Margot Käßmann ist um eine Erfahrung reicher. Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob man sich als einfache Landesbischöfin äußert oder als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der obersten Vertreterin der 25 Millionen evangelischen Christen in diesem Land. In ihrer Predigt am Neujahrstag in der Dresdner Frauenkirche kritisierte sie den Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan - und forderte eine Alternative zu dem Waffengang ein. Die Empörung über ihre Worte schlug binnen Tagen hoch, viel höher, als sie sich das hätte träumen lassen: "Nicht erschrecken! Habt keine Angst", hatte Käßmann während ihrer Neujahrspredigt den Gläubigen noch Mut zu gesprochen. Wenige Tage später musste sie zugeben, sie sei "schockiert darüber, was aus meiner Predigt gemacht wird".
Vor allem aus der Union und vom Bundeswehrverband hagelte es Kritik in ungewöhnlich scharfer Form. Mit ihrer Forderung nach einem Rückzug aus Afghanistan falle sie den Bundeswehr-Soldaten in den Rücken, hieß es, sie sei ebenso naiv und weltfremd wie populistisch, vertrete den Standpunkt der "Linken", missbrauche ihr Amt – auf die Bischöfin wurde tagelang verbal eingedroschen. Erst als Außenminister Guido Westerwelle (FDP) moderatere Töne anschlug und das Anliegen Käßmanns lobte, den zivilen Aspekt des Afghanistan-Einsatzes zu betonen, war der Weg zum Dialog wieder geebnet. Am Montag nun trifft sich die EKD-Ratschefin mit Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) in Berlin. Man wolle reden. Nach dem Treffen ist Käßmann dann bei "Beckmann" zu Gast.
Keine Angst vor dem klaren Wort
Die Heftigkeit der Reaktionen auf Käßmanns Äußerungen ist überraschend. Warum wird den Afghanistan-Thesen der streitbaren Bischöfin so viel Aufmerksamkeit zuteil? Eigentlich hat sie nichts Revolutionäres verkündet. Selbst Verteidigungsminister zu Guttenberg dringt auf eine Abzugsperspektive. Und in ihrer Predigt sprach Käßmann nicht einmal von einem sofortigen Rückzug - auch in mehreren Zeitungsinerviews vor Weihnachten hatte sie das nicht getan. Liegen die Nerven blank beim Thema Afghanistan, bei dem die Regierungspolitik so offensichtlich meilenweit entfernt ist von der Stimmung bei den Wählern? Oder liegt die Wut darin begründet, dass sich hier eine Kirchenfrau zu Wort gemeldet hat?
Dass sich die Kirchen grundsätzlich auch in politische Fragen einmischen dürfen, daran gibt es vor allem in der Union, zumindest offiziell, keine Zweifel. Käßmann habe nicht die Aufgabe "wie eine Verteidigungsministerin zu reden", kritisierte der frühere bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) die Bischöfin zwar im Bayerischen Rundfunk. Aber: "Gewissen schärfen, Krieg nicht einfach hinnehmen, auch das ist ihre Aufgabe", sagte der Vizepräses der EKD-Syndode im "Bayerischen Rundfunk". "Bei der Afghanistan-Debatte geht es um Krieg und Frieden - und damit auch um 'Gut und Böse'. Wenn die Kirche dazu nicht mehr Stellung nehmen darf, kann sie aufhören", findet auch der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler, selbst Protestant und ein ausgewiesener Kritiker des Afghanistan-Einsatzes. "Wenn so viele Menschen bei einer deutschen Militärintervention verbrannt wurden, dann ist jedenfalls Schweigen für die Kirche nicht angebracht", sagt er. Gauweiler hat eine einfache Erklärung für die Wut, die die Predigt der Bischöfin hervorgerufen hat: "Frau Käßmann hat von den Verantwortlichen in Berlin 'mehr Phantasie' verlangt. Das hat eine ganz große Koalition der Phantasielosen erkennbar als Angriff empfunden. Weil sie an ihrer eigenen Position verzweifeln, schreien sie so laut auf".
"Es gibt keinen gerechten Krieg"
Liegt es also letztlich an der Person Käßmann selbst? Die Bischöfin gilt als ebenso charmant wie streitbar, konsequent und verbindlich. Die 51-Jährige formuliert ihren Standpunkt klar und vertritt ihn nachhaltig – auch wenn dies unbequem ist. So liegt ihr beispielsweise ein gutes Verhältnis zu "unserer katholischen Schwesterkirche" nach eigenem Bekunden am Herzen. Das hindert sie jedoch nicht daran, gleichzeitig die katholische Ablehnung des Gebrauchs von Kondomen in Zeiten von Aids öffentlich als "unverantwortlich" zu bezeichnen.
Hinzu kommt: Die Kirchenfrau hat eine Bilderbuchkarriere hingelegt, trotz persönlicher und gesundheitlicher Schicksalsschläge (Scheidung, Krebserkrankung) die Erfolgsleiter im Rekordtempo erklommen und dabei auch noch vier Töchter erzogen. Von Schicksalsschlägen und wechselndem Lebensgeschick muss Margot Käßmann niemand etwas erzählen. Dementsprechend hat sie durchaus ein Gespür dafür, dass ihre Position einerseits "ein heftiges Maß an Öffentlichkeit und Verantwortung mit sich bringt", andererseits wird "mein privates Leben dadurch sehr eingeschränkt", seufzte sie in der aktuellen Ausgabe des "Zeit-Magazins". Ihre Arbeit sei daher "nicht unbedingt ein Traumjob". Ihre Statements, ihre Lebenserfahrung - das alles erhöht ihre Glaubwürdigkeit zusätzlich.
Umso problematischer ist es für die Kritiker ihrer Äußerungen zum Afghanistan-Einsatz, dass sie aus ihrer Ablehnung des Militärs nie einen Hehl gemacht hat. Die gebürtige Marburgerin entstammt der linksprostestantischen Friedensbewegung der achtziger Jahre. Schon vor ihrer Wahl zur EKD-Ratsvorsitzenden hatte sie bekundet, dass sie von Anfang an gegen eine Beteiligung Deutschlands am Afghanistan-Einsatz gewesen sei. Auch ihr Engagement bei der Zentralstelle Kriegsdienstverweigerung, deren Präsidentin sie seit 2003 ist, belegt die pazifistische Einstellung der Bischöfin. "Es gibt keinen gerechten Krieg", betonte sie auch zuletzt wieder in der "Berliner Zeitung".
Das Unbehagen formulieren
Kleinlaut wird Margot Käßmann also auch jetzt kaum werden, da ihr gleich zu Beginn ihrer Amtszeit der Gegenwind heftig ins Gesicht bläst. Dass sie ihr Amt auch politisch interpretiert und sie regelmäßig zu gesellschaftlichen Entwicklungen Stellung nehmen wird, hatte die Bischöfin gleich nach ihrer Wahl zur EKD-Ratsvorsitzenden verkündet. Und sie wird dieser Maxime sicherlicher auch am Montag im Gespräch mit Verteidigungsminister zu Guttenberg folgen.
Denn: "Dass man der Kirche das Recht absprechen will, sich überhaupt zu äußern, das ist ärgerlich", wies EKD-Sprecher Reinhard Mawick alle aktuellen Mahnungen zurück, die Kirche solle sich aus der politischen Diskussion heraushalten. Im Gegenteil: Von der Kirche werde verlangt, Stellung zu beziehen. Dass dabei nicht immer sofort praktische Lösungen angeboten werden könnten, ändere nichts daran, dass die Kirche das Recht und die Pflicht habe, Unbehagen an bestehenden Verhältnissen zu äußern und so politisches Handeln anzuregen. In diesem Sinne sei auch Käßmann zu verstehen, wenn sie mit Blick auf Afghanistan "Fantasie für den Frieden" einfordert.