Die wohl wichtigste Erkenntnis des diesjährigen politischen Aschermittwochs hat weitreichende Folgen: In Deutschland ist eine Machtverschiebung in vollem Gange. Hauptgegner der Union ist nicht mehr die SPD, sondern sind längst die Grünen. Und diese sind laut ihrem Chef Robert Habeck nicht nur dafür bereit. Auf die zentrale Frage, was unsere Gesellschaft zusammenhält, sei von der Union keine Antwort mehr zu erwarten. "Also müssen wir sie geben!", ruft er in Landshut seinen jubelnden Parteifreunden zu. Damit formuliert Habeck nicht nur den Machtanspruch der Grünen, zugleich legt er damit den Finger in die schmerzhafteste Wunde der Volksparteien CDU und CSU.
Betrachtet man den Aschermittwoch als Seismograph für die Stimmung im Land, wird schnell klar, dass es besonders bewegte Zeiten sind - zwischen CDU-Führungskrise, dem Anschlag in Hanau, der Corona-Sorge. Zumindest eines eint - bis auf die Rechtspopulisten - aber alle Parteien: die scharfe Abgrenzung zur AfD, Nazis und Faschisten. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken wird hier mit am deutlichsten. Sie sagt beim Aschermittwoch ihrer Partei im niederbayerischen Vilshofen: "Nur weil die AfD in einer demokratischen Wahl in die Parlamente gewählt wurde, sind es noch lange keine Demokraten. Nazis bleiben Nazis."
"Nicht von Schwarz-Grün träumen und am Ende mit Grün-Rot-Rot aufwachen"
Es sind bemerkenswerte Fernduelle, die sich an diesem Mittwoch Habeck, Noch-CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und CSU-Chef Markus Söder liefern. Insbesondere Söder schaltet bei dem laut CSU "größten Stammtisch der Welt mit gefühlten 10.000" in Passau auf Angriff gegen Habeck: "Ein grüner Kanzler - den wollen wir nicht in Deutschland." Das Programm der Grünen mit Verboten und Belehrungen atme den Mief der 80er Jahre. Die Grünen wollten "nix Neues, viel Altes, immer das gleiche", den Griff in grüne "Mottenkisten".
Und mehr noch: Söder schimpft über "grünen Sozialismus" und lehnt unter diesen Umständen eine Koalition mit den Grünen nach der nächsten Wahl ab: "Ein solches Programm ist für uns in CDU und CSU nicht koalitionsfähig, diesen Weg beschreiten wir für Deutschland nicht mit." Ohnehin unterstellt Söder den Grünen, diese wollten lieber ein Bündnis mit SPD und Linken. Er warnt: "Nicht von Schwarz-Grün träumen und am Ende mit Grün-Rot-Rot aufwachen."
Habeck kontert - auf seine Weise. Die "schizophrene" Regionalpartei CSU, die CDU und die SPD beschäftigten sich nur noch mit sich selbst. Sie hätten keine Zeit mehr, Antworten auf die zentralen Fragen der Zeit zu liefern. "Das ist die Aufgabe, die wir annehmen müssen."
Politik müsse Probleme lösen, Vertrauen aufbauen und diese Gesellschaft zusammenhalten - gerade in Zeiten mit "demokratischen Lücken" wie dem wachsenden Rechtsterrorismus und Sorgen der Menschen vor Veränderungen, sagt Habeck. 40 Jahre nach ihrer Gründung seien die Grünen als Bündnis unterschiedlichster Menschen prädestiniert, der Gesellschaft Antworten auf ihre Fragen zu liefern. "Halten wir Aschermittwochsreden der Zuversicht und nicht der Bepöbelung des politischen Gegners. Gucken wir gar nicht auf den politischen Gegner. Gucken wir nur noch auf die Probleme, gehen sie an, lösen wir sie."
Gleichwohl findet er in Richtung Union und SPD deutliche Worte: "In einer Zeit, wo politische Führung so erforderlich ist, haben wir es mit einem Komplettausfall der Volksparteien zu tun." Die Lage sei gefährlich, an die "Sehnsucht der SPD nach Bedeutungslosigkeit" habe man sich schon fast gewöhnt, die "chaotisch demoralisierte" Union sei ein Schiff ohne Steuer und Anker. "Die Desorientierung der anderen Parteien, die sich nur noch um sich selber drehen - das ist ganz konkret ein Problem, das Deutschland lähmt", warnt Habeck.
Armin Laschet spricht im "Merz-Revier"
Bei Kramp-Karrenbauer klingt das etwas weniger forsch: Die Grünen verfolgten eine Politik der Bevormundung "von der Wiege bis zur Bahre", sagt sie in Fellbach bei Stuttgart. Dagegen müsse die CDU angehen. Doch auch in ihrer eigenen Rede kommt AKK nicht umhin, sich mit der Krise ihrer eigenen Partei und damit ihrem eigenen Scheitern zu befassen - und liefert damit unfreiwillig ein Beispiel für Habecks Kritik. Die CDU dürfe im Konkurrenzkampf um ihre Nachfolge nicht allzusehr mit sich selbst beschäftigen: "Wir dürfen nicht den Fehler machen zu glauben, wir als Partei seien der Nabel der Welt."
Apropos CDU-Krise: Auch die beiden Favoriten bei der für Ende April terminierten Kampfabstimmung um den CDU-Chefsessel lassen sich den Aschermittwoch nicht entgehen. Im tiefsten Sauerland - also im "Merz-Revier" - steht NRW-Regierungschef Armin Laschet auf der Bühne. Wer jedoch von Laschet eine feurige Bewerbungsrede in eigener Sache erwartet, der wird enttäuscht. Erst am Ende seiner Rede kommt Laschet auf den "Wettbewerb" in der CDU zu sprechen: "Ich will einfach nur es machen", holpert er fast verlegen ins Mikrofon. Die CDU werde nur Erfolg haben, wenn sie es schaffe, dass "alle mit an Bord sind". Ohne den Namen Merz zu nennen, klingt es wie eine Bitte an den Sauerländer, sich doch noch für eine Teamlösung und damit gegen eine Kampfabstimmung zu entscheiden, die die Partei weiter spalten würde.
Und Merz? Der wird schon vor seiner Rede im thüringischen Apolda laut und demonstrativ gefeiert. Ausgerechnet hier, wo das Scheitern von Kramp-Karrenbauer mit der Wahl des FDP-Manns Thomas Kemmerich mit Stimmen von CDU und AfD vor Wochen ihren Anfang nahm. "Das mitten im Winter der Frühling da ist, liegt auch an dir, lieber Friedrich", sagt Noch-CDU-Landeschef Mike Mohring. Die Union brauche dringend einen Neuanfang. "Wir setzen auf dich." Merz muss nur noch nicken. Doch wie Laschet beschwört auch er den Zusammenhalt: Sollte er CDU-Vorsitzender werden, gehörten Laschet und Spahn in sein Team, sagte Merz. "Dann sind wir eine Mannschaft, dann gehen wir zusammen nach vorn." Welche Rolle er für sich im CDU-Team der Zukunft sieht, erklärt er stattdessen in einem Interview: Einen Ministerposten schließt er für sich im Falle der Wahl zum CDU-Chef aus. Punkt.