Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel will Deutschland mit einer radikalen Sozial- und Steuerreform in zehn Jahren wieder an die Spitze in Europa bringen. Zur Eröffnung des zweitägigen CDU-Parteitags in Leipzig verband Merkel diese Ankündigung am Montag mit scharfen Angriffen auf die Bundesregierung. Die Uhr für Kanzler Gerhard Schröder und Rot-Grün laufe unerbittlich ab. Ob die Zeit 2006 oder vorher gekommen sei: Die Union sei bereit für den Wechsel.
Werben um Zustimmung bei Sozialreformen
Merkel versprach vor den rund 1.000 Delegierten, dass nach dem CDU-Konzept zur Umstellung der Krankenversicherung auf ein einkommensunabhängiges, kapitalgedecktes Pro-Kopf-Prämiensystem niemand außer den hohen Einkommensgruppen mehr zahlen müsse als heute. Geringverdiener würden nicht schlechter gestellt, mittlere Einkommen bis zur Bemessungsgrenze seien direkte Gewinner. Einen stärkeren Beitrag müssten dagegen die Bezieher wirklich großer Einkommen leisten. Unter dem Strich aber würden alle Gewinner sein, denn die Reform sei ein "Befreiungsschlag zur Senkung der Arbeitskosten".
Sozialausgleich verteidigt
Mit Nachdruck verteidigte die CDU-Chefin die vorgesehene Finanzierung des Sozialausgleichs für Bezieher niedriger Einkommen über das Steuersystem. Der soziale Ausgleich bei einem Risiko, das jeden treffen könne, müsse auch von allen Teilen der Gesellschaft getragen werden. Finanziert werde das, indem der Arbeitgeberbeitrag eingefroren und dem zu versteuernden Einkommen zugeschlagen werde. Diese Steuermehreinnahmen sowie zusätzliche Einnahmen durch die erwarteten Konjunktureffekte der Reform machten der Restbetrag zu einer beherrschbaren Größe.
"Spannende Zeiten" mit der CDU
Mit Blick auf die Differenzen mit der CSU sagte Merkel, auf dem Parteitag werde das größte und umfassendste Reformpaket beraten, das es in der CDU seit langem gegeben habe. Sie wisse, dass dieses Werk von allen viel abfordere, auch im Verhältnis von CDU und CSU. Sie danke CSU-Chef Edmund Stoiber für die Zusammenarbeit. "Wir haben spannende Zeiten hinter uns, und wir haben sicher noch spannende Zeiten gemeinsam vor uns." CSU-Chef Edmund Stoiber wird erst am Dienstag in Leipzig erwartet.
Lob für Merz-Entwurf
Als "großen Wurf" lobte Merkel das von Fraktionsvize Friedrich Merz erarbeitete Modell für eine radikale Vereinfachung des Steuersystems. Aus dem Paragrafendschungel des derzeitigen Einkommensteuergesetzes komme man nur heraus, wenn man es durch ein völlig neues Gesetz ersetze. Das Konzept in Form von Leitsätzen soll am (morgigen) Dienstag beschlossen werden.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Rot-Grüne "Fehler am Fließband"
Merkel warf die Bundeskanzler Gerhard Schröder und Rot-Grün vor, "Fehler am Fließband" zu machen. Speziell dem Kanzler warf sie eine zerstörerische Politik vor. Deutschland stecke in seiner schwersten wirtschaftlichen Krise seit 1949, und ausgerechnet in dieser Situation habe Schröder der eigenen Truppe auf dem SPD-Parteitag in Bochum gedroht: "Euch mache ich fertig". "Den Mann muss man davon abhalten, dass er uns alle kaputt macht in diesen Land!", rief Merkel.
"Weder auf dem linken noch auf dem rechten Auge blind"
Relativ kurz ging Merkel auf die strikten Sanktionen gegen den CDU-Abgeordneten Martin Hohmann ein und verteidigte entschieden seinen Ausschluss. Der christlich motivierte Widerstand gegen das nationalsozialistische Terrorregime gehöre zu den wichtigsten geistigen und politischen Wurzeln der CDU, so Merkel in Leipzig. Für die CDU gehöre die Anerkennung der Singularität des Holocausts daher zur ständigen Aussöhnung der Deutschen mit sich selbst dazu. Wenn jemand durch sein Verhalten hieran Zweifel begründe und diese Zweifel in angemessener Zeit nicht ausräume, "dann müssen wir die Konsequenzen ziehen, so schmerzlich sie menschlich auch sind".
Auch CDU plagt Mitgliederschwund
Die CDU verliert wie auch die SPD weiter deutlich an Mitgliedern. Die Christdemokraten haben jetzt nur rund 589.000 Männer und Frauen in ihren Reihen, wie aus dem während des Parteitags vorgelegten Bericht der Parteizentrale hervorgeht. Das bedeutet einen Rückgang in den vergangenen zwei Jahren von rund 20.000 "Parteifreunden". Ihren Höchststand hatte die CDU Mitte der 80er Jahre und noch einmal nach der Vereinigung von West- und Ost-CDU im Jahr 1990 mit rund 750.000 Mitgliedern. Damit geht es der CDU aber immer noch besser als den Sozialdemokraten. Sie konnten sich Mitte der 70er Jahre über knapp eine Million Mitglieder freuen, jetzt sind es nur noch rund 670.000 Genossen. CDU und CSU zusammengenommen haben somit heute einen wesentlich höheren Organisationsgrad als die Sozialdemokraten. Insgesamt bekennen sich 767.000 Menschen zur Union. Die CDU wird es aber schwer haben, ihr Mitgliederniveau auch nur annähernd zu halten. Nur knapp 17 Prozent sind unter 39 Jahre alt. Obwohl die CDU als erste der beiden Volksparteien eine Frau als Vorsitzende hat, sind Frauen in der Partei weiter eine Minderheit. Nur 25 Prozent der CDU-Mitglieder sind weiblich.