"Rente statt Urlaub" Steinbrück-Vorstoß löst scharfe Reaktionen aus

Mit seinem Vorschlag, zugunsten der Rente auf Urlaubsreisen zu verzichten, hat Peer Steinbrück eine rege Debatte ausgelöst. Von fast allen Seiten erntet er Kritik - und bekommt Applaus aus einer ungewohnten Ecke.

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hat mit seinem Rat, die Deutschen sollten künftig beim Urlaub sparen und mehr für die Altersvorsorge tun, für Unmut gesorgt. Der Fraktionschef der Linkspartei im Bundestag, Gregor Gysi, sagte der "Neuen Rhein- Zeitung": "Wenn Herr Steinbrück die gut verdienenden Unternehmen gerechter besteuern würde, könnte er sich solche Ideen sparen. Das Problem in Deutschland ist nicht der Urlaub, den Millionen ohnehin nicht antreten können, sondern Politiker, die den Menschen ihren Urlaub nicht gönnen."

FDP-Chef Guido Westerwelle sprach in der Zeitung von "blankem Zynismus" - "erst recht von jemandem, der sich selbst Sozialdemokrat nennt". FDP-Fraktionsvize Rainer Brüderle gab Steinbrück den Rat, auf die geplante Mehrwertsteuererhöhung verzichten. Dann laufe die Wirtschaft besser, und die Menschen hätten auch Geld für die private Vorsorge, sagte Brüderle der "Kölnischen/Bonner Rundschau". Der sozialpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Heinrich Kolb, sagte: "Die Bürger verzichten lieber auf Steinbrücks Politik als auf Urlaub." Die Äußerungen Steinbrücks seien ein Beleg dafür, wie weit sich die große Koalition von den Realitäten und den Menschen in diesem Land entfernt habe.

Thea Dückert, Vize-Chefin der Grünen-Fraktion im Bundestag, sagte dem Blatt, Steinbrück habe wohl die "Orientierung verloren". Er male ein "Schreckgespenst" an die Wand. Private Vorsorge sei aber keine Frage des Konsumverzichts, sondern der Lebensplanung.

Das DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki warf Steinbrück ein "merkwürdiges Politikverständnis" vor. Matecki sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung", schon jetzt würden Millionen Deutsche unfreiwillig auf Urlaub verzichten, weil ihnen dazu das Geld fehle. Die Bundesregierung greife den Bürgern durch höhere Mehrwertsteuer sowie steigende Beiträge für Rente und Gesundheit tief in die Taschen. Das treffe vor allem Geringverdiener, die jetzt auch noch wegen der Kosten der sozialen Absicherung auf einen sauer ersparten Urlaub verzichten sollten.

Scharfe Kritik von Tourismus-Experten

Der Beauftragte der Bundesregierung für Tourismus, Ernst Hinsken, sagte: "Urlaub heißt entspannen, sich erholen und regenerieren, um anschließend wieder schlagkräftig und motiviert ans Werk zu gehen. Die schönsten Wochen des Jahres sollte man jedem Bürger gönnen und nicht vermiesen." Zweifellos habe die soziale Sicherung Vorrang und Reformen seien notwendig, "aber alles mit Maß und Ziel". Im übrigen gehöre der Tourismus mit über sieben Prozent Anteil an der Bruttowertschöpfung zu den größten Wirtschaftsbereichen Deutschlands.

Der Deutsche Tourismusverband wies Steinbrücks Idee scharf zurück. Dirk Dunkelberg, stellvertretender Verbands-Hauptgeschäftsführer, sagte der Berliner Tageszeitung "B.Z.": "Die Deutschen sparen schon längst in ihren Urlaubsorten. Wenn sie im Urlaub sind, geben sie weniger Geld aus als früher. Im Wirtschaftsministerium wird man die Idee von Herrn Steinbrück kaum teilen können. Der Tourismus ist einer der führenden Wirtschaftsfaktoren in Deutschland. Daraus resultieren Steuereinnahmen."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW), Klaus Laepple, sagte: "Bevor die Bundesregierung die Verbraucher zum Konsumverzicht aufruft, sollte sie alle Sparmöglichkeiten auf Regierungsebene ausgeschöpft haben." Es gebe etwa noch erhebliches Einsparpotenzial beim Bürokratieabbau. Der Urlaub diene dem Erhalt der Arbeitskraft. Einen Verzicht auf Erholung anzuraten und zugleich die Rente mit 67 zu diskutieren, sei nicht nachvollziehbar. Der Tourismus sei eine der Wachstumsbranchen in Deutschland. Der gesamtwirtschaftliche Produktionswert habe sich 2005 auf mehr als 185 Milliarden Euro belaufen.

CSU und Wirtschaft stehen hinter Steinbrück

Aus der CSU und der Wirtschaft kamen dagegen weitergehende Forderungen. Der CSU-Wirtschaftsexperte Hans Michelbach sprach sich in der "Bild"-Zeitung dafür aus, Urlaubstage zu streichen statt auf Urlaubsreisen zu verzichten. Das würde die Wirtschaft von Kosten entlasten und Arbeitsplätze sicherer machen. Ein sicherer Arbeitsplatz sei "die beste soziale Vorsorge", fügte der CSU- Politiker im Hinblick auf Steinbrücks Argument hinzu, die Deutschen sollten durch gelegentlichen Verzicht auf Reisen mehr für Alter und Krankheit vorsorgen.

Auch der Chef des Außenhandelsverbandes BGA, Anton Börner, regte in der "Bild"-Zeitung eine Kürzung des tariflichen Urlaubsanspruchs an: "Tatsache ist, dass die Deutschen im Vergleich zu anderen einen sehr hohen Urlaubsanspruch haben. Ein Verzicht auf einige Urlaubstage wäre ein gutes Signal für das anziehende Wachstum."

DPA
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