Es ist eine bemerkenswerte Szene, die sich da hinter dem Rücken Edmund Stoibers abspielt. Seit einer Viertelstunde müht sich der bayerische Ministerpräsident um die Aufmerksamkeit der 1000 Delegierten des Leipziger CDU-Parteitages, attackiert Rot-Grün und den Kanzler. Aber die CDU-Führung scheint das nicht sonderlich mitzureißen.
Hessens Ministerpräsident Roland Koch klemmt sich sein Handy ans Ohr, Ex-Parteichef Wolfgang Schäuble unterdrückt ein Gähnen, Generalsekretär Laurenz Meyer blättert auf dem Podium gelassen in seinen Unterlagen. Wie ein träger Fluss plätschert Stoibers einstündige Rede dahin, und als sie endet, können sich die Delegierten nur zu einem matten Applaus aufraffen. Nach wenig mehr als einer Minute ist das letzte Händeklatschen in der Leipziger Messe verhallt.
"Demonstrativer Höflichkeisapplaus"
So ein frostiger Empfang ist Stoiber auf einem CDU-Parteitag wohl noch nie bereitet worden. "Demonstrativer Höflichkeitsapplaus" ist noch die freundlichste Beschreibung, mit der die Delegierten ihre Reaktion auf die Rede Stoibers beschreiben. Mit dem Auftritt - so der vielfach geteilte Eindruck - ist eindeutig klar gestellt, dass Stoiber nicht mehr der heimliche Chef der C-Parteien ist. "Das war eine Demonstration unserer Selbstbewussteins", sagt befriedigt ein erfahrener CDU-Mann, nachdem Stoiber aus der Halle entschwunden ist.
Und: "Angela Merkel ist unsere Nummer eins." Es ist kein Zufall, dass sich während des zweitägigen Treffens in Leipzig die ersten Merkel-Freunde mit der Bemerkung hervor tun, die CDU-Chefin sei die Kanzlerkandidatin der Union für das Jahr 2006. Der Name des hessischen Ministerpräsidenten und möglichen Merkel-Rivalen um die Kanzlerkandidatur, Roland Koch, fiel dagegen nur selten auf dem Parteitag. Er spielte während der beiden Versammlungstage von den drei Führungsfiguren klar die geringste Rolle, zu sehr war das Interesse der Delegierten auf die Personen Merkel und Stoiber fixiert.
Merkel führt die CDU - das wird auf dem Parteitag deutlich - nicht mehr nur formal, sondern auch tatsächlich. "Merkel ist belohnt worden für die Führungsstärke, die sie in den letzten Wochen gezeigt hat", sagt ein Delegierter. Der CDU-Chefin war lange - auch in der eigenen Partei - vorgeworfen worden, sie nutze ihre Macht nicht, sie gebe der Partei keine klare Richtung vor. Damit ist es seit Merkels Rede zum Jahrestag der Deutschen Einheit im Oktober vorbei, als sie sich klar hinter die Vorschläge der Partei-Kommission zur Reform der Sozialversicherungssysteme gestellt hat.
Stolz zwischen den Reihen
Nach anfänglichem Streit ist die CDU der Chefin auf diesem Kurs gefolgt. Und als der Parteitag am Montagabend ohne größere Debatten die Reformpläne abnickt, da ist zwischen den Reihen der Delegierten auch Stolz zu spüren, welche großen Umbauschritte sich die Partei zutraut.

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Auch das hat es Stoiber schwer gemacht, bei den CDU-Delegierten zu trumpfen. Nicht nur, dass die CSU weite Teile der Pläne der CDU ablehnt und die Schwester mit teilweise harscher Kritik nervt. Sie setzt den CDU-Plänen - mit Ausnahme des Rententhemas - bislang auch keine Alternativen entgegen. "Stoiber ist doch ziemlich unkonkret geblieben", merkt ein Delegierter säuerlich an.
Parteitag feiert Merz
Da hilft es auch nichts, dass Stoiber versucht, die CDU mit Angriffen auf die Bundesregierung für sich zu gewinnen. Schröder lügt, dass sich die Balken biegen, Eichel sorgt für Schuldenrekorde - all das haben die CDUler von ihrem ehemaligen Kanzlerkandidaten so oder ähnlich schon hinlänglich oft gehört und reagieren entsprechend gelangweilt. Den Kampf mit grobem Gerät - das denken sich die Delegierten mit dem neu gewonnenen Selbstbewusstsein - können wir ganz gut auch selbst. Schon vor der Stoiber-Rede hat die CDU ihren Ober-Kanzlerschreck ausgemacht: Fraktionsvize Friedrich Merz, der zum Schluss seiner weitgehend sachlichen Rede noch einmal ordentlich austeilt und den Saal damit zum Brodeln bringt. Stoiber dagegen wird in nächster Zukunft wohl vor seiner eigenen Partei sprechen müssen, wenn er Begeisterungsstürme auslösen will.