Presseschau "Der Schaden ist gewaltig": So kommentieren deutsche Medien Merz' Asyl-Aussagen

Friedrich Merz
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz erntet in den Kommentaren der deutschen Medien zumeist Widerspruch zu seinem Zahnarzt-Spruch
© Michael Kappeler / DPA
Sehen Sie im Video: Faeser zu Asyl-Äußerung von Merz – "Völlig unangemessen".




STORY: Bundesinnenministerin Nancy Faeser ist optimistisch, dass sich die EU-Staaten auf den umstrittenen Krisenmechanismus zur Linderung der Migrationskrise einigen werden. Vor Beratungen der EU-Ressortchefs am Donnerstag in Brüssel sagte die SPD-Politikerin. "Also für uns, Sie haben das ja von Frau Baerbock auch die Tage schon gelesen, für uns ist wichtig, dass auch im Krisenfall oder in der Feststellung einer Instrumentalisierung sichergestellt ist, dass ein Staat das nicht leichtfertig in Anspruch nimmt, dann Standards herabzusenken. Dafür haben wir noch weitere Konditionen mit rein formuliert, dass diese Staaten dann auch dafür sorgen müssen, beispielsweise, dass sie eigene Maßnahmen erst mal voll ausgeschöpft haben, bevor die EU entscheiden muss. Es ist wichtig, dass die EU mit qualifizierter Mehrheit darüber entscheidet dann, das entscheidet nicht der Mitgliedstaat selbst. Und da bin ich aber sehr zuversichtlich. Wir sind schon sehr weit gekommen in den Verhandlungen heute Nacht. Insofern bin ich sehr zuversichtlich, dass am Ende ein gutes Ergebnis stehen wird heute." Nach Angaben aus Regierungskreisen hatte Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwoch im Kabinett ein Machtwort gesprochen und klargestellt, dass Deutschland in dem Prozess kein Veto einlegen wird. Vor allem die Grünen haben Bedenken gegen den Krisenmechanismus geäußert. Mit ihm sollen von Migration besonders betroffene EU-Staaten wie etwa Italien vorübergehend mehr Menschen in die sogenannten Grenzverfahren schicken können als sonst vorgesehen. Die Details der Regelung sind aber noch umstritten. Faeser kritisierte in Brüssel auch jüngste Äußerungen von Friedrich Merz. Der CDU-Chef hatte bei einer Talkrunde des Fernsehsender "Welt" gesagt, es gebe zu viele Anreize für Migranten, nach Deutschland zu kommen. Dort sagte Merz - Zitat: "Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine." Faeser wies dies zurück: "Das ist der Populismus, den ich auch letzte Woche im Bundestag schon thematisiert habe: völlig unangemessen, gerade in diesen Zeiten. Wir haben große Herausforderungen. Da sollte man nicht noch dazu beitragen, dass die Gesellschaft sich spaltet, weil es in der Sache einfach falsch ist. Denn Asylbewerber können nur in Notfällen, wenn wirklich was vorliegt, zum Zahnarzt überhaupt gehen."
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat mit Asylbewerbern, die sich angeblich die Zähne sanieren lassen können, eine heftige Debatte ausgelöst. Deutsche Medien kommentieren die Aussage.

CDU-Chef Friedrich Merz hat mit harten Aussagen über abgelehnte Asylbewerber, die sich in Deutschland nach seinen Worten "die Zähne neu machen" lassen, scharfe Kritik und eine erneute Diskussion über seine Wortwahl ausgelöst. Merz hatte am Mittwoch im "Welt-Talk" des Senders Welt gesagt, bei dem es um Migranten ging: "Die werden doch wahnsinnig, die Leute, wenn die sehen, dass 300.000 Asylbewerber abgelehnt sind, nicht ausreisen, die vollen Leistungen bekommen, die volle Heilfürsorge bekommen. Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine."

Auf den Meinungsseiten deutscher Medien bekommt Merz dafür viel Kritik – aber in der Sache auch Zustimmung.

Das meinen deutsche Medien zu Friedrich Merz:

Bild:

"Es muss erlaubt sein, zu fragen, wie viel genau der Staat (also wir alle) für die Gesundheitsversorgung von Migranten zahlt. Daran ist nichts Unanständiges. Und es wäre grundfalsch, solche hässlichen Fragen allein der AfD zu überlassen.

Es klingt furchtbar, aber es ist wahr: Deutschland ist längst in einem Verteilungskampf: um Kita- und Schulplätze, um Termine bei Ärzten, Psychologen, selbst um Plätze bei der Tafel.

Das wird sich lange nicht ändern. Diesen Zahn müssen wir uns ziehen."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

"Die Folge von Fehlern und Zuspitzungen darf (...) nicht sein, dass das zentrale Thema Migration nicht mehr deutlich zur Sprache gebracht wird. Es bewegt viele Bürger im Alltag. Die unkontrollierte Einwanderung auf Einladung war der entscheidende Grund für den Aufstieg der AfD. Wer das Migrationsproblem nicht ernsthaft anpackt, der ist verantwortlich für ein populistisches Gegeneinanderausspielen von Einheimischen und jenen, die hier Zuflucht und Auskommen suchen. Ein Blick auf die Flüchtlingsströme und das Verhalten auch in der EU mit ihren unterschiedlichen Sozialleistungen zeigt, warum Deutschland die meisten Menschen anzieht. Die hiesigen Volksvertreter, insbesondere die bürgerlichen, sollten Nöte und Sorgen der eigenen Bürger kennen und nicht hintanstellen."

"Wie verwahrlost die Debatte über den Umgang mit geflüchteten Menschen unter dem Eindruck steigender Zugangszahlen und nahender Landtagswahlen in Deutschland geworden ist, zeigen die unsäglichen Äußerungen des Friedrich Merz. Wieder einmal spielt der CDU-Vorsitzende ganz bewusst die Schutzsuchenden gegen den Rest der Bevölkerung in Deutschland aus. Jetzt sind Asylbewerberinnen und Asylbewerber angeblich nicht nur an der Wohnungsnot und dem Mangel an Kita-Plätzen Schuld, sondern auch daran, dass 'deutsche Bürger' in Zahnarztpraxen keine Termine bekommen. Das ist ein dermaßen gefährlicher Unfug, dass es einem fast die Sprache verschlägt. Klar ist: Der CDU-Chef hat den Protest vorausgesehen und politisch eingepreist. Der CDU-Chef hält das Spiel mit dem Feuer offenbar für strategisch klug, um sich von den Ampel-Parteien scharf abzugrenzen. In Wahrheit ist der Oppositionsführer mit seiner billigen Stimmungsmache zum besten Wahlhelfer der AfD geworden, die er quasi zitiert."

Heilbronner Stimme:

"Warum Merz nach den "Sozialtouristen" und den 'kleinen Paschas' erneut Stammtischparolen verbreitet, bleibt sein Geheimnis. Der Schaden, den er damit anrichtet, ist jedenfalls gewaltig. Wenn der Chef einer großen Volkspartei Deutsche und Asylbewerber gegeneinander ausspielt, betreibt er das Geschäft der Extremisten. Die AfD, die Merz einst halbieren wollte, wird sich ins Fäustchen lachen und darf bei der nächsten Umfrage wieder auf ein paar Prozentpunkte mehr hoffen. Der dringend notwendigen Debatte um die Begrenzung illegaler Migration und konsequentere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber erweist der CDU-Chef einmal mehr einen Bärendienst."

Kölner Stadt-Anzeiger:

Es ist in der Sache kein bisschen zielführend ist, die Flüchtlingskrise mit vergifteten Formulierungen anzuheizen. Es hilft weder bei der Eindämmung der übermäßigen Migration noch nutzt es der CDU, wenn ihr Vorsitzender auftritt wie ein Rechtspopulist. In der Union muss irgendjemand dringend Friedrich Merz den Zahn ziehen, dass quartalsweise verbale Ausfälle der CDU helfen oder die Zustimmungswerte für die AfD verringern könnten. Merz' Kernbotschaft, wonach Deutschland mit seinem gut ausgestatteten Sozialstaat ein attraktives Ziel für Flüchtlinge ist, kann nicht widersprochen werden. Wenn Merz diese Befunde aber in ein faktisch falsches Beispiel packt, wonach sich Flüchtlinge die Zähne sanieren lassen, während Einheimische keine Termine bekämen, dann ist das verheerend."

Mitteldeutsche Zeitung:

"Merz’ Kernbotschaft, wonach Deutschland ein attraktives Ziel für Flüchtlinge ist, kann nicht widersprochen werden. Wenn Merz diese Befunde aber in ein faktisch falsches Beispiel packt, wonach sich die Flüchtlinge die Zähne machen lassen, während deutsche Bürger keine Termine bekämen, dann ist das verheerend. Denn wie die Rechtspopulisten es sonst machen, drückt Merz mit solchen Aussagen gleich eine Reihe von Trigger-Punkten: irreguläre Migration, schlechte Gesundheitsversorgung, ungerechte Verteilung. Diese Themen verbindet er mit falschen Fakten: Terminknappheit gibt es bei Orthopäden, Augenärzten und Radiologen. Wer will, kommt aber rasch an einen Zahnarzttermin. In den ersten 18 Monaten werden Flüchtlinge nur im Notfall medizinisch versorgt. Danach kann sich dennoch niemand die Zähne sanieren lassen, weil eine Komplettsanierung in der Kassenleistung nicht enthalten ist. Es liegt auch in der Verantwortung eines Parteichefs der demokratischen Opposition, die Missstände im Land und die Fehler der Regierung so zu benennen, dass seine Aussagen den Keil nicht noch tiefer in die Gesellschaft treiben."

Münchner Merkur:

"Ja, es gibt viel zu bemängeln an Fehlentwicklungen und Fehlanreizen im deutschen Asylsystem. Aber Friedrich Merz wählte zum Beweis für seine Asyl-Anklage ein unglückliches Beispiel, eines, das so giftig ist, dass es Pauschalisierungen und Halbwahrheiten nicht gut verträgt. Für die von Merz beklagte zahnärztliche Generalsanierung für abgelehnte Asylbewerber mögen sich Beispiele finden lassen. Doch die Gesetzeslage ist viel differenzierter als von Merz dargestellt. Schon einmal haute der CDU-Chef mit seinem den Ukrainerinnen unterstellten "Sozialtourismus" grob daneben. Schon klar: Der Oppositionsführer will Klartext sprechen, um verärgerte Bürger nicht rechten Stimmenfängern zu überlassen. Doch von einem Kanzler im Wartestand muss man erwarten können, dass er seine Sätze so wählt, dass seine Partei sie nicht anderntags wieder zurecht rücken muss."

Der Spiegel:

"Der CDU-Chef ist nicht verantwortlich für den Höhenflug der AfD. Der ist vor allem eine Folge der Regierungspolitik. Aber Merz ist der Grund, warum die Stimmen der Unzufriedenen nicht bei der Union landen. Wer Ressentiments gegen Flüchtlinge und Migranten schürt, der mästet die äußerste Rechte.

Die Unfähigkeit des Oppositionsführers macht es SPD, Grünen und FDP leicht, von eigenen Fehlern abzulenken. Statt über lange Wartezeiten beim Arzt debattiert man über Merz. Die eigentlichen Probleme bleiben unbearbeitet."

Südkurier:

"'Wenn alle die Axt schwingen, kann man mit dem Florett nichts ausrichten.' Diesen richtigen Satz hat Friedrich Merz einmal gesagt – ihn dann aber offensichtlich vergessen. Nach dem 'Sozialtourismus'-Vorwurf gegen Flüchtlinge aus der Ukraine liefert der Sauerländer einen weiteren Beweis seiner Lust auf polemische Zuspitzung. Diese ist zwar durchaus ein Würzmittel der politischen Streitkultur – was jeder weiß, der sich jetzt ins Empörungs-Tremolo gegen Merz einreiht. Aber der Parteichef sollte eigentlich wissen: In der CDU-Führung war es stets gute Tradition, die kantigen Äußerungen dem Generalsekretär zu überlassen und sich ansonsten diplomatisch zu äußern. Es stünde auch Merz gut an, einen Bogen um die geistigen Stammtische zu machen."

Welt:

"Die Empörung über die jüngste Aussage von Friedrich Merz zu Asylbewerbern lenkt von zwei Tatsachen ab: Es gibt Pull-Faktoren, die man beseitigen muss, und es gibt hierzulande eine breite Mehrheit für eine realistischere Migrationspolitik."

Quellen: DPA, "Bild.de", "Spiegel.de", "Welt.de".

DPA
tkr