Wochenlang war Olaf Scholz dafür gescholten worden, dass er in der Ukraine-Krise zu zögerlich agiere, seine Politik zu wenig erkläre. Mit diesen Vorwürfen dürfte es nach der Rede des Bundeskanzlers in der Haushaltsdebatte vorbei sein. Mit der Ankündigung, der Ukraine schon bald ein modernes Flugabwehrsystem zu liefern, gelang ihm tatsächlich so etwas wie ein Befreiungsschlag.
Ursächlich für Scholz' kämpferischen Auftritt war dabei die Rede von Oppositionsführer Friedrich Merz. Der hatte Scholz zu Beginn der Debatte mangelnde Unterstützung der Ukraine vorgehalten: "Sie reden in letzter Zeit etwas mehr als sonst, aber sie sagen unverändert nichts." Scholz wiederum warf Merz vor, immer nur Fragen zu stellen und sich nie klar zu positionieren. "Sie sind hier durch die Sache durchgetänzelt und haben nichts Konkretes gesagt", rief Scholz dem CDU-Chef zu.
Es war jedenfalls ein wirklicher Schlagabtausch, wie auch die Presse im Anschluss urteilt. Eine Auswahl:
Die Politik von Kanzler Olaf Scholz stand auf dem Prüfstand
"Badische Zeitung": "Offiziell ging es nur um den Etat des Kanzleramtes. In Wahrheit stand bei der Generaldebatte die Politik des Kanzlers auf dem Prüfstand. Macht Olaf Scholz alles richtig, wie er selber findet? Oder macht er vieles falsch, gerade im Umgang mit Russlands Krieg gegen die Ukraine? Gemessen daran, wie verbissen Scholz sein Tun und Nichttun rechtfertigte, drängte sich der Eindruck auf: Der Kanzler hielt Selbstverteidigung für dringend. Nicht nur im eigenen Land, auch bei Partnern und in der Ukraine herrscht Frust über Deutschlands Hinhalte-Solidarität in Sachen Waffenhilfe. Versprochen wird viel, geliefert wird wenig. Ob das bei Scholz’ neuen Versprechen anders sein wird, steht dahin. (...)"
"Leipziger Volkszeitung": "Die jüngste Ankündigung des Kanzlers kam überraschend, und ihre Umsetzung wird der Ukraine nach Einschätzung von Experten helfen: die Ankündigung, Mehrfachraketenwerfer sowie ein modernes Flugabwehrsystem in das von Russland attackierte Land zu schicken. Ob Olaf Scholz damit jenes Vertrauen in seine Ukraine-Politik zurückgewinnen kann, das zuletzt verloren ging, steht auf einem anderen Blatt. Zunächst muss man den Kanzler gegen den Vorwurf in Schutz nehmen, er lasse die Ukraine gewissermaßen allein im Regen stehen. Sieht man von den USA, Großbritannien und einigen osteuropäischen Staaten ab, bewegt sich Deutschland im Geleitzug der Zurückhaltung."
Angriffe, Flüchtende, Gas-Lieferungen: Grafiken zum Konflikt in der Ukraine

"Reutlinger General-Anzeiger": "Bei der Generaldebatte war wieder der Scholz der Zeitenwende-Rede zu sehen. Ein tatkräftiger Kanzler, der Führungsstärke zeigt und dabei dennoch mit kühlem Kopf das Risiko abwägt. Doch daneben existiert auch ein Olaf Scholz, der sich hinter Redewendungen und Worthülsen versteckt und mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt. Die Bürger wollen ihrem Kanzler vertrauen. Doch die zwei Gesichter des Olaf Scholz machen es ihnen schwer, zu wissen, mit wem sie es zu tun haben."
"OM-Mediengruppe": "495,8 Milliarden Euro ist das Volumen des Bundeshaushalts für 2022. Zur Verdeutlichung: Das ist die Summe, die rund 2,12 Millionen Beamte in der letzten Dienstaltersstufe der Besoldung A 13 zusammen im Jahr verdienen. Natürlich, 2022 ist wegen des von Russland angezettelten Krieges in der Ukraine unter Haushaltsgesichtspunkten ebenso ein besonderes Jahr wie es 2020 und 2021 wegen der Corona-Pandemie waren. Das sei der Ampel zugestanden. Aber: Ernsthafte Bemühungen, bei nicht unbedingt notwendigen Ausgaben den Rotstift anzusetzen sind nicht zu erkennen. Dabei ist es längst an der Zeit, als Bund fiskalisch klare Kante zu zeigen. Auch in Zeiten der großen Krisen. Auch wenn es gerade dann besonders schwer ist."
"Neue Osnabrücker Zeitung": "Militärexperten sind sich einig: Eine Waffenruhe kommt erst, wenn keine Kriegspartei vom Weiterkämpfen profitieren würde. Putin müsse also gestoppt werden, um zu verhandeln. Wenn das auch der Wille des Kanzlers ist, stellt sich die Frage, warum erst jetzt die von Kiew so lange herbeierflehte Unterstützung kommt. Putin nicht provozieren, keinen dritten Weltkrieg riskieren, der Bundeswehr keine Waffen wegnehmen, das waren die Gegenargumente. Nun erscheinen sie wie Ausflüchte. Es wirkt jedenfalls nicht, als hätte der Kanzler die ganze Zeit gebraucht, um im Stillen die Waffenlieferungen vorzubereiten. Vielmehr entsteht der Eindruck, er habe sich dem öffentlichen und internationalen Druck gebeugt."

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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"Berliner Zeitung": "Immer wenn Olaf Scholz unter Druck gerät, weil der Ukraine die versprochenen Waffen aus Deutschland nicht geliefert werden, benutzt der Kanzler einen Trick: Er kündigt die Lieferung anderer Waffen an. Als die Ukrainer sich Marder und Leoparden wünschten, bekamen sie überraschend Geparden zugesagt. Als sich herausstellte, dass es für die Flugabwehrpanzer keine Munition gibt, wurden Panzerhaubitzen angekündigt. Jetzt, wo beides immer noch nicht in der Ukraine angekommen ist, sollen Lenkflugkörper kommen. Scholz vermittelte im Bundestag den gleichen Eindruck wie bisher: Im Vordergrund wird militärische Solidarität beschworen, im Hintergrund bei Waffenlieferungen gebremst. Der Kanzler hat offenbar Sorge, er könne mit robusten Lieferungen kriegsskeptische SPD-Wähler verschrecken. Doch mit seinem Hin und Her verprellt er sie - und zugleich diejenigen, die sich mehr Unterstützung für die Ukraine wünschen."
"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Deutschland brauche sich nicht zu verstecken, rief der Bundeskanzler und kündigte die Lieferung eines modernen Luftabwehrsystems an. (…) Doch warum hat sich die Regierung erst drei Monate nach Beginn des auch von Scholz „verbrecherisch“ genannten Krieges dazu entschlossen, in dem schon mehrere Großstädte zerstört worden sind? (…) Es ist unverkennbar, dass Scholz Rücksicht auf die Seelenqualen nehmen muss, unter denen die jungen und die alten Linken in der SPD seit Ausrufung der „Zeitenwende“ leiden. Dazu kommt, dass Berlin wie der ganze Westen mit widerstreitenden Interessen ringt: Man will den Überfallenen helfen, einen Aggressor zurückzuschlagen, der nicht nur ein Land angegriffen hat, sondern auch die Prinzipien des friedlichen Zusammenlebens in Europa. Aber man will dabei selbst nicht zur Kriegspartei werden."
Was Demokratie so wertvoll macht
"Ludwigsburger Kreiszeitung": "Was Demokratie bedeutet, was sie so wertvoll macht, war gestern Vormittag im Bundestag zu beobachten. Dem Zuschauer bot sich ein leidenschaftlicher und harter Schlagabtausch zwischen Oppositionsführer Friedrich Merz und Bundeskanzler Olaf Scholz über die Ukraine-Politik. Merz unterstellte dem Kanzler nichts weniger, als die Öffentlichkeit in die Irre zu führen: Scholz behaupte, Deutschland tue alles, um die Ukraine im Krieg gegen Russland zu unterstützen, aber in Wahrheit liefere es bisher kaum Waffen. Und warum sage der Kanzler nicht endlich, dass die Ukraine gewinnen müsse? Der Kanzler wehrte sich mit ungewohnter Emotionalität und Deutlichkeit. Deutschland liefere sehr wohl viele Waffen, auch schwere wie den Gepard-Panzer, den die Ukraine anders als behauptet sehr wohl bestellt habe, Panzerhaubitzen und bald auch hochmoderne Luftabwehrsysteme und Ortungsradare."
"Corriere della Sera": "Gestern Vormittag hat Olaf Scholz in der Debatte zum Haushaltsgesetz im Bundestag seine Stimme erhoben und die Krallen ausgefahren. Der Chef der christdemokratischen Opposition, Friedrich Merz, hatte ihn gesteinigt und ihm vorgeworfen, bei den Waffenlieferungen an die Ukraine zu zögern und die Glaubwürdigkeit Deutschlands zu untergraben. Gar nicht eingeschüchtert antwortete der Kanzler mit einer Salve von Daten und Fakten zu Lieferungen nach Kiew, einschließlich eines hochmodernen Flugabwehrsystems (...)."