Berlin vertraulich! Von Bankdrückern und Rechenschiebern

Worüber redet das politische Berlin, wenn die Kameras ausgeschaltet sind? stern-Autor Hans Peter Schütz hört hin und notiert für stern.de wöchentlich den neuesten Tratsch aus der Hauptstadt: Diesmal geht es um Schichtdienst für Bundestagsabgeordnete.

Es ist ja wirklich peinlich, wie lässig die Abgeordneten in Sitzungswochen ihre Anwesenheit im Plenum des Bundestags nehmen. Zeitweise verlieren sich weniger als zwei Dutzend Abgeordnete im Plenarsaal, was dann entsprechend abfällig von den dicht besetzten Besucherplätzen kommentiert wird. Besonders dünn sind oft die Reihen der Großen Koalition, die immerhin 447 der insgesamt 614 Mandatsträger stellt. Das hat schon zweimal zu "Abstimmungssiegen" der Opposition geführt. Im neuen Jahr soll aber alles besser werden. Daher hat die SPD-Fraktion einen "Dienstplan zur Grundsicherung der Präsenz im Plenum" ausgetüftelt. Im Stundenrhythmus müssen bestimmte Abgeordnete die Sitzungstage ableisten. Zum Beispiel haben die Genossen aus Bayern, Bremen, Hamburg und Sachsen-Anhalt am 18. Januar zwischen 15 Uhr und 16 Uhr zum Diäten-Absitzen (monatlich 7009 Euro) anzutreten. Danach sind die SPD-Abgeordneten aus Berlin, Hessen, Sachsen. Thüringen und dem Saarland dran. Wer fehlt, wird von Uwe Küster, einem der Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD notiert und dem jeweiligen Chef der Landesgruppe gemeldet. Florian Pronold. Vorsitzender der bayerischen Landesgruppe, ist zwar im Prinzip für den Präsenzplan. Aber er hat Vorbehalte: "Bei der Vielzahl der dienstlichen Termine, die Abgeordnete neben dem Plenum haben, wird der Plan nur schwer einzuhalten sein. Schließlich verfügten auch SPD-Abgeordnete nicht über die Fähigkeit zur Bilokalität." Das wäre ja noch schöner: Bilokalität ist in der Kirche schließlich ein Grund zur Heiligsprechung.

*

Für Erheiterung zum Jahreswechsel hat die SPD-Landesgruppe im Bundestag gesorgt. Sozusagen mit einem echten Stoiber. In Anlehnung an die berühmte Kauderwelsch-Rede, mit der Bayerns Ministerpräsident einmal den Weg vom Münchner Hauptbahnhof zum Franz-Josef-Strauß-Flughafen in "zehn Minuten" per Transrapid beschrieben hat, wünschte sie frei nach Stoiber schöne Feiertage und einen Guten Rutsch: "Als Weihnachtsmann ... äh, äh ... starten Sie die Bescherung - zehn Minuten - schauen Sie sich mal den Geschenkverteiler an, wenn Sie als Osterhase an Ostern oder ... äh ... der Pelzmertel oder ... äh ... der Nikolaus ... wenn Sie sich mal die Entfernungen ansehen, wenn Sie Ostern sich ansehen, dann werden Sie feststellen, dass zehn Minuten Sie jederzeit locker an Ostern brauchen, um die Eier zu finden. Wenn Sie vom Süd ... äh ... vom Nordpol starten - Sie steigen in den Nordpol ein, Sie fahren mit dem Transrapid in zehn Minuten zur Bescherung, dann starten Sie praktisch hier am Nordpol - das bedeutet natürlich, dass Weihnachten im Grunde genommen näher an Bayern, an die bayerischen Städte heranwächst, weil das ja klar ist, weil am Nordpol viele Breitengrade zusammenlaufen." Alles klar?

*

Ein Ereignis, im ersten Augenschein weit weg vom politischen Berlin, wird in der CDU/CSU-Fraktion mit dezenter Aufmerksamkeit beobachtet: Die Mannheimer Oberbürgermeisterwahl im kommenden Juni. Denn dort tritt der Bundestagsabgeordnete Ingo Wellenreuther für die CDU an. Zwar ist Mannheim im Normalfall kein CDU-Terrain, aber angesichts der vielen Überraschungen, die es in den vergangenen Monaten bei OB-Wahlen wegen der miserablen Wahlbeteiligung vor allem der SPD-Wähler gegeben hat, doch kein von vornherein verlorenes Spiel. Und daher wird in Berlin gerechnet: Erst im Dezember hat die Fraktion Henry Nitzsche (Hoyerswerda) wegen rechtsextremer Äußerungen gefeuert. Gewinnt Welllenreuther, verliert die Unionsfraktion ein Mandat, denn er sitzt auf einem Überhangmandat, für das es keinen Nachrücker gibt. Und dann würde es knapp in der Koalition: Nur noch 224 CDU/CSU-Vertreter stünden dann den 222 SPD-Abgeordneten gegenüber. Zum Patt fehlt dann nicht mehr viel, denn es gibt weitere Überhangmandate in der CDU/CSU-Fraktion.