Presseschau AfD-Sieg bei Landratswahl: "Den Parteien ist ein Schlag in die Magengrube versetzt worden"

Der neue Landrat des Thüringer Kreis Sonneberg, Robert Sesselmann von der AfD: "So normalisiert man eine gefährliche Partei"
Der neue Landrat des Thüringer Lankreises Sonneberg, Robert Sesselmann von der AfD: "So normalisiert man eine gefährliche Partei"
© Martin Schutt / DPA
Der Sieg der AfD bei der Landratswahl im thüringischen Sonneberg beschäftigt Politik und Medien. Über die Ursachen ist man sich meist meist einig, über die möglichen Folgen gibt es unterschiedliche Ansichten. Eine Presseschau.

"Süddeutsche Zeitung": "Die AfD hat ein wichtiges strategisches Ziel erreicht und kann in Thüringen erstmals einen Landrat stellen. Das ist ein symbolischer Erfolg für die Thüringer Rechtsextremisten unter Führung ihres westdeutschen Kaders Björn Höcke, und es ist eine schmerzhafte Niederlage für alle Demokraten, die sich in der Stichwahl hinter den CDU-Kandidaten gestellt hatten. Vergebens. Nun wird Thüringens kleinster Landkreis von einem Mann vertreten, der als ersten Punkt Friedensverhandlungen mit Russland und ein Ende der Sanktionspolitik auf seiner Agenda stehen hatte. Wie bizarr allein diese Forderung ist, dürfte spätestens an diesem Wochenende jedem klar geworden sein - vorausgesetzt, er oder sie interessiert sich noch für politische Wirklichkeit. (...)"

"Der Spiegel": "(...) Das alles ist das Ergebnis eines kollektiven Versagens. Das Polittheater der leidenschaftlich zerstrittenen Ampelparteien befeuert den um sich greifenden Frust, und die Union um Friedrich Merz und Markus Söder gießt mit ihren populistischen Phrasen ebenso Öl ins Feuer wie manche Linke um Sahra Wagenknecht. Sogar Leute, die die aktuelle Lage mit wissenschaftlichen Methoden erklären sollten, beteiligen sich an der Diskursvergiftung: Forsa-Chef Manfred Güllner fantasierte neulich über "eine Art grüne Diktatur", und das Meinungsforschungsinstitut Insa trennte die Umfrageergebnisse der Unionsparteien voneinander, sodass die AfD plötzlich auf Augenhöhe mit CDU und SPD erschien. So normalisiert man eine gefährliche Partei.(...)"

"MDR": "(...) Ist Sesselmanns Wahlsieg daher der Vorbote eines Erfolges der AfD bei der nächsten Landtagswahl? Nicht, wenn sich die anderen Parteien wieder um die Probleme der Menschen im Land kümmern. Die Menschen interessieren keine Kooperationsverbote aus Parteizentralen und ideologische Grabenkämpfe der 90er-Jahre. Sie erwarten, dass Flüchtlinge menschenwürdig untergebracht und schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden. Sie erwarten, dass Menschen, die kein Bleiberecht haben, schnell abgeschoben werden. Eltern erwarten, dass in den Schulen genug Lehrerinnen unsere Kinder unterrichten. Unternehmer und Arbeitnehmer hoffen auf finanzielle Hilfen gegen die hohen Energiepreise. Die Menschen auf dem flachen Land brauchen bessere ÖPNV-Angebote und eine gute medizinische Versorgung.(...).

"Thüringer Allgemeine": "(...) Von Protestwählern ist immer wieder die Rede ja: Die Unzufriedenheit mit der Bundes- und der Landespolitik, gepaart mit Existenzängsten, spiegelt sich im Wahlverhalten wider. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass viele Menschen getrieben von diesen Ängsten eine Partei wählen, deren Thüringer Landesverband als rechtsextrem eingestuft wird, die Ressentiments schürt und an den Grundprinzipien unseres Zusammenlebens rüttelt. Im Großen - Bund und Land - lehnen die anderen Parteien genau deshalb eine Zusammenarbeit mit der AfD ab. Im Kleinen findet sie längst statt. Das sei zur Lösung von Sachfragen in einzelnen Fällen nötig, erklären Kommunalpolitiker der demokratischen Parteien. Sie sollten sich aber auch darüber im Klaren sein, dass jeder dieser Einzelfälle die AfD ein Stück salonfähiger macht. (...)"

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": (...) "In einer Gegend, in der die Mehrheit eigenwillig ihren extremen politischen Willen gegen "die da oben" durchsetzen will, ist ihnen ein Schlag in die Magengrube versetzt worden. Weder werden erhobene Zeigefinger, noch wird das Nachäffen populistischer Phrasen wie jüngst im Nachbarland Bayern, erst recht nicht ein arrogantes Pechstein-Bashing dazu beitragen, dass sich der Wind im Osten drehen lässt.(...)"

AfD spielt genussvoll Rolle des Außenseiters

"Welt": (...) "Wenig hilfreich ist dagegen der demonstrative "Schulterschluss der Demokraten". Wenn wie in Sonneberg sämtliche Parteien, von SPD über FDP und Grüne bis zur Linken, eine Wahlempfehlung für die CDU abgeben, dann kann die AfD noch genussvoller ihre Rolle als Außenseiter und Opfer der "Systemparteien" pflegen. Das führt dazu, dass am Ende sogar die Einstufung als "rechtsextrem" – zumindest in Teilen der Wählerschaft – als Auszeichnung verstanden wird, weil sie eine maximale Distanz zum verachteten politischen Establishment zum Ausdruck bringt.(...)"

"taz": (...) Eines sollte man nicht tun angesichts von Sonneberg: resignieren. Sonneberg sollte Anlass für kritische Selbstreflektion sein und eine Stärkung inhaltlich unterscheidbarer und vernünftiger Positionen nach sich ziehen. Die Parteien sollten ohne populistische Entgleisungen um reale Alternativen streiten. Denn die AfD hat nichts außer Fundamentalopposition zu bieten, sie schürt Abstiegsängste, gibt auf soziale Verteilungsfragen nur rassistische Antworten und vergiftet den demokratischen Diskurs. Bundesregierung und demokratische Opposition sind gefordert, gerade in der Krise auf tatsächlich soziale Verwerfung geeignete und vernünftige Antworten finden. (...).

"Junge Freiheit": (...) Und das trotz einer Allparteienkoalition von SED-Erben über SPD bis zur CDU. Oder gerade deswegen? Da fühlte sich mancher Wähler wohl doch ein wenig zu sehr an die Blockparteien der untergegangenen DDR erinnert. Die Schreckensszenarien, die Panikmache, das laute Gekreische in den sozialen Netzwerken. Es hat alles nichts genutzt. Hat nicht mehr verfangen. Wer jeden Tag die Welt untergehen läßt, schockt den Wähler mit Warnungen vor der AfD nicht mehr. (...).

tis