Die Essener Tafel nimmt bis auf Weiteres keine Menschen ohne deutschen Pass mehr neu in ihre Kartei auf – in diese Debatte schaltete sich Anfang der Woche auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein und erntet dafür jetzt selbst heftige Kritik. Merkel lehnte Aufnahmestopps für Ausländer ab. In einem RTL-Interview sagte die Kanzlerin: "Da sollte man nicht solche Kategorisierungen vornehmen." Dies sei "nicht gut", zeige aber "auch den Druck, den es gibt". Ähnliche Kritik kam auch von Politiker verschiedener Parteien und Sozialverbänden.
Doch Merkel muss für ihre Worte teils deutliche Kritik einstecken, auch aus den eigenen Reihen. Manche Kritiker meinen, die Regierungschefin mache es sich zu einfach. Dieser Ansicht ist beispielsweise Caritas-Präsident Peter Neher. Der "Bild"-Zeitung sagte er: "Statt kluger Ratschläge sollten die Verantwortlichen in Essen darin unterstützt werden, wie sie mit der offenbar schwierigen Situation umgehen, ohne zwischen einheimischen und ausländischen Bedürftigen zu unterscheiden."
Grünen-Chef Robert Habeck meinte: "Letztlich baden Freiwillige aus, was die Politik versäumt hat". Die Antwort könne nur sein, dass wir Integration genauso vorantreiben wie den Kampf gegen Armut.
Die Essener Tafel hält derweil an ihrer Entscheidung fest. Am Mittwoch wurden Menschen abgewiesen, die neu in die Kartei aufgenommen werden wollten, aber keinen deutschen Pass haben. Begründet wird der seit Januar geltende Aufnahmestopp für Ausländer mit deren hohem Anteil an den Kunden der Tafel. Zuletzt seien immer weniger Einheimische zur Lebensmittelausgabe gekommen, gerade ältere Frauen hätten sich von jungen, fremdsprachigen Männern abgeschreckt gefühlt. Auch alleinerziehende Mütter seien häufiger weggeblieben.
Insgesamt ist der Anteil der Ausländer unter den Tafel-Kunden recht hoch
Der Dachverband der deutschen Tafeln schätzt, dass hierzulande inzwischen vermutlich gut 60 Prozent der Tafel-Kunden nicht-deutscher Herkunft sind – die Essener stehen also nicht allein mit ihren Schwierigkeiten. Allerdings sind sie bisher die einzigen in Deutschland, die einen derart rigorosen Aufnahmestopp verhängen.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt machte sich selbst ein Bild von der Lage: Er sprach nach eigenen Angaben mit Jörg Sartor, dem Vorsitzenden der Essener Tafel – und münzte seine Informationen sogleich ebenfalls zur Kritik an Merkel um: Er unterstütze Sartors Entscheidung, sagte Dobrindt. "Es ist richtig, dafür zu sorgen, dass es nicht zu einer Verdrängung kommt an der Tafel", so der CSU-Politiker am Dienstag. Es dürfe nicht sein, dass "die, die angestammt berechtigt sind" durch respektloses Verhalten anderer von der Tafel ausgeschlossen würden.
CSU-Innenpolitiker Mayer: Hilfsbedürftige Deutsche nicht schlechter stellen
CSU-Innenexperte Stephan Mayer äußerte ebenfalls Verständnis für die Essener Entscheidung. Jede Tafel stehe vor der Problematik, dass sie nur eine gewisse Menge an Lebensmitteln und Getränken zur Verteilung habe, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag der "Passauer Neuen Presse“. "Dabei müssen wir entschieden dem Eindruck entgegenwirken, dass wegen der Migrations- und Flüchtlingskrise und den enormen Mitteln, die der Staat für Flüchtlinge und Migranten aufwendet, hilfsbedürftige Deutsche schlechter gestellt werden und kürzer treten müssen."
CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach hält den Aufnahmestopp zwar für nicht unproblematisch. Bei der Ausgabe der Lebensmittelspenden gehe es schließlich um die Bedürftigkeit. Allerdings hätten die Verantwortlichen monatelang um die Entscheidung gerungen. Die Kritik sei völlig überzogen, da diese Entscheidung nur vorübergehend sei und es nur um Neuaufnahmen gehe. "Für diejenigen, die trotz Bedürftigkeit nicht mehr zur Tafel gegangen sind, fehlt den Kritikern jedes Verständnis. Kein Wort des Bedauerns", so Bosbach.
Angela Merkel hat "größten Respekt" vor den Ehrenamtlichen
Wie lange der Aufnahmestopp bestehen bleibt, ist unklar. Ein runder Tisch, bestehend unter anderem aus Essener Wohlfahrtsverbänden und der Verbund der dortigen Migrantenselbstorganisationen, soll in der nächsten Zeit Lösungen erarbeiten. Kanzlerin Merkel ließ durch Regierungssprecher Steffen Seibert ausrichten, sie begrüße die Einrichtung eines runden Tischs. Merkel sehe den Einsatz von Ehrenamtlichen zur Verteilung von Lebensmitteln für Bedürftige mit "größtem Respekt". Ein bedürftiger Mensch sei ein bedürftiger Mensch. Die Staatsangehörigkeit sei dafür keine Richtschnur.
Bis Lösungen gefunden werden aber heißt es: Wer keinen deutschen Pass hat, wird nicht neu in die Kartei der Tafel in Essen aufgenommen.