Im Streit über das Bundesrats-Votum zum Zuwanderungsgesetz hat Bundeskanzler Gerhard Schröder das Verhalten der Union gegenüber Bundespräsident Johannes Rau scharf kritisiert.
Schröder kritisiert die Union
»Es ist extrem unwürdig, wie versucht wird, auf den Bundespräsidenten, der eine unabhängige Entscheidung zu treffen hat und diese sicher auch treffen wird, Druck auszuüben«, sagte der SPD-Vorsitzende vor einer Präsidiumssitzung seiner Partei am Montag in Berlin. Zuvor hatte die Union Rau mehrfach aufgefordert, das Zuwanderungsgesetz auf Grund des umstrittenen Votums von Brandenburg im Bundesrat nicht in Kraft zu setzen. Führende Unionspolitiker räumten unterdessen ein, dass die Empörung der Regierungschefs von CDU und CSU in der Sitzung der Länderkammer nicht spontan war.
Wer inszeniert was?
Nach dem saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller (CDU) sagte auch CSU-Generalsekretär Thomas Goppel, den Ministerpräsidenten von CDU und CSU sei bereits am Donnerstag klar gewesen, wie Brandenburg abstimmen und wie Bundesratspräsident Klaus Wowereit (SPD) darauf reagieren werde. »Wir haben am Donnerstag gewusst, morgen wird die SPD ein großes Theater inszenieren«, sagte Goppel in der ARD.
Legitimes Theater
Müller hatte am Sonntag in Saarbrücken gesagt, die Unions-Regierungschefs hätten in der Nacht zum Freitag ihre empörten Reaktionen auf die erwartete Entscheidung Wowereits verabredet. Dies sei ein legitimes Theater gewesen.
Wowereit hatte am Freitag das Votum Brandenburgs als Zustimmung gewertet, obwohl Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) und Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) unterschiedlich abgestimmt hatten. Aus Sicht der Union hätte Wowereit die Stimmen der Potsdamer Regierung als ungültig werten müssen. CDU und CSU haben bereits angekündigt, vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen, sollte Rau das Gesetz in Kraft setzen.
Roland Koch hat sich noch nicht beruhigt
Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU), der sich unmittelbar nach der Abstimmung im Bundesrat heftige Wortgefechte mit Wowereit geliefert hatte, verschärfte seine Kritik am Berliner Regierenden Bürgermeister. »Dass jemand so dreist und kalt mit der Verfassung umgeht, habe ich bis zu der Sekunde, in der es passierte, nicht für möglich gehalten«, sagte Koch der »Bild«-Zeitung. Die ehemalige Leiterin der Zuwanderungskommission der Bundesregierung, Rita Süssmuth (CDU), warnte im Deutschlandfunk davor, mit Inszenierungen die Glaubwürdigkeit der Politik zu beschädigen.
Verschiebt Rau die Entscheidung?
Nach dem Eklat im Bundesrat legte der frühere SPD-Chef Oskar Lafontaine dem Bundespräsidenten nahe, über das Zuwanderungsgesetz erst nach der Bundestagswahl in einem halben Jahr zu entscheiden. In der »Bild«-Zeitung vom Montag schrieb er, abschließend könne nur das Bundesverfassungsgericht entscheiden. »Oder der Bundespräsident lässt sich mit seiner Prüfung Zeit bis Ende September. Nach der Wahl wächst erfahrungsgemäß die Vernunft«.

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Vize-Regierungssprecherin Charima Reinhardt sagte vor Journalisten in Berlin, der Kanzler habe zuletzt nicht mit Rau über das Zuwanderungsgesetz gesprochen und dazu bestehe auch künftig keine Notwendigkeit. Die Entscheidung, ob er das Gesetz unterzeichne, liege nun allein in der Hand des Bundespräsidenten. »Der (Bundespräsident) wird seine Entscheidung treffen, und zwar unabhängig.« Das Bundespräsidialamt war für eine Stellungnahme zunächst nicht erreichbar.
»Das ist ein Trauerspiel«
Neben Schröder kritisierte auch Wowereit die Mahnungen der Union an Rau, das Zuwanderungsgesetz nicht zu unterzeichnen. Es werde versucht, die Neutralitäten des Staatsoberhauptes in Frage zu stellen, sagte Wowereit. »Das ist ein Trauerspiel.«
Kritik auch an Wowereit
Der Direktor des Bundesrates, Georg-Berndt Oschatz hingegen, hält das Vorgehen von Bundesratspräsident Klaus Wowereit (SPD) bei der Abstimmung über das Zuwanderungsgesetz für nicht verfassungsgemäß. »Der Bundesratspräsident hat sich nicht an meinen Vermerk gehalten«, sagte Oschatz am Montag in einem dpa-Gespräch. Nachdem Wowereit argumentiere, er habe sich nur exakt an die Empfehlung des Direktors gehalten, müsse er nun widersprechen: »Ich muss klarstellen, dass Herr Wowereit sich nicht auf mich berufen kann«, sagte der Jurist.
Im Kern habe er in dem Vermerk auf drei Sachen hingewiesen. 1. Die Stimmen der Vertreter eines Landes im Bundesrat seien gleichwertig. »Es gibt keinen Vorrang für den Ministerpräsidenten. Seine Stimme ist nicht privilegiert«, sagte Oschatz. 2. Das uneinheitliche Votum eines Landes führe dazu, dass die Stimmabgabe als ungültig zu werten sei.
3. Für den Fall, dass Brandenburg gesplittet abstimmen würde, habe er dem Präsidenten geraten, einmal nachzufragen und folgendes zu sagen: »Gemäß Artikel 51, Absatz 3, Satz 2 können die Stimmen eines Landes nur einheitlich abgegeben werden. Ich bitte deshalb um einheitliche Beantwortung der Abstimmungsfrage, anderenfalls die Stimmabgabe als ungültig bewertet wird.«
Es fehlte ein Halbsatz
»Diesen letzten Halbsatz vermisse ich beim Zitieren meines Vermerks von Wowereit. Der ist aber kriegsentscheidend«, sagte Oschatz. Der Verweis von Schönbohm in der Debatte, dass er mit Nein stimmen werde, sowie sein Hinweis bei Wowereits erstem Nachfragen »Sie kennen meine Auffassung« zeigten deutlich, dass Brandenburg nicht einheitlich abgestimmt habe. »Die uneinheitliche Stimmabgabe Brandenburgs war offensichtlich und das hätte der Präsident auch feststellen müssen.«