Lange Zeit konnte Armin Laschet planlos glücklich sein. Warum auch nicht? Die Union, dessen Kanzlerkandidat er ist, überflügelte die politische Konkurrenz in den Umfragen. Aus dem grünen Höhen- wurde ein Sinkflug, zahlreiche Patzer der Spitzenkandidatin hatten dafür gesorgt, und die SPD galt abermals als abgeschrieben, scheinbar einbetoniert im Umfragekeller.
Der Wahlkampf erledigte sich für CDU/CSU praktisch wie von selbst. Mit Inhalten hatte man es folglich nicht eilig, mit potenziellem Konfliktstoff in der politischen Auseinandersetzung. Und so legten die Schwesterparteien ihr Wahlprogramm erst im Juni vor, kurz vor der Bundestagswahl, als letzte der großen Parteien.
Doch nun ist alles anders. Und für Laschet kann es mit Inhalten offenbar nicht schnell genug gehen.
Mit Schwung in die Zukunft – 23 Tage vor der Wahl
"Kreative Ideen jetzt auf den Punkt zu bringen, das ist das, was wir uns vorgenommen haben", sagte er am Freitag im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin – nur noch 23 Tage bis zur Bundestagswahl. Auf den Punkt bringen soll es sein "Zukunftsteam", ein Gremium aus jeweils vier Expertinnen und Experten mit verschiedenen Themenschwerpunkten, von denen sich der CDU-Parteichef neuen Schwung für seinen Kampf ums Kanzleramt erhoffen dürfte.
Das ist Armin Laschets Zukunftsteam: Sie sollen den CDU-Kanzlerkandidaten aus dem Tief holen

Schwung kann er gebrauchen. Die Strategie des weitestgehend inhaltslosen Wahlkampfes, des unaufgeregten Kurses von "Maß und Mitte", auf den sich alle einigen könnten, erwies sich offensichtlich nicht als nachhaltig. Die Union liegt in mehreren Umfragen hinter der SPD, Spitzenkandidat Olaf Scholz liegt bei der Kanzlerpräferenz weit vorn, ihm wird von den Wähler:innen deutlich mehr Führungsstärke, Sympathie und Glaubwürdigkeit als der Konkurrenz attestiert.
Den Sozialdemokraten ist die Trendwende gelungen, aus mehreren Gründen, aber auch und vor allem wegen Scholz. Seine Inszenierung als erfahrener und kompetenter Merkel-Nachfolger hat zunehmend einen Haken im Gedächtnis der Wähler:innen geschlagen – und ihm vonseiten der Union den vielsagenden Vorwurf der "Erbschleicherei" eingebracht.
Bei der Union soll es nun eine Art Neuauflage der "Rote Socken"-Kampagne richten, auch das "Zukunftsteam" soll die Wählerschaft mobilisieren und die Trendwende einläuten. Denn anders als Scholz konnte Laschet allein offenbar nicht genug Zugkraft aufbringen. Er wurde als Teamplayer ins Amt des CDU-Chefs gewählt, der nach dem langwierigen Findungsprozess für Ruhe in den eigenen Reihen sorgen und die Strömungen der Partei zusammenführen sollte.

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Laschet betonte bei der Vorstellung daher auch, das "Zukunftsteam" solle alle Parteiflügel zusammenhalten und gleichzeitig neue Ideen für die Zukunft liefern. Es handle sich um Experten, die etwas anderes machen als "Experimente ideologischer Art". Merz, der dem konservativen CDU-Flügel zugerechnet wird, soll sich dabei etwa um den Bereich Wirtschaft und Finanzen kümmern. Die stellvertretende CSU-Vorsitzende Bär repräsentiert den Bereich Digitalisierung und Innovation.
Die späte Abkehr von Merkel
Das Ziel: ein deutlicheres Profil, für welche Inhalte und welche Köpfe die Union steht. Das ließ Laschet bisher vermissen, liest man aus Wortmeldungen führender Unionspolitiker. "Wir brauchen einen Strategiewechsel, wir brauchen auch einen Wahlkampf, der die Unterschiede klarer macht", forderte etwa Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der sozusagen als erstes Team-Mitglied für Laschet als CDU-Chef warb.
Doch auch CSU-Chef Markus Söder forderte unlängst, dass die Union "jetzt herausstellen muss, was die Unterschiede zu den anderen Konstellationen sind". Gemeint: Die Regierungsoptionen ohne Beteiligung von CDU/CSU, die laut Umfragen zunehmend wahrscheinlicher werden. Noch als die Umfragewerte besser waren, warnte Söder: "Es ist ganz wichtig, dass wir in den nächsten Wochen dokumentieren, dass es nicht nur darum geht, sich mit Schlafwagen ins Kanzleramt zu fahren, auf langsame Geschwindigkeit." Ende der Durchsage – aber eine klare Ansage an Laschet.
Bringt das "Zukunftsteam" die Trendwende, den Befreiungsschlag?
Es ist die späte Korrektur eines strategischen Fehlers, meint der Politikwissenschaftler Thomas Jäger von der Universität Köln zum stern. "Das Zukunftsteam ist die deutliche Abwendung von Merkel", sagt er. Einerseits: Merz ist dabei, bekanntlich Intimfeind der Kanzlerin. Andererseits: "Alle Minister aus dem Kabinett Merkel fehlen."
Laschet hätte nach seiner Wahl zum CDU-Chef Einfluss auf das Kabinett nehmen können, diese Chance aber liegen lassen. "Hätte er Merz als Wirtschaftsminister ins Kabinett geschickt, würde der nun mit Scholz auf Augenhöhe die Auseinandersetzung suchen können." Hätte Merkel das Ansinnen brüsk abgelehnt, könnte Laschet sie nun in die Verantwortung für die schlechten Umfragen nehmen. "Das war sein zentraler strategischer Fehler", so der Politikwissenschaftler.
Für Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter ist das Last-Minute-Team "hilfloser Aktionismus". Und auch der Wahlforscher Peter Matuschek bezweifelt, "dass es ein Zugpferd werden kann." Der Leiter der Abteilung Politik- und Sozialforschung bei Forsa blickte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP mit Skepsis auf den Schritt. "Ich halte das Timing wirklich für sehr spät", so Matuschek. Darüber hinaus sei es "ein Lehrbuchsatz aus jedem Wahlkampfhandbuch, dass man ein Team braucht, wenn man einen schwachen Kandidaten hat." Nun sehe es so aus, "als ob man das Laschet aufzwingen musste."
Jetzt müsse man sehen, wie viele Leute die Expert:innen überhaupt kennen würden. "Die Erfahrungen mit unpolitischen Experten zeigen, das kann ein paar Punkte Aufmerksamkeit bringen", sagte der Wahlforscher. "Sinnvoller wäre es vermutlich, wenn man Personen hätte, die schon bekannt sind und eine gewisse Zugkraft haben."

Denn die Zeit ist denkbar knapp. Die Bundestagswahl steht in 23 Tagen an, angesichts der Corona-Pandemie dürften schon einige Kreuze per Briefwahl auf dem Postweg sein. "Alle Teammitglieder in wenigen Tagen öffentlich vermitteln zu wollen, ist eine Herkulesaufgabe für die Wahlkämpfer", meint auch Politikwissenschaftler Jäger zum stern. "Und einzelne herauszuheben, würde die anderen hintenanstellen."
Spätestens am 26. September wird sich herausstellen, ob es Laschet mit seinem "Zukunftsteam" gelingt, sich gegen den Abwärtstrend zu stemmen – oder ob sich der Kanzlerkandidat verhoben hat.