Ach, FDP! Jedes Jahr versammelst Du Dich in einem Stuttgarter Theater zu Deinem "Dreikönigstreffen", aber immer weniger Leute interessieren sich dafür. Du wirst wieder große Reden schwingen, über die Idee der Freiheit und so. Dass das Land eine liberale Partei doch eigentlich braucht, also Dich braucht. Aber dieses Land scheint Dich nicht zu brauchen. Schon lange nicht mehr.
Was ist bloß los mit jener Partei, die doch jahrzehntelang die Geschicke der Republik bestimmt hat, einer Partei, die einen Hans-Dietrich Genscher, einen Werner Maihofer, einen Walter Scheel und, ja auch: einen Guido Westerwelle hervorbrachte? 2013 flog sie aus dem Bundestag, spätestens seitdem wirkt diese FDP wie die Parodie ihrer selbst. An der Spitze: Christian Lindner, das ewige kluge Bürschchen mit der Ausstrahlung eines Nachwuchs-Stipendiaten der Friedrich-Naumann-Stiftung. Die Reden, die Lindner hält, erinnern in ihrer geschraubten Pseudo-Intellektualität immer an die Veräppelung durch den unvergesslichen Loriot, der einen FDP-Vertreter einst in unendlicher Wiederholungsschleife Sinnloses sagen ließ: "Im liberalen Sinne heißt liberal nicht nur liberal."
Die Wahrheit ist: Keiner vermisst diese Partei, nicht mal die Kanzlerin, die sie einst als Mehrheitsbeschafferin brauchte, inzwischen aber ohne sie plant. Für 2017 bastelt Angela Merkel längst eifrig am Projekt "absolute Mehrheit".
Keine "Lücken" im Parteienspektrum
Kluge Strategen entdecken immer mal wieder "Lücken" im Parteienspektrum, in denen sich die FDP doch eigentlich breit machen könnte, um wieder aufzublühen. Die eine Lücke: Anwalt der fleißigen Bürger gegen die große Umverteilungskoalition von CDU, CSU und SPD. Das Problem dabei: Die Deutschen sind in ihrer Mehrheit ein sozialdemokratisch gesinntes Volk - soziale Sicherheit bedeutet ihnen mehr als Steuer- und Abgabenentlastung, auch wenn diese "Sicherheit" in Gestalt groben Unfugs wie bei der "Rente mit 63" daherkommt.
Die andere vermeintliche Lücke für die FDP: Verteidigerin der "Bürgerrechte" gegen einen allgegenwärtigen Überwachungsstaat. Das Problem dabei: Die Mehrheit hat in Wahrheit gar keine Angst vor einem zu starken Staat, sondern vor einem zu schwachen. Sie empfindet es als ihr primäres "Bürgerrecht", nachts in der U-Bahn zu fahren, ohne zusammengeschlagen zu werden, oder in einem Park joggen zu können, ohne vergewaltigt zu werden. Sie möchte auch nicht von irgendwelchen Islamisten in die Luft gesprengt werden. Funktionierende Polizei, Justiz und Geheimdienste gelten diesen Menschen eben gerade nicht als Bedrohung von Freiheit - sondern als deren Bedingung. Also auch kein Platz für die FDP.
Die FDP hatte ihre Zeit
Sehr beliebt ist auch die These, die FDP müsse ihr Heil in einer Rückbesinnung auf sozialliberale Zeiten suchen. Vor allem ältere Semester bekommen feuchte Augen, wenn die Worte "Karl-Hermann Flach" und "Freiburger Thesen" nur ausgesprochen werden. Die Versöhnung des linksliberalen Bürgertums mit den Facharbeiterkolonnen der Sozialdemokratie, gleichsam das Bündnis zwischen hohen Bücherregalen und den Werkbänken in den Fabrikhallen als historisches Projekt - das wärmt immer noch so manches, nostalgisch gestimmtes Herz.
In Wahrheit aber war die sozialliberale Episode nur eine höchst kurze in der FDP-Geschichte und sie ist der Partei nur bedingt gut bekommen: 1969, als die erste SPD/FDP Koalition unter Willy Brandt auf den Weg gebracht wurde, kam die FDP nur knapp über die Fünf-Prozent-Hürde. Schon 1976, als Helmut Kohl mit der Union nur um Haaresbreite die absolute Mehrheit verfehlte, standen die Liberalen mit einem Bein wieder in der Opposition.
Und heute? Wenn es überhaupt noch so etwas wie ein linksliberales Milieu gibt, so ist es längst aufgesogen von der auf modern getrimmten Merkel-CDU und von den Grünen. In Wahrheit war der Linksliberalismus in Deutschland sowieso immer ein absolutes Minderheitenprogramm, beheimatet in gesellschaftlichen Nischen - in evangelischen Pfarrhäusern, Professorenzimmern und bei Leuten, die "rowohlt aktuell"-Bände im Bücherschrank sammelten.
"Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde", heißt es in der Bibel.
Die FDP hatte ihre Zeit. Sie hatte ihre Stunde. Eine neue wird wohl nicht mehr kommen.
Tilman Gerwien (50) beobachtete für den stern einst FDP-Politiker wie Guido Westerwelle oder Wolfgang Kubicki. Inzwischen hätte er Schwierigkeiten, in der Redaktion eine Geschichte über die FDP durchzusetzen. Für die Liberalen interessiert sich dort kaum noch jemand.