Edmund Stoiber Außer Rand und Band

In Bayern König, in Berlin nur Angela Merkels Vasall: Was sollte er machen? Wie langes Zaudern und Ränkespiel den CSU-Chef seinen Ruf als kühlen Strategen und viele Sympathien kosteten.

In der CSU-Basis haben sie ihren Stoiber richtig dicke. Als der Münchner Kreisvorsitzende Aribert Wolf dieser Tage den Vorstand zur Diskussion der politischen Lage bat, war Edmund Stoiber Zielperson der ersten Wortmeldung: "Jetzt fangt's endlich amoi den Deppen ei, sonst gibt's koan Neuanfang net!"

Was früher leicht zum Parteiausschluss wegen Majestätsbeleidigung gereicht hätte, wurde von den Basis-Vertretern begeistert beklatscht.

Die Partei muckt auf wie noch nie in den zwölf Amtsjahren des Ministerpräsidenten Stoiber. Wenn sich die CSU am 14. November zum Parteitag versammelt, will sie ihm den Antrag präsentieren, dass außer der Landtagsfraktion auch die Partei bei der Entscheidung über seinen Nachfolger mitbestimmen darf, ob nun jetzt oder künftig. Stoiber kann die Aufmüpfigkeit seiner Partei, die ihm länger als ein Jahrzehnt bei Fuß gegangen ist, nicht fassen.

Bis Montag hatte er sich eingebildet, er werde in Berlin eine große Nummer. Auf Augenhöhe mit Merkel, worauf er Tag und Nacht allergrößten Wert legt. Wenn sie redet, muss er auch reden. Wo sie auftritt, steht er neben ihr. Noch vor vier Wochen hat er allen Ernstes Parteifreunden prophezeit, die SPD werde Merkel nicht wählen, die CDU sie abservieren, und er könne mit Gerhard Schröders Hilfe doch noch Kanzler werden. Ein schwerer Fall von Realitätsverlust.

Vielleicht hat er auch gedacht,

sein guter Draht zu SPD-Chef Franz Müntefering garantiere ihm die Sonderrolle als heimlicher Kanzler. Vielleicht hatte er auch gehofft, als Sozi ehrenhalber mit den Roten die in seinen Augen reformwütige Merkel ausbremsen zu können. Alles Träumerei. Die Berliner Realität, mit der er sich so schwer tut, holte ihn alsbald ein. Da machte ihm sein Freund Franz erst klar, wer für ihn Herr ist im Haus der Union. "Mein Hauptansprechpartner ist Angela Merkel", ließ Müntefering wissen. Dann warf Münte den SPD-Vorsitz weg wie eine ausgebeulte Hose - und reduzierte damit seinen politischen Stellenwert im Kabinett erheblich.

Wie so oft in seiner Karriere zögert jetzt Stoiber wieder einmal. Soll ich jetzt noch wollen? Was ist Berlin nun noch wert? Oft genug hat er ja getönt, ein schöneres Amt als das des bayerischen Ministerpräsidenten könne er sich nicht vorstellen. "Minderheitsgesellschafter" nennt SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler den Bayern bereits.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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In der Tat hat Stoibers Autorität dramatisch abgenommen, seit er angekündigt hat, als Wirtschaftsminister nach Berlin zu gehen. Auf der Beliebtheitsskala des ZDF-Politbarometers ist er nach unten durchgereicht worden: Hinter ihm kommt nur noch Gregor Gysi. Als Peer Steinbrück sich vergangene Woche den Vorständlern der Deutschen Bank als künftiger Finanzminister präsentierte, waren die Herren tief beeindruckt - und lästerten später über "Puzzle-Edmund", der sich im Organigramm seines Ministeriums verheddere: "Stoiber spielt, Steinbrück handelt." Der CSU-Politiker Alois Glück jammert: "So einen Ansehensverlust habe ich noch nie erlebt." In drei Monaten habe Stoiber mehr Fehler gemacht als in fünf Jahren zuvor, murren sie in der CSU.

Bleibt er in Berlin, " wird er verdammt allein sein", warnt ein Mitglied der CSU-Landesgruppe, die von 58 Mitgliedern auf 46 geschrumpft ist. Dort herrscht Verbitterung, weil Stoiber trickreich den beliebten Landesgruppenchef Michael Glos als Verteidigungsminister verhindert hat. Stattdessen drückte er seinen Partei-Stellvertreter Horst Seehofer als Landwirtschaftsminister durch. Ausgerechnet den, der nach der Wahl jubilierte, dass der "Radikalkurs Merkels abgewählt worden ist". Jetzt habe man den "Bauernminister", stöhnt die Landesgruppe, "und damit stehen wir als Provinzpartei da". Einer, der schon lange dabei ist, sagt: "Die Stimmung in der Landesgruppe ist so schlecht wie seit 30 Jahren nicht." Das kann übel enden für Stoiber: Die CSU-Abgeordneten sind schließlich seine Berliner Hausmacht.

Merkel beobachtet

Stoibers "irrlichternden Kurs" mit Gelassenheit. Nie würde sie es selbst aussprechen, aber eines ist ihren Mitstreitern längst klar: "Stoiber unterschätzt seinen Bedeutungsverlust." Mit Genuss nimmt sie zur Kenntnis, wie sich der CSU-Chef in der Bundestagsfraktion prompt zwischen alle Stühle gesetzt hat. Da berichtet Merkel, wie immer am Mikrofon stehend, in der Fraktion über den Gang der Dinge. Als sie geendet hat, steht der CDU-Abgeordnete Norbert Schindler auf und will wissen: "Herr Stoiber, da hätt' ich schon noch was! Wieso muss ich, kurz nachdem wir hier gesprochen haben ... aus der Presse erfahren, dass Sie die Richtlinienkompetenz der Frau Merkel anzweifeln? Wieso haben Sie denn hier nichts gesagt? Was soll das?"

Und der Herr Stoiber steht nicht auf, nein, er bleibt einfach sitzen und schwurbelt los und schwurbelt sich immer weiter weg von einer Antwort. Im Saal rufen sie: "Aufstehen!", dann murren sie "Antworten!" und rufen "Buuuh!". Bis Merkel sich erhebt, zum Mikrofon geht und sagt: "Die Richtlinienkompetenz gilt für alle Kanzler - auch wenn er eine Frau ist!" Alle klatschen, alle johlen.

Merkel hat diese Chance eiskalt genutzt. Sie hat gewonnen. Er hat verloren. So schnell wie Stoiber ist schon lange keiner mehr die Bedeutungsleiter heruntergepurzelt. Ein Fraktionsmitglied zum stern: "Stoiber ist der größte Stabilisierungsfaktor für Frau Merkel. Durch ihn solidarisieren sich alle mit dieser Frau."

Als er vergangene Woche auf einer der vielen Pressekonferenzen gefragt wurde, wie es denn nun mit dem Zuschnitt seines Ressorts aussehe, da verurteilte ihn Angela Merkel vor aller Ohren zum Schweiger. Sie würden sicher Verständnis dafür haben, dass sie die Frage beantworte, beschied sie lächelnd die Journalisten. Ein Leberhaken, der den gefühlten Nebenkanzler in Null Komma nix zum Nebendarsteller schrumpfen ließ.

Als er auf der jüngsten

Ministerpräsidentenkonferenz in Aachen beim Thema Föderalismusreform zappelnd und erregt das große Wort führte und ein Abnicken der Kollegen einforderte, ließen die ihn kühl auflaufen. Sie denken, was Stoibers baden-württembergischer Wanderfreund Günther Oettinger vernehmlich sagt: "Stoiber ist ab November nur noch Minister - im Bund die Nummer fünf und nicht mehr in Bayern die Nummer eins." Oettingers Fraktionschef Stefan Mappus: "Herr Stoiber muss endlich begreifen, dass er nicht mehr der König von Bayern ist."

Kein Zufall, dass Stoiber wegen der Kompetenzen seines Ressorts so lange herumzerren musste. Merkel ließ es genüsslich laufen. Ließ ihn, der doch 2002 drei Prozent mehr geholt hatte, mit der rang-niedrigeren Annette Schavan feilschen - als ob nicht alles längst auf Chefebene entschieden worden sei. Sei es nicht sein Verdienst, dass Rot-Grün nach seinem Beinahe-Sieg nur noch drei Jahre standhielt, klagt er gern. Und wenn er dann droht, er müsse ja nicht nach Berlin, könne jederzeit auch in Bayern bleiben, dann lächeln zwar selbst gestandene CSU-Größen in Berlin: "Ach, Unsinn, der ,point of no return" ist längst überschritten." Aber in letzter Konsequenz mag keiner ausschließen, dass Stoiber doch noch kneift.

Denn die CDU-Chefin versteht sich inzwischen glänzend darauf, ihren Schattenmann auf Distanz zu halten, wenn es ihr geboten scheint. Zum Beispiel, wenn sie Edmund den Party-Schreck stoppt.

Kleine Pause während der Koalitionsgespräche im Willy-Brandt-Haus. Bunt gemischt stehen die Partner in spe um Bistrotische, essen, rauchen, reden. Es menschelt erstmals ein bisschen zwischen den Wahlkampfgegnern von gestern. Merkel ist herumgetingelt, hat mit Sigmar Gabriel gesprochen, ist dann weitergegangen zu Wolfgang Tiefensee, hat kurz Halt gemacht bei Müntefering und plauscht nun mit anderen aus der Sozi-Gruppe. Da kommt seitwärts der große, hagere Mann mit den grauen Haaren angetigert. Er hat seine Schwierig-schwierig-Miene aufgesetzt. Da dreht die künftige Kanzlerin den Kopf in Richtung Stoiber, hebt abwehrend die Hand und wedelt damit ein wenig. Das Signal ist klar: geschlossene Gesellschaft! Bayern müssen draußen bleiben! Stoiber stoppt und dreht ab. Merkel plaudert weiter mit den Genossen.

Es sah aus, als hätte sie gerade eine lästige Fliege verscheucht. Merkel weiß genau: Je öfter sich Stoiber äußert, desto unbeliebter wird er - so lässt sie ihn einfach laufen. Als bei den Koalitionsgesprächen einige aus der CDU die gegenwärtige Finanzkrise Rot-Grün anlasteten, legte sich Stoiber quer. Seit der Vereinigung, dozierte er mit Zeigefinger, habe es acht Jahre Schwarz-Gelb gegeben, "da war vieles gut, aber manches ist liegen geblieben", und sieben Jahre Rot-Grün, "da war nicht alles schlecht, aber vieles ist liegen geblieben". Gerhard Schröder saß grienend dabei und hätte sich fast an seiner Zigarre verschluckt. Roland Koch verdrehte genervt die Augen ob des Eigentors.

Welche Bedeutung ihm

zugemessen wird, kann Stoiber daran erkennen, mit wem er es in seiner Arbeitsgruppe zu tun hat. Er muss dem Stiegler Luggi gegenübersitzen, während andere Unionspolitiker mit scheidenden oder kommenden Ministern über die Inhalte verhandeln. Stiegler ist zwar Chef der Bayern-SPD und hat ein so loses Maul, dass er einen Waffenschein dafür haben müsste, gilt aber nach Berliner Maßstäben eher als Halbschwergewicht. Aus Stoibers Sicht ist sein Pendant fast eine Demütigung. Er, der Superminister, muss diesem Terrier zuhören. Eine Herabsetzung, die ihn mit verkniffenen Lippen durch Berlin laufen lässt.

Stoiber-Kenner wissen um die Seelenlage ihres Vorsitzenden. Hochgradig verunsichert sei er. Begreife erst jetzt, worauf er sich in Berlin eingelassen hat. Der Kontrollfreak merke, wie die Dinge an ihm vorbeilaufen. Dass er vielleicht doch das falsche Ministerium genommen hat, eines, in dem man zwar ordnungspolitisch schön reden, aber wenig machen darf. Sie haben ihm geraten, nimm das Innenministerium. Nein, hat er gesagt, das war ich schon mal. Die Prognose für den künftigen Fachminister Stoiber ist klar: "Der wird noch sehr hart landen in Berlin." Von "kleinen Brötchen, die der bald backen wird", spricht ein anderer, der den künftigen Kanzleramtsminister Thomas de Maizière gut kennt. "Der wird ihm an Aktenkunde noch voraus sein."

Nur wenn er an seine mögliche neue Heimstatt denkt, lockert sich Stoibers Strenge - rein räumlich hätte er ein super Ministerium. Wie maßgeschneidert für einen wie ihn, dem die Stimme vibriert, wenn er sagt, nun werde er sitzen, wo vor 40 Jahren Ludwig Erhard amtiert habe.

Das Wirtschaftsressort gilt unter Politikern als "das schönste Ministerium". Das stattliche Gebäude der früheren Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militär-ärztliche Bildungswesen entstand zwischen 1905 und 1910 - auf Wunsch Wilhelm II. im neobarocken Stil: hohe Decken, edle Hölzer, breite Treppen, große Säle. Das Ministerbüro im ersten Stock hat die Größe einer Gymnastikhalle - mehr als 60 Quadratmeter, wie Stoibers dezent ausgeschickte Späher befriedigt feststellten.

Der frühere Hausherr Werner Müller, ein Klassikfan, ließ sogar eine verborgene Musikanlage einbauen, vom Schreibtisch aus steuerbar. Noch-Minister Wolfgang Clement bittet seine Gäste gern auf die große Terrasse zum herrschaftlichen Innenhof. Mit seinen 5000 Quadratmetern, alten Bäumen und einem modernen Brunnen gleicht er eher einem Park - und dient heute als standesgemäße Vorfahrt für den Chef. Über der Leitungsetage befindet sich ein Konferenzzentrum mit modernster Technik. Der prächtige Eichensaal diente der Kaiser-Wilhelm-Akademie als Fest- und Bankettsaal. Die ursprünglichen Holzpaneele an Wand und Decke wurden rekonstruiert. In dem Saal gibt es regelmäßig Kammerkonzerte. Das Ministerium dürfte das einzige in Berlin mit eigenem Konzertflügel sein.

Prächtig ist nur der Bau

des Wirtschaftsministeriums, die Kompetenzen sind eher schmächtig. Im Wahlkampf 2002 propagierte daher auch Stoiber, woran er sich heute nur ungern erinnert: die Zusammenlegung von Wirtschaft und Arbeit, wie sie dann Clement verwirklicht hat. Der Ökonomieprofessor Johann Eekhoff, selbst einmal Staatssekretär im Wirtschaftsressort, sagt: "Endlich hatte man das zusammen, was zusammengehört." Die neuerliche Trennung sei "extrem bedauerlich". Auch im Ministerium ist der Ärger groß: "Wir haben zwei Jahre gebraucht, um zusammenzuwachsen", sagt ein Personalratsmitglied, "jetzt geht alles von vorne los."

Auch die Zweifel am designierten Hausherren sind gewaltig. Nach der Entscheidung für ein reines Wirtschaftsressort halten die Beamten Stoiber für "relativ risikoscheu" - mit anderen Worten: für feige. Als Wirtschaftsminister könne Stoiber nicht viel falsch oder richtig machen - er könne nämlich überhaupt ziemlich wenig bewirken. "Wir sitzen auf schrumpfenden Fördertöpfen", sagt ein Ministerialer. Die Reformmusik spiele bei Steuern, Rente, Gesundheit und Arbeitsmarkt - und damit in den anderen Ressorts.

Stoibers Plan, das Ministerium mit zusätzlichen Kompetenzen aus dem Forschungsressort zu einem Megaressort nach dem Vorbild des japanischen Industrieministeriums "Miti" umzubauen, stößt auf große Skepsis. "Alle Erfahrungen zeigen, dass Politiker nicht die zukunftsträchtigen Felder entdecken können", sagt Experte Eekhoff. Auch die erfolgreiche Entwicklung Bayerns taugt nach Analyse von Ökonomen nicht als Vorbild. "Die haben einfach Glück gehabt, dass die großen Unternehmen nach dem Krieg nach München gegangen sind", sagt Eekhoff. Und anders als in der Heimat kann Stoiber auch nicht auf die Erlöse aus milliardenschweren Privatisierungen hoffen. Eekhoff: "Der Eichel hat doch schon alles versilbert."

Am Ende dürfte

ein Technologieminister Stoiber nicht viel mehr tun, als der vorwiegend bayerischen Luft- und Raumfahrtindustrie die Pfründen zu sichern. Anders als im Amt des bayerischen Ministerpräsidenten könnte sich Stoiber auch nicht als Retter von in Krisen geratenen Unternehmen betätigen. Der Bund darf ihnen gar nicht helfen. Solche Interventionen verstoßen gegen das EU-Beihilferecht. Da tröstet es wenig, dass der CSU-Chef die Kompetenzen für diese Fragen ins Wirtschaftsressort zurückgeholt hat. Immerhin säße er künftig in mehreren europäischen Räten - etwa für Energie, Telekommunikation und Wettbewerbsfähigkeit. Dorthin würde Stoiber gern reisen und seine Kollegen mit Zahlen quälen.

Dass ihm das bewusst bleibt, dafür hat Stoiber den Stiegler. Der schenkt es ihm von Bayer zu Bayer ein: "Der war Krokodil in München, in Berlin ist er nur Eidechse." Und die Plätze in der Sonne sind längst besetzt.

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