Das war mutig! ARD und ZDF vertrauen ihren eigenen Hochrechnungen so sehr, dass die FDP kurzerhand herausfliegt aus der obligatorischen Elefantenrunde nach der Wahl und für die AfD nicht einmal ein provisorischer Katzentisch bereitsteht. Und die Sender hatten Recht. Das Instrumentarium der Wahlforschung ist zumindest beim Auswerten der Ergebnisse inzwischen so sehr verfeinert, dass bereits um 20.15 Uhr im Großen und Ganzen alles klar ist. Merkel hat gewonnen, die FDP ist raus, die Steinbrück-SPD hat minimal zugelegt, die Grünen haben deftig schlechter abgeschnitten als sie erwarteten, und die Linke ist bedeutend stabiler als viele Medien suggerierten.
Zwar ist zum Zeitpunkt der "Berliner Runde" noch nicht ganz klar, ob Merkel eine absolute Mehrheit der Sitze bekommt oder es doch eine rot-rot-grüne Mehrheit gibt, aber es scheint zur Bundestagswahl 2013 eine geheimnisvolle Entsprechung zwischen Politik und Zahlenakrobatik zu geben: Im Kleinklein sind beide ganz groß.
Eine Frau mit "pfiffiger Brille"
Aber die Optik! Und das ist ja das, was das Fernsehen naturgemäß kann. Da sitzen links die Sieger: zwei Damen in bunten Kostümjacken, die den deutschen Konservatismus repräsentieren. Was für eine Veränderung gegenüber der Ära Strauß/Kohl. Frau Hasselfeldt mit "pfiffiger Brille" ist vermutlich nur Politik-Insidern als Chefin der CSU-Landesgruppe präsent und Frau Merkel agiert zunächst eigenartig.
Die große Siegerin freut sich gar nicht richtig. Alle Hinweise auf eine mögliche absolute Mehrheit weist sie rigoros zurück. Rechts aber sitzen die Verlierer. Obwohl die versammelte Linke rechnerische sogar eine Mehrheit bildet. Es sind samt und sonders ältere Herren. Was für eine eigentümliche Konstellation. Das Fernsehen ist nicht das beste Prüfmedium für Logik und sachbezogene Argumente, aber es kann sofort Sympathien verteilen.
Während der "Elefantenrunde" wird dem Zuschauer noch einmal plastisch vorgeführt, was den Wahlausgang mit geprägt haben mag. Peer Steinbrück und Jürgen Trittin wirken einfach nicht sympathisch. Insbesondere scheint Selbstkritik ihre Sache nicht zu sein. Und der ungelenke Herr Riexinger von der Linken? Wie sehr hätte man sich jetzt Gregor Gysi herbeigewünscht, der mit diabolischem Funkeln in den Augen den SPD-Vorsitzenden Gabriel (nicht Steinbrück!) aufgefordert hätte, seiner Basis doch einmal zu erklären, warum sozialdemokratische Politik besser mit der erstarkten Frau Merkel umzusetzen sein soll als in einem Linksbündnis.
"Mutti" trauert der FDP nicht groß hinterher
Die fragenden Chefredakteure Peter Frey (ZDF) und Thomas Baumann (ARD) fragten, was zu fragen war und allmählich gewann auch die Kanzlerin wieder an Form. Große Tränen weinte "Mutti" der FDP nicht hinterher, wies aber reihum alle anwesenden "Jungs" jeweils auf die eigene Verantwortung hin. Auf jeden Fall wurde deutlich: Eine absolute Mehrheit wäre ihr unheimlich gewesen. Angela Merkel wird Kanzlerin bleiben, sie will eine stabile Regierung, aber weiß schon, wie schwer die Regierungsbildung noch werden wird.
Zahlen, Experten und Schalten
Wie immer war der Wahlabend die große Stunde von ARD und ZDF. Schwächen gab es besonders in der ersten Stunde zwischen 17 und 18 Uhr. Mit zähen Witzchen über Hausmeister (ARD) und unsinnigen, scheinbar von Volontären gefertigten Umfragen (ZDF) wird die Zeit vertrieben, bis dann endlich die Routine greift.
Diese gilt inzwischen besonders für das Zahlentableau. Da gab es keine großen Pannen, keine entscheidenden Abweichungen. Das ZDF wies die "Piraten" schon gar nicht mehr gesondert aus, was zu verkraften war. Souverän - ja, fast ein wenig zu routiniert - präsentierten Jörg Schönenborn (ARD) und Theo Koll (ZDF) Prognosen und Hochrechnungen, wischten und touchten über die Screens, behielten aber stets den Überblick.

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Kurios war, wen die ARD als "Experten" aufbot - den Chefredakteur einer Regionalzeitung und eine Kolumnistin mit Migrationshintergrund. Dagegen erklärte Politikprofessor Karl-Rudolf Korte im ZDF zwar alles immer etwas einfach, aber sehr klar. Wie so oft waren die Schalten zu den Feiern der Parteien viel zu häufig zu inhaltsleer. Aber generell gab es schon rechtzeitig die richtigen Informationen und redaktionellen Entscheidungen. So unterbrach die ARD den ersten Auftritt von Sigmar Gabriel zugunsten der Kanzlerin, die sich vor den eigenen Anhängern so aufgeräumt zeigte (sogar dem Ehemann dankte sie!), wie man sie selten erlebt hat. Gabriel wurde dann nachgereicht, was auch ausreichte.
Christian Lindner war flott zur Stelle
Hochgradig interessant war, wie schnell Christian Lindner auf beiden Sendern als erster zur Stelle war, um das FDP-Desaster einigermaßen tiefgründig zu analysieren. Da brachte sich einer in Stellung! Mindestens ebenso deutlich kritisierte der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Linie seiner grünen Partei, die in der Steuerfrage "Maß und Mitte" verloren habe. Man ahnte, dass bei den Grünen die "Nacht der langen Messer" noch kommen wird. Beides war schon mehr als der an Wahlabenden übliche Dank an Wähler und Helfer oder der allgegenwärtige Verweis auf die Parteigremien, die am nächsten Tag alles beraten werden.
Bis auf die schwachen "Experten" lief es bei der ARD wie am Schnürchen, während Bettina Schausten (wer sucht nur die Kostümfarben aus?) im ZDF stets leicht gehetzt wirkte. In einigen Interviews führte das unvermutet zu inhaltlich nicht gerechtfertigter Ruppigkeit. Dass alle Moderatoren ständig sagen, es werde "noch ein langer Abend", der "noch sehr spannend" werde, obwohl im Großen und Ganzen schnell alles klar war, sei ihnen verziehen. Oft mussten sie einfach schnell von hier nach da überleiten.
Trotz aller vorhandenen Expertise gibt es aber auch politische Vorurteile. Vielleicht zeigt sich da sogar, dass ARD und ZDF doch immer etwas "staatstragend" sind. Dass die "Linke" im alten Bundestag stärker war als die Grünen, ist nicht allen Moderatoren präsent. Es wirkt manchmal als sitze tief in den Köpfen heimlich noch immer die Vorstellung, diese "Linke" sei letztlich doch nur eine vorübergehende Erscheinung, eine Art letzter Ausläufer der DDR. So wird auch immer wieder auf die rechnerische rot-rot-grüne Mehrheit, die sich aber politisch nicht realisieren lasse, hingewiesen als sei dies eine Besonderheit des jetzigen Wahlausgangs. Tatsächlich gibt es diese rechnerische Mehrheit stabil seit 1994.
Rösler verschwindet von der Bildfläche
Demgegenüber wurde der historische Einschnitt, dass es erstmals seit Gründung der Bundesrepublik einen Bundestag ohne FDP gibt, also ausgerechnet jener Partei, die insgesamt länger an Regierungen beteiligt war als jede andere, zwar erwähnt, aber fast schon zu wenig selbständig abgehandelt. So gab es live zwar die ersten Worte von Spitzenkandidat Rainer Brüderle, aber schon der schüchtern neben ihm stehende Parteivorsitzende Philipp Rösler kam nicht mehr zu Wort. Wieder ist es so, dass das Fernsehen mit seiner Bildauswahl die größten Aussagen trifft: Schon am Wahlabend verschwand Philipp Rösler von der Bildfläche!
Mit der Niederlage der Liberalen ist etwas Fundamentales passiert. Vielleicht hätte man - um das auch optisch zu verdeutlichen - in die "Berliner Runde" einfach einen leeren Stuhl stellen sollen.