Europa in der Krise Was bringt der neue Rettungsschirm?

  • von Friederike Ott
Die Bundesregierung hat eine Stärkung des Euro-Rettungschirms beschlossen. Doch wie sinnvoll sind die einzelnen Maßnahmen? Stern.de beantwortet die wichtigsten Fragen.

Der erste Schritt für die Erhöhung des Euro-Rettungschirms EFSF ist gemacht. Die Bundesregierung hat am Mittwoch Änderungsvorschläge an dem Gesetz beschlossen, mit dem der Rettungsschirm im deutschen Recht verankert ist. Bis Ende September soll das Gesetz durchgewunken werden. Die EFSF soll künftig nicht nur Kredite vergeben können, sondern Staatsanleihen kaufen und vorsorgliche Kreditlinien bereitstellen können, um die Märkte zu beruhigen. Die EFSF ist nur provisorisch und wird 2013 vom dauerhaften Rettungsschirm ESM (European Stability Mechanism) abgelöst.

Die sperrige Abkürzung steht für die noch sperriger klingende "Europäische Finanzstabilisierungsfazilität". Gemeint ist eine Zweckgesellschaft, die Notkredite vergibt, um die Eurozone zu stabilisieren. Sie wurde am 10. Mai 2010 auf einem EU-Gipfel ins Leben gerufen und hat bereits Irland und Portugal unter ihre Fittiche genommen. Griechenland soll im Oktober mit seinem zweiten Hilfspaket auch unter den Schirm schlüpfen.

Als Griechenland im Sommer im Schuldensumpf versank und drohte, alle Euro-Länder mit in den Strudel zu ziehen, einigten sich die Staats- und Regierungschef der Euro-Länder bei einem Sondergipfel auf neue Instrumente, um schneller in Schuldenkrisen reagieren zu können.

Nun müssen die Regierungen die vereinbarte Reform in nationales Recht umwandeln. Dazu hat das Bundeskabinett den ersten Startschuss gegeben. Doch um welche Änderungen geht es überhaupt und wie sinnvoll sind sie?

Vorgehen der EZB wurde heftig kritisiert

Länder, die wie Irland und Portugal hoch verschuldet sind, müssen hohe Zinsen bezahlen, um sich Geld am Anleihenmarkt zu besorgen. Sind die Zinsen zu hoch, bekommen sie dort keine Kredite mehr, denn keine Bank möchte das Risiko tragen, das man an den hohen Zinsen ablesen kann. Deshalb ist es für sie wichtig, dass es den Rettungsschirm EFSF gibt, der auch hochverschuldeten Euro-Ländern Geld leiht. Das ist bislang die Funktion der EFSF.

Der Rettungsschirm kann bisher aber nicht verhindern, dass die Zinsen für Anleihen von hochverschuldeten Staaten stark steigen, wenn sie zwischen privaten Gläubigern, etwa von Bank zu Bank, verkauft werden. Wenn Spekulanten zum Beispiel auf die Pleite eines Euro-Landes wetten, kann das die Zinsen in extreme Höhen treiben und eine zerstörerische Dynamik in Gang setzen. Dem soll nun ein Riegel vorgeschoben und verhindert werden, dass hohe Renditen am Kapitalmarkt sich auch irgendwann auf die Zinsen übertragen, die ein Staat bezahlen muss. Wenn nun die EFSF als Anleihenkäufer am Kapitalmarkt auftritt, sinken damit automatisch die Zinsen, weil Vertrauen hergestellt wird.

Um ein Ausufern der Zinsen zu vermeiden, hat bisher die Europäische Zentralbank (EZB) eingegriffen und Anleihen auf dem Kapitalmarkt gekauft. Da das aber nicht zu den Aufgaben der EZB gehört, ist sie für dieses Vorgehen heftig kritisiert worden. "Zu recht", sagt Ferdinand Fichtner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). "Aber es gab einfach keine andere Lösung."

"Ein Rettungsschirm von mindestens zwei Billionen Euro wäre nötig"

Derzeit hat der Rettungsschirm ein Volumen von 440 Milliarden Euro. Alle Länder der Euro-Zone haben dafür Geld bereit gestellt. Die Höhe richtet sich nach der Wirtschaftsleistung. Jedoch sind nicht alle Euro-Länder, die Geld für die Garantien geben, so kreditwürdig wie Deutschland, das von den Ratingaagenturen mit dem besten Rating AAA bewertet wird. Die Spitzenbonität des Rettungschirms soll jedoch gewahrt bleiben, deshalb sollen die Garantien auf 780 Milliarden Euro erhöht werden. Damit würde Deutschland 211 Milliarden Euro statt wie bisher 123 Milliarden Euro beisteuern.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Ferdinand Fichtner vom DIW ist der Meinung, dass die Änderungen grundsätzlich richtig sind. "Sie bringen Rechtssicherheit", sagt er. Der Rettungsschirm müsse aber erheblich größer ausfallen. "Es klingt absurd, aber je mehr Geld von Ländern mit Top-Bonität im Rettungsfonds ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass jemand anfängt, zu spekulieren." Er hält ein Volumen von mindestens zwei Billionen Euro für notwendig.

"Die Lösung des Problems wurde vor Jahren verschlafen"

Jörg Hinze vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) warnt, dass die Änderungen des Rettungsschirms die Verschuldung der vereinzelten Staaten erleichtern könnte. „Das, was jetzt passieren soll, scheint mir eher so, als würden die Bedingungen gelockert. Wenn in den Euro-Ländern Wahlen stattfinden, werden die, die Sparmaßnahmen beschließen, abgewählt. Die Regierungen der Problemländer werden daher künftig eher geringere Anstrengungen machen als bisher“, glaubt er. Die Lösung des Problems sei schon vor Jahren verschlafen worden. „Die Maastricht-Kriterien wurden schon vor der Krise verletzt. Wir müssen weg von der allzu expansiven Finanz- und Geldpolitik“, so der Konjunkturexperte.

Der Rettungsschirm führe nur kurzfristig dazu, dass die Länder liquider werden. „Langfristig muss gespart werden und Strukturreformen müssen auf den Weg gebracht werden.“

Geholfen werden soll offenbar allerdings nur, wenn ein hilfesuchendes Land Auflagen erfüllt. Erhält es EFSF-Kredite oder kommt es zu Anleihenkäufen, muss es sich einem vollen Reformprogramm unterziehen. Bei einer vorsorglichen Kreditlinie sind weniger strikte Auflagen vorgesehen. Hilfskredite für die Banken eines Landes werden an Reformen im Finanzsektor des Landes geknüpft. Die EFSF-Gelder werden außerdem verzinst. Beschlüsse über Hilfsersuchen müssen die Euro-Regierungen einstimmig fällen.

Die Haushaltsexperten der Koalition verabredeten am Mittwoch, dass der vergrößerte Euro-Rettungsschirm künftig keinen Cent mehr ohne grünes Licht des Parlaments ausgeben darf. Der Regierung würden damit engere Fesseln angelegt.

mit DPA und Reuters

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