Nein, es ist zuletzt wahrlich kein Vergnügen gewesen, im Bundestag den Haushalt für 2024 zu verhandeln. Schließlich war der Etat fast fertig, da kam den Abgeordneten das Verfassungsgericht in die Quere. Die Ampel-Regierung musste neu beraten, umschichten und sparen. Es dauerte und dauerte.
Umso größer dürfte nun die Freude bei den Haushaltspolitikern sein, dass am Freitag alles vorbei ist. Der Bundestag stimmt über den Etat 2024 ab. Unmittelbar davor haben die Haushälter noch einmal ihren großen Auftritt im Plenum. Sie werden ein bisschen über Inhalte sprechen. Sie werden sich fraktionsübergreifend für die gute Zusammenarbeit danken. Und sie werden ein Ritual pflegen, das in seiner Kuriosität einmalig ist – sogar für die besondere Spezies der Haushaltspolitiker.
Vor der Sitzung verabreden sie traditionsgemäß einen Begriff, den alle in ihren Reden unterbringen müssen. Codewort-Bingo im Bundestag. Begriffe der vergangenen Jahre waren unter anderem: Kapitänsbinde, Sylt, Reeperbahn-Festival, Glühwein, Glatze. Die wichtigen Haushälter sind immer eingeweiht. Der Rest des Parlaments rätselt. Meist fällt das nicht besonders schwer. Nach zwei bis drei Reden merkt man, welcher Begriff sich wiederholt.
Das ist auch an diesem Freitag wieder so. Auflösung später.
Eine Haushaltsdebatte aus dem Reich der seltenen Tiere
Mal ist es ein Codewort, das mit einer der beteiligten Personen verbunden wird. Auf Sylt etwa feierte Finanzminister Christian Lindner seine Hochzeit (der stern berichtete). Mal bedienen sich die Haushaltspolitiker bei einer aktuellen Debatte. Über die Kapitänsbinde von Manuel Neuer bei der WM in Katar etwa diskutierte nicht nur Fußballdeutschland.
Regelmäßig einigt sich der exklusive Kreis der Chef-Haushälter auf einen Begriff, der in den Beratungen hängen geblieben ist. Meist nehmen sie schlicht einen besonders skurrilen. Raten Sie doch mal! Hier Auszüge aus der Schlussrunde 2020:
"So wie der Herdenschutzesel die Schafe vor den Wölfen beschützen soll, so schützt die schwarze Null den Haushalt vor weiteren Schulden", sagte André Berghegger, CDU.

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"Nun gibt ja der Finanzminister Scholz hier den Herdenschutzesel. Doch die Wählerinnen und Wähler sind keine Schafe", sagte Gesine Lötzsch, Linke.
Ja, an den Herdenschutzesel erinnern sich viele Parlamentarier gern. Worum es ging? In den Etat des Umweltministeriums hatte es damals auch eine Machbarkeitsstudie geschafft, die prüfen sollte, ob ein Esel eine Schafherde vor dem Wolf beschützen könnte. Kosten: 100.000 Euro.
Man sollte in diesem Zusammenhang vielleicht erklären, dass Haushälter ohnehin ein sehr eigenes Völkchen sind. Bei ihnen liegt die Hoheit über den Etat der Bundesregierung. Sie entscheiden, wer wie viel Geld bekommt. Und wer gar keines. Entsprechend groß ist ihre Macht. Entsprechend groß ist ihr Ego, würden andere Abgeordnete wohl ergänzen. Die Haushaltspolitiker werden auch "die kleinen Könige des Parlaments" genannt.
Und wozu der Quatsch?
So ein Parlamentsleben als kleiner König hat durchaus angenehme Seiten. Jeder Haushälter kann sich am Rande der Sitzungen in einem mit Wein und Bier gefüllten Kühlschrank bedienen. (Die alte Zapfanlage wurde aus Nachhaltigkeitsgründen abgeschafft.) Es gibt auch eine Kaffeemaschine, die, sollte sie mal kaputt gehen, seit Helmut Kohl traditionell vom Kanzleramt durch eine neue ersetzt wird. (Die aktuelle stammt aus Angela Merkels Zeiten).
Das gute Miteinander unter den Haushaltspolitikern von Regierung und Opposition bröckelt nach harten Wochen zwar gerade ein wenig. Am Codewort-Ritual halten sie trotzdem fest. Ehrensache. Was die Frage aufwirft: Wozu der Quatsch?
"Die Leute glauben ja immer", sagt Otto Fricke, 58, FDP, "dass wir Haushälter uns besonders wichtig nehmen. Das stimmt nicht. Die Sache ist uns wichtig." Fricke sitzt seit 2002 im Haushaltsausschuss, mit einer unfreiwilligen Apo-Unterbrechung von vier Jahren. Er spricht mit einer Begeisterung über globale Mehr- oder Minderausgaben im Bundeshaushalt wie andere Menschen über das letzte Heimspiel ihres Lieblingsfußballvereins.
Die Haushälter im Bundestag, sagt Fricke, sprächen immer gern mit einem Augenzwinkern über ihre Arbeit. "Und der Ausdruck dieses sich selbst nicht so wichtig Nehmens ist die Tradition des Codeworts in der Schlussrunde."
Es begann mit Steinbrücks Frettchen
Fricke hat schon Etats verhandelt, da gab es dieses Ritual noch nicht. Entstanden ist es in seiner jetzigen Form der Überlieferung nach in einer Zeit, als der FDP-Politiker den Haushaltsausschuss leitete. 2007 war es, da beschwerte sich der damalige Finanzminister Peer Steinbrück, SPD, über die vielen Kritiker, die von ihm einen möglichst ausgeglichenen Haushalt forderten: "Die ganzen Frettchen hängen an meinen Beinkleidern und sagen: Du musst doch noch ehrgeiziger sein."
Die Haushälter diskutierten daraufhin, ob wohl sie mit den Frettchen gemeint sein könnten. Das Plenarprotokoll vom 5. Juli 2007 vermerkt dazu folgendes Fazit des Abgeordneten Steffen Kampeter, CDU:
"Gestern haben wir im Haushaltsauschuss eine biologische Diskussion über das Halten von Frettchen geführt. Dabei ist deutlich geworden, dass das Beißen von Frettchen an Hosenbeinen oder Körperteilen eines Menschen ein Angebot zum Spielen ist. Wir haben festgestellt, dass weder Regierung noch Opposition mit dem Finanzminister zu spielen gedenken. In diesem Sinne haben wir dann im Haushaltsausschuss insgesamt festgestellt, dass im Parlament offenkundig niemand mit diesem Frettchenvergleich gemeint sein kann."
Wie gesagt: Haushälter sind ein sehr eigenes Völkchen.
Schon früher allerdings erlaubten sich Redner im Bundestag ähnliche Späße, 1987 zum Beispiel. Bei einer Reise hatten Abgeordnete in der 1. Klasse der chinesischen Staatsbahn ausgemacht, jeder von ihnen müsse die Fahrt in seiner ersten Rede nach der Sommerpause unterbringen. Strafe bei Nichtbefolgung, notierte der "Spiegel": eine Flasche Schampus.
Mit der Frettchenfrage professionalisierte sich später das Codewort-Spielchen. Ein weiteres Tier kommt dieses Jahr allerdings nicht dazu. Stattdessen hat sich offensichtlich ein Begriff aus einem Antrag des Familienministeriums bei den Haushaltspolitikern und ihren Referenten besonders eingeprägt. Das Codewort 2024 lautet: Zirkuspädagoge.