Bleibt dieses ungeschriebene eherne Gesetz der Bundespolitik gültig? Ein Bayer kann nicht Kanzler werden, heißt es gemeinhin. Soll natürlich heißen, dass ein:e CSU-Politiker:in bundesweit nicht genügend Zustimmung bekommen kann, um Regierungschef:in zu werden. Zu viel bajuwarischer Eigensinn, zu viel "Mir san mir" im Freistaat und auch in der Partei. Dazu vielerorts die Abneigung dagegen, dass sich eine Art "Landesverband der Union" zur Kanzlerpartei aufschwingen will.
Mit Markus Söder hat zum dritten Mal ein CSU-Politiker seinen Willen bekundet, Kanzlerkandidat der Union zu werden. Er wäre nach Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber der Dritte aus der kleineren der Schwesterparteien mit dem großen C im Namen. Bisher hatte die Union mit dieser Konstellation kein Glück. Bremst dieser Umstand Söder schon aus, noch bevor er richtig durchstarten kann? Am Ende dieses Montags scheint es fast so. Oder geht wegen der deutlich besseren Umfragewerte doch kein Weg am CSU-Mann Söder vorbei? Der Franke scheint das so zu sehen. Immer hat es in der CDU mächtig geknirscht, wenn ein CSU-Mann Chancen aufs Kanzleramt hatte. Das ist auch jetzt nicht anders, wie sehr sich CDU-Chef Armin Laschet und sein Konkurrent aus Bayern auch um Harmonie bemühen mögen.
Ein Blick zurück und nach vorn:
Franz Josef Strauß (Kanzlerkandidat 1980)
Typ: bajuwarischer Polterer
öffentliches Ansehen: Franz Josef Strauß als polarisierend zu charakterisieren, ist noch eine Untertreibung. Der ebenso hochintelligente wie selbstbewusste damalige CSU-Chef agierte nicht selten wie ein Elefant im Porzellanladen – jedenfalls nach dem Empfinden vieler Nicht-Bayern. Mit dem Namen Strauß sind mehrere politische Skandale in den frühen 1960er-Jahren verbunden: Starfighter-Affäre, Fibag-Affäre, Spiegel-Affäre. Während des Wahlkampfs zur Bundestagwahl 1980 wird aktiv gegen die Reizfigur Strauß agitiert. Buttons mit dem Slogan "Stoppt Strauß!", auch mit dem Zusatz "Gegen Reaktion, Faschismus und Krieg!", sind seinerzeit weit verbreitet. In eigener Sache muss erwähnt werden: Strauß wird 1964 von stern-Gründer Henri Nannen als Kolumnist gewonnen – auch hier gibt es heftigen Gegenwind aus der Redaktion. Die Zusammenarbeit wird nach sieben Monaten wieder beendet.
Konstellation in der Union: Die Aussicht auf die Macht in Bonn ist für die CDU Ende der 1970er schlecht. SPD-Ikone Helmut Schmidt sitzt als Kanzler fest im Sattel, ist beliebt und die FDP ist fest entschlossen, die sozialliberale Koalition fortzusetzen. Im damaligen Drei-Parteien-System muss die Union also die absolute Mehrheit anstreben, doch Helmut Kohl, der bei der Wahl 1976 gegen Schmidt verloren hatte, gibt als Partei- und Fraktionschef ein schwaches Bild ab. Der "starke Mann" Strauß kommt ins Spiel, ziert sich aber. Erst als Kohl den Niedersachsen Ernst Albrecht, Vater der heutigen EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, ins Spiel bringt, drängen führende CSU-Köpfe ihren Parteichef zur Kandidatur – nicht zuletzt, weil sich die Parteivorsitzenden spinnefeind sind. Die Gräben sind tief, es fehlt zudem ein Gremium, das den Kanzlerkandidaten wählen kann. Letztlich entscheidet die gemeinsame Bundestagsfraktion. Strauß wird nach turbulenten, sieben Stunden dauernden Beratungen mit 33 Stimmen Vorsprung zum Kandidaten gekürt.
Das Ergebnis: Mit Strauß geht die Union zwar knapp als stärkste Fraktion (44,5 Prozent) aus der Wahl hervor, doch die sozialliberale Koalition (SPD 42,9; FDP 10,6) steht zusammen; Helmut Schmidt bleibt Kanzler.
Edmund Stoiber (Kanzlerkandidat 2002)
Typ: spröder "Aktenfresser"
öffentliches Ansehen: Obwohl politisch durchaus erfolgreich (insgesamt 14 Jahre bayerischer Ministerpräsident und bei der Bayern-Wahl 2003 mit dem nach Sitzverteilung bundesweit besten Ergebnis bei einer Landtagswahl überhaupt) gilt Edmund Stoiber als sogenannter "Aktenfresser" ohne Charisma. Auf die Frage, wie ihn seine Freunde nennen, antwortete er in einer TV-Dokumentation einmal: "Meine Freunde nennen mich Herr Ministerpräsident." Sein öffentliches Bild ist geprägt durch seine häufigen Versprecher und ungeschickten Äußerungen. Seine "Zehn-Minuten-Transrapid-Rede" zu Beginn des Wahljahres 2002 erlangt sogar Kultstatus und wird vom Schlagzeuger Jonny König (u.a. Söhne Mannheims) für seine Abschlussarbeit an der Popakademie Mannheim gar als "Stoiber on Drums" vertont. Vor allem im Norden und Osten Deutschlands wird Stoiber daher vielfach nicht ernst genommen und seine Eignung als Kanzler infrage gestellt.
Konstellation in der Union: Mit Stoibers Kandidatur ist der Begriff "Wolfratshauser Frühstück" untrennbar verbunden. Nach dem Ende der Ära Helmut Kohl sind CDU/CSU 1998 in die Opposition gerückt. Die CDU-Spendenaffäre hat die Partei erschüttert und die Ambitionen von Kohls "Kronprinzen" Wolfgang Schäuble beendet; Friedrich Merz rückt als Fraktionschef, Angela Merkel als Parteichefin nach. Grabenkämpfe brechen aus; die neue "Vorsitzende aus dem Osten" wird noch mit Argwohn betrachtet. Nachdem Merkel ihr Interesse an einer Kanzlerschaft öffentlich angedeutet hat, sprechen sich etliche Ministerpräsidenten, Landesvorsitzende und Mandatsträger der CDU für Edmund Stoiber als Kanzlerkandidat aus. Der CSU-Chef liegt auch in den Umfragen deutlich vor Angela Merkel. Merkel kommt einer Abstimmungsniederlage zuvor, bietet Stoiber beim Frühstück in dessen Haus die Kanzlerkandidatur an und sichert so ihre Position als Partei- und Fraktionschefin - womit sie gleichzeitig Friedrich Merz ausbootet und ihre erfolgreiche Kanzlerkandidatur 2006 vorbereitet. Stoiber, der sich zunächst wie Strauß ziert, kandidiert.
Das Ergebnis: Stoiber erleidet die wohl knappste und dramatischste Niederlage in der bundesdeutschen Wahlgeschichte. Union und SPD kommen jeweils auf 38,5 Prozent. Die Grünen liegen 1,1 Prozentpunkte vor der FDP – das reicht für die Mehrheit der Sitze. Stoiber sieht früh wie der sichere Sieger aus, doch Stunde um Stunde schmilzt der Vorsprung. Letztlich fehlen 6000 Stimmen. Gerhard Schröder bleibt Kanzler.

Markus Söder (möglicher Kanzlerkandidat)
Typ: jovialer Macher
öffentliches Ansehen: Söder nutzt die Corona-Pandemie, um sich als erfolgreicher Krisenmanager und Macher zu inszenieren. Es entwickelt sich eine Art verdecktes Duell mit dem neuen CDU-Chef Armin Laschet um die Gunst der Öffentlichkeit. Wenngleich das Macher-Image mit fortdauernder Pandemie Kratzer bekommt, bringt sich Söder als Kanzlerkandidat der Union in Stellung. In guter CSU-Tradition ziert er sich allerdings und bekundet, sein Platz sei in Bayern. Es gelingt dem gebürtigen Franken, frühere Hardliner-Positionen (Polizeigesetz, Einwanderung) weitgehend in Vergessenheit geraten zu lassen.
Konstellation in der Union: Wieder ist die CDU in der Krise, wieder endet die Partei mit dem Ende einer Ära in einem personellen wie inhaltlichen Schlingerkurs. Und wieder bringt das die Chance einer CSU-Kanzlerkandidatur. Angela Merkels alter Rivale Friedrich Merz drängt wieder auf die politische Bühne, scheitert aber bei der Wahl des CDU-Parteichefs und kommt so als Kanzlerkandidat nicht mehr in Frage. Merkels "Kronprinzessin" Annegret Kramp-Karrenbauer wird zwar Parteichefin, scheitert aber an den Richtungskämpfen in der Partei und ihrer geringen Autorität. Kramp-Karrenbauer verzichtet auf Vorsitz und Kanzlerkandidatur, bleibt aber über viele Monate im Amt bis schließlich NRW-Ministerpräsident Armin Laschet zum Parteichef gewählt wird. Söder gibt dann doch seine Ambitionen aufs Kanzleramt bekannt. Nun stehen sich die Konkurrenten im Corona-Management auch als Konkurrenten in der K-Frage der Union gegenüber. Laschet hat die größere Partei hinter sich, für Söder sprechen deutlich die laut Umfragen besseren Siegchancen. Viele CDU-Abgeordnete favorisieren daher öffentlich den CSU-Mann. Erneut steht die Union vor einer Entscheidung, die ein prominentes Mitglied zu beschädigen droht.
Ergebnis: offen. CDU-Präsidium und -Vorstand stellen sich am Montag allerdings hinter Parteichef Armin Laschet. Das CSU-Präsidium stützt Markus Söder.
Es gibt also Parallelen zu Söders Vorgängern bei einer potenziellen CSU-Kanzlerkandidatur. Sie profitierten davon, dass die große Schwesterpartei in der Krise steckte und zumindest Stoiber auch von einem besseren Standing in der Öffentlichkeit. Allerdings geht die Union diesmal als Regierungspartei in die Wahl. Grund genug für die CDU, lieber auf das eigene Pferd zu setzen? Noch hat sich Söder nicht aufgegeben. Es gelte es die "Chancen in der Bevölkerung abzuwägen", sagte er am Montag mit Blick auf seine Umfragewerte.