie ja auch nur eine Illusion.

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Woppen forderte "Monitoringstudien", also Studien bei denen Panels angelegt werden, die engmaschig und regelmäßig untersucht würden, um überhaupt erstmal zu verstehen, wie Menschen nach einer Coronainfektion reagieren, wie lange sie möglicherweise immun sind. Noch ist das Wissen dazu kaum vorhanden.
Die Empfehlung des RKI
Die Justizministerin widersprach an dem Punkt, dass es keinen Unterschied machen sollte, ob Menschen geimpft, genesen oder negativ getestet sind. Denn natürlich gäbe es da, auch laut Robert Koch-Institut (RKI), einen Unterschied. Das RKI hätte festgestellt, dass von zweifach Geimpften wenig Gefahr ausginge. Virologe Stürmer gab da zu bedenken, dass im selben Papier neben dieser oft zitierten Einschätzung auch erwähnt wurde, dass Geimpfte sich trotzdem an alle Maßnahmen halten müssten, dazu zählen in erster Linie eben Kontaktbeschränkungen und Abstand halten. Das geht nur nicht so gut in Einklang mit dem Vorhaben der Bundesregierung.

Es bleibt auch nach der Talkshow vieles im Graubereich, denn auch wenn Lambrecht als Beispiel immer wieder die geimpften Großeltern heranzog, die gemeinsam die Enkelkinder besuchen wollen: Es öffnet auch allem anderen Tür und Tor. Noch sind erst knapp acht Prozent der Deutschen zweimal geimpft und in großer Zahl werden diese keine Partys ansteuern, aber ob nun alle nur endlich zu Zweit mal wieder einzelne Familienmitglieder besuchen wollen, das ist unklar.
Wichtiger als Ausgangssperren: Die Zahlen müssen runter
Die momentan geltende Ausgangssperre ist sicher nicht das Nonplusultra aller Maßnahmen. Es müsse mehr darum gehen, die Zahlen nach unten zu bekommen, erinnerte Virologe Stürmer. Durch das schnelle Impfen bei gleichzeitig hohen Fallzahlen übten wir "Druck aufs Virus" aus, es könnte zu impfresistenten Mutationen kommen. Er rät zu einer Gleichstellung von Geimpften und Genesenen mit negativ Getesteten, darüber hinausgehende Grundrechte sollten für einen kurzen Zeitraum aber noch nicht verliehen werden.
Weitere Themenpunkte:
- Dürfen Geimpfte bald in den Biergarten? Das ist eher unwahrscheinlich, denn es gibt kein Anspruchsrecht auf beispielweise Gastronomie. Erst wenn die Inzidenzzahlen unter 100 liegen, könne es Lockerungen geben. Das sei aber, so Markus Söder, doch auch ein Anreiz für mehr Menschen, sich impfen zu lassen.
- Corona begleitet uns weiter. Markus Söder erinnerte noch einmal daran, dass auch nach der Zweifachimpfung nicht alles gut ist. Das wird uns, so Söder, noch Jahre begleiten.
Bei "Anne Will" ging es hoch her, aber der Erkenntnisgewinn ist dann leider doch eher gering: Es bleibt kompliziert.