Diese Bilder, diese Perfektion. Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, 37, steht, die Arme in die Hüfte gestemmt, lächelnd in einem Transportflugzeug der deutschen Bundeswehr. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder, 32, ballt bei ihrer ersten Rede im Bundestag die Fäuste und gibt ihrem makellos geschminkten Gesicht einen energischen Ausdruck. Johannes Vogel, 28, Chef der Jungen Liberalen, flegelt sich bei "Anne Will" kokett im Sessel, nimmt aber sofort Haltung an, wenn es darum geht, die FDP zu verteidigen. Vogel macht das so gut, dass ihn die ARD-Talkshow schon mehrfach eingeladen hat. Geschmeidig ist er, klug, er kann auf Knopfdruck druckreif reden.
Es ist ein bisschen so wie in der Endrunde einer Castingshow: Jeder entfaltet vor der Kamera seine Talente, setzt sich in Szene, weckt Emotionen - es ist eine Performance. Doch worum geht es eigentlich? Was hatte zu Guttenberg gesagt? Wo will Schröder hin? Hat Vogel eiserne Prinzipien? Es bleibt ein Gefühl der Leere. Das Gefühl, dass Männer und Frauen an die Macht drängen, die im Kern keine Politiker sind - sondern Manager von politischen Inhalten. Brillante Manager. Die wollen, dass es allen gut geht und ihnen selbst am besten. Wer nach Zielen, Visionen, Gesellschaftsentwürfen oder gar politischen Philosophien verlangt, sucht vergeblich. Jeder achte Deutsche - genau: 13 Prozent der Bundesbürger - kann sich vorstellen, dass Angela Merkel auch Chefin der Sozialdemokraten sein könnte. Krasser lässt sich das Ende aller Ideologien nicht belegen.
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Merkels Ziehvater Helmut Kohl, der nun auf seinen 80. Geburtstag zusteuert, hatte noch den Zweiten Weltkrieg erlebt. Trotz aller Bräsigkeit wusste er, was er wollte: Freundschaft mit Frankreich, Frieden in Europa, das wiedervereinigte Deutschland, eine "geistig-moralische Wende". Mit den "Sozen" wähnte er sich in einem politischen Krieg, den er unbedingt gewinnen wollte. Dieser Zweck heiligte für ihn sogar das Mittel der illegalen schwarzen Kassen. 16 Jahre war der Pfälzer an der Macht, unter seiner Regentschaft wuchsen die Guttenbergs, Schröders und Vogels auf.
Es ist die späte "Generation Golf", die Florian Illies kongenial beschrieben hat. Vom Schicksal in Watte gepackt, spielte sie mit Playmobilfiguren und tobte sich auf BMX-Rädern aus. Für die Schule wurde der Scout-Ranzen gepackt, am Samstag moderierte Frank Elstner "Wetten, dass...?" im ZDF, Lothar Matthäus war ein Held. Das größte Unheil dieser Jahrgänge war - wenn nicht Langeweile - ein wochenlanges Spielplatzverbot, weil 1986 eine ominöse radioaktive Wolke über Europa hinweg zog. Sie kam aus dem russischen Tschernobyl, so unendlich weit weg von Wiesbaden, seinerzeit ein bundesweiter Testmarkt für Luxusgüter, wo Kristina Schröder aufwuchs. Wiesbaden war bekannt für seinen Style, für das "EG", die erste Bar in Glas und Stahl, ein architektonisches Sinnbild des aufkommenden Elektropops. Da da da, ich lieb Dich nicht, Du liebst mich nicht.
Dann halt FDP
Bis in die 90er Jahre hinein brandeten die politischen Wellen des Mauerfalls nur ganz sanft an diese westdeutschen Enklaven. Politik war zu dieser Zeit eher eine Frage des Habitus als der Überzeugungen. Johannes Vogel war zunächst bei der Grünen Jugend, später fühlte er sich bei den Jungen Liberalen besser aufgehoben. FDP-Generalsekretär Christian Lindner, jetzt 31, sagte in einem Interview, er habe sich nach dem Ausschlussprinzip entschieden. Die Grünen seien ihm zu pessimistisch gewesen, die CDU zu spießig und die SPD zu gleichmacherisch. Dann halt FDP.
Jede Generation hat ihre Haltung. Der Soziologe Heinz Bude spricht von der Kälte der Weimarer Generation, der Skepsis der Flakhelfer-Generation und der Kritik der 68er. Jede dieser Haltungen entstand aus konkreten Lebenserfahrungen. Für Kohl war es der Krieg, für Joschka Fischer die Spießigkeit der Nachkriegsjahre, für Gerhard Schröder, Sohn einer alleinerziehenden Putzfrau, die Chance des Aufstiegs. Der SPD-Politiker Egon Bahr sprach davon, dass solche Erfahrungen das "innere Geländer" formten, das den Weg durch die Politik weise. Die "Generation Golf" brauchte kein Geländer, sie fuhr mit 18 schon Auto.
Pragmatismus als Grunderfahrung
Die Friedens- und Umweltbewegung, die in den 80ern politisch Furore machte, ging an ihr vorbei, die Lindners waren noch zu jung dafür. Ihre Möglichkeiten, sich gegen die Eltern abzugrenzen und damit einen eigenen politischen Standpunkt zu fixieren, waren geringer als jemals zuvor. Wogegen revoltieren? Wofür kämpfen? Der Kalte Krieg, der ewige Wettkampf zwischen Sozialismus und Kapitalismus, löste sich 1989 in Wohlgefallen auf. "Man kann jetzt nicht mehr tragisch träumen oder ironisch weitermachen", schreibt Bude dazu in seinem Buch "Generation Berlin". Der amerikanische Politologe Francis Fukuyama sprach gar vom "Ende der Geschichte". Übrig blieb das apolitische Streben nach Wohlstand und individuellem Glück. Der Pragmatismus.

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"Die biografische Grunderfahrung dieser Generation ist die Abhängigkeit von Möglichkeiten. Dafür ist sie stark sensibilisiert. Die große Frage lautet: Ist das machbar?", sagt Bude zu stern.de. Kristina Schröder hat diese Maxime in einem Interview für das Buch "Angepasst und ausgebrannt" unwillkürlich in eine Beschreibung ihrer politischen Qualifikation eingraviert. Die entscheidenden Fragen seien, sagt Schröder: "Wann geht man offensiv ran, wann telefoniert man rum, wann hält man besser die Klappe, wann geht man nach vorn, wann bleibt man stehen, wie sucht man sich Verbündete, wie stellt man sich dar. Das passt nicht in Algorithmen, dafür entwickelt man ein Feeling. Man muss natürlich eine gewisse soziale Intelligenz haben."
Merkel und die Lindners
Christian Lindner, FDP, könnte das vermutlich unterschrieben. Er war schon immer der Jüngste. Mit 15 trat er in die FDP ein, mit 18 war er im Landesvorstand, mit 25 Generalsekretär seiner Partei in Nordrhein-Westfalen. Sein politischer Ziehvater Jürgen Möllemann hat ihm den Spitznamen "Bambi" gegeben, was aber eher Möllemanns Machtanspruch als Lindner selbst reflektiert. Wer heute die Augen schließt und Lindners Stimme hört, glaubt, einen Mann vor sich zu haben, der Jahrzehnte parlamentarischer Praxis hinter sich hat, so geschliffen und präzise klingen seine Sätze. Es ist die formale Professionalität des Berufspolitikers, ein Typus, der unter den Jüngeren besonders häufig zu finden ist. Doch auch Lindner verkauft, was verkauft werden muss, und seien es die mitunter grotesken Auftritte seines Parteivorsitzenden Guido Westerwelle. "Die 30- bis 40-Jährigen sind alle fit und smart, aber entscheidungsschwach, weil sie zu komplexe Folgen bedenken. Die sind im Grunde zu schlau und haben deshalb eine Handlungshemmung", sagt Bude.
Die Ostdeutsche Angela Merkel, die eigentlich aus ihrer Biografie unumstößliche Prinzipien und Ziele entwickeln könnte, ist mittlerweile die Schutzpatronin der "Generation Golf". Kleine Schritte, pragmatische Politik, bloß keine ideologisch motivierten Zumutungen. Unter ihr gedeihen die Talente der Schröders, Lindners und Guttenbergs tausend Mal besser als die der weltanschaulich Gebundenen. Und die Wähler scheinen das zu honorieren. Ausweislich des Jahrbuchs des Allensbach-Instituts, das die Jahre 2003 bis 2009 untersucht, wollen die Deutschen mehrheitlich nicht mehr mit großen Entwürfen behelligt werden.
Die Schimäre der Wende
Damit verliert die Politik ihre Bedeutung als oberste Instanz der Republik. Sie wird zur Branche neben vielen anderen. Die "politisch-moralische Wende", die Kohl heraufbeschwor, blieb Schimäre. Seine Enkel denken weniger über Inhalte, sie denken über Taktiken, Strategien und Machtoptionen nach, die Schwarz-Grüne zum Beispiel. Biedermann und Steinewerfer? Das war einmal. Inzwischen tragen auch die jungen Grünen gut sitzende Anzüge.