Deutsche Geheimdienste Neue Enthüllungen im Fall Khafagy

Im Entführungsfall Khafagy häufen sich die Widersprüche. Womöglich wussten die deutschen Geheimdienste und das Kanzleramt mehr, als sie heute zugeben. Frank-Walter Steinmeier muss am Donnerstag im Untersuchungsausschuss Rede und Antwort stehen.

Die deutschen Sicherheitsbehörden waren eventuell doch tiefer in den Fall Khafagy verstrickt, als bisher bekannt. Diesen Verdacht legen vertrauliche Dokumente nahe, die stern.de vorliegen. Der bis heute in München lebende Ägypter Abdel Halim Khafagy war am 25. September 2001 von US-Soldaten im bosnischen Sarajewo festgenommen, schwer misshandelt und dann nach Ägypten abgeschoben worden - angeblich wegen Terrorismusverdachts. Nach einem internen Vermerk des Bundeskriminalamtes (BKA) vom 26.September 2001 waren schon zu diesem Zeitpunkt gleich zwei deutsche Nachrichtendienste "mit der Prüfung und Vernehmung" des Ägypters befasst - und zwar sowohl der Militärische Abschirmdienst (MAD) wie der Bundesnachrichtendienst (BND). Diese mögliche frühe Verwicklung war bisher unbekannt.

Das Verteidigungsministerium wollte sich auf Anfrage von stern.de nicht zu der Frage einer MAD-Beteiligung äußern - angeblich aus "Achtung und Respekt" vor dem Bundestag, dessen BND-Untersuchungsausschuss den Fall Khafagy derzeit diskutiert. Mit dem gleichen Argument lehnte auch der BND eine Stellungnahme ab.

Ganz überraschend wäre eine Beteiligung der deutschen Geheimdienste aber nicht. Hinweise auf eine Rolle des MAD im Fall Khafagy hatte es schon früher gegeben. Im Dezember 2005 hatte ein BND-Mitarbeiter in einem geheimen Vermerk festgehalten, dass womöglich das Allied Military Intelligence Battalion(AMIB) an Verhören von Khafagy und dessen ebenfalls festgesetzten Schwagers beteiligt gewesen sei. Beim AMIB, so der BND-Vermerk, waren "mehrere MAD-Offiziere" im Einsatz. Das AMIB war eine multinationale Geheimdiensteinheit der an der Nato-Schutztruppe SFOR beteiligten Staaten. Die Bundeswehr war damals mit der Nato-Schutztruppe SFOR in Bosnien stationiert.

Schock über Khafagys Zustand

Offiziell von der Bundesregierung bestätigt ist hingegen nur die Bosnien-Reise zweier Beamter des BKA und eines BND-Dolmetschers am 2. Oktober 2001. An diesem Tag besuchten die deutschen Beamten im nordbosnischen Tuzla das US-Gefängnis, in dem der Münchner Ägypter und sein Schwager inhaftiert waren. Schockiert reisten die drei Deutschen am selben Tag wieder ab, nachdem sie erfahren hatten, dass die Amerikaner Khafagy schwere Kopfverletzungen beigebracht und die beiden Männer in menschenunwürdiger Weise inhaftiert hatten.

Am Donnerstag soll der heutige Außenminister und damalige Chef des Kanzleramtes, Frank-Walter Steinmeier (SPD), vor dem Untersuchungsausschuss zu der Frage aussagen, wann er von den Übergriffen der Amerikaner erfahren hat. Sicher ist, dass BKA-Vizepräsident Bernhard Falk am 9. Oktober 2001 die sicherheitspolitische Besprechung, genannt Sicherheitslage, im Bundeskanzleramt über die "mit deutschen Rechtsnormen kollidierenden Vernehmungspraktiken" unterrichten sollte. So sah es ein für ihn erstellter Sprechzettel vor - der aber angeblich nicht verlesen wurde. Steinmeier behauptet bis heute, von ähnlichen US-Entführungen ("renditions") erst über drei Jahre später gehört zu haben, nämlich Ende 2004 oder Anfang 2005.

Brisante Fragen auf dem Sprechzettel

Im Untersuchungsausschuss des Bundestages wird sich Steinmeier auch mit neu aufgetauchten Widersprüchen auseinandersetzen müssen. Nach einem damals für ihn gefertigten Sprechzettel für die Sicherheitslage am 9. Oktober 2001 sollte er sich dort sehr wohl nach dem "Stand im Fall der in Bosnien festgenommenen beiden Personen" erkundigen, von denen eine Person eine "Wohnung in München" habe. Gemeint war Khafagy, mit dessen Festnahme sich die Sicherheitslage unter Steinmeiers Ägide schon in drei früheren Sitzungen beschäftigt hatte.

Der damalige Chef der Geheimdienstabteilung im Kanzleramt, Ernst Uhrlau, hatte trotzdem kürzlich im BND-Ausschuss erklärt, dass die Misshandlungen im Fall Khafagy am 9.Oktober 2001 kein Thema in der Sicherheitslage gewesen seien.

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Steinmeier sollte sich bei der Sitzung laut Sprechzettel auch erkundigen, ob der Münchner Ägypter nun in der Tat in sein für Folterpraktiken berüchtigtes Heimatland Ägypten abgeschoben werde. Gegen diese Auslieferung hatten sich die BKA-Beamten gewandt, die sieben Tage vorher in Tuzla zu Besuch waren. Freilich hatten sich Amerikaner und Bosnier darüber hinweg gesetzt und Khafagy bereits am 6. Oktober per Flugzeug nach Kairo verfrachten lassen.

Uhrlau in der Klemme

Erstaunliche Widersprüche tauchten schon bei den bisherigen Zeugenaussagen im Untersuchungsausschuss auf. Der heutige BND-Präsident Uhrlau beharrte vergangene Woche darauf, dass das gesamte Kanzleramt damals nichts von den Übergriffen der Amerikaner erfahren habe. Sein damaliger Stellvertreter Konrad Wenckebach erinnerte sich dagegen ganz anders. Der Kollege Hans-Josef Vorbeck habe ihm schon damals gesagt, "das BKA hätte den Eindruck gehabt, der Mann sei möglicherweise gefoltert worden, er hätte jedenfalls Spuren von Verletzungen aufgewiesen", berichtete Wenckebach dem Ausschuss.

Vorbeck - der anders als Wenckebach heute noch im Kanzleramt tätig ist - konnte sich vor den Abgeordneten an dieses Gespräch "nicht erinnern". Sowohl Vorbeck wie Uhrlau versuchten, Wenckebachs Aussagen zu diskreditieren. Uhrlau spekulierte vor den Abgeordneten, möglicherweise habe sein damaliger Vize die eigene Erinnerung und später erhaltene Informationen ein bisschen "verschwimmen lassen". Er sprach von einer merkwürdigen "Situation, dass einer sich erinnert und die anderen alle nicht".

Fest steht: Der eine, der sich erinnert, ist heute im Ruhestand. Die mit dem schlechten Gedächtnis sind alle noch im Dienst.