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Existenzrisiko Kind Elternzeit ja, Weiterbeschäftigung nein

"Sie werden hier nicht mehr glücklich", drohte ein Firmenchef seiner Designerin nach der Elternzeit. Kein Einzelfall, wie eine neue Studie zeigt.
Von Kerstin Herrnkind

"Wir sind immer ehrlich, hanseatisch", sagt der Chef einer norddeutschen Modefirma zu Beginn des Gesprächs mit seiner Chefdesignerin Astrid F. Die 37-Jährige will nach der Elternzeit in ihren Job zurückkehren. An der Rechtslage gibt es nichts zu deuteln. Mütter haben nach der Elternzeit das Recht auf eine gleichwertige Stelle. Natürlich wisse er, dass sie "ein Anrecht auf ihren alten Arbeitsplatz" habe, druckst der Chef herum. Die "Position" sei allerdings "besetzt".

Man könne zwar eine neue Stelle für sie "kreieren", springt der Personalsachbearbeiter dem Firmenchef bei. Aber das, was Astrid F. "vorher hauptsächlich gemacht" habe, "wäre dann in der Form nicht mehr zu machen", formuliert er umständlich und kommt auf "unternehmerische Belange" und "Belange des Arbeitnehmers" zu sprechen.

Bundesregierung fördert kinderlose Akademiker

Auf dem Tonband, das Astrid F. in ihrer Handtasche mitlaufen lässt, ist eine Pause zu hören. "Sie hatten mir ja bei unserem ersten Gespräch schon nahe gelegt, dass ich mich woanders bewerben soll", sagt Astrid F. mit belegter Stimme. "Ja", antwortet der Chef. "Aber warum soll ich das tun? Ich habe ja Arbeit. Warum sollte ich mich dann woanders bewerben?" Wieder ist die Stimme des Chefs zu hören: "Ich glaube, weil Sie hier vielleicht nicht mehr so glücklich werden, wenn sich die Art und Ihr Arbeitsfeld ändert."

Der Mitschnitt zeigt, dass das Kinderkriegen für Frauen in Deutschland noch immer zum Existenzrisiko werden kann. Denn Astrid F. ist kein Einzelfall, wie die repräsentative Studie "Familie 2010" des Instituts für Demoskopie Allensbach zeigt. 19 Prozent von rund 1.800 Frauen mussten sich nach der Elternzeit eine neue Stelle suchen. Mit anderen Worten: Fast jede fünfte Frau verlor ihre Arbeit, weil ihr Chef sie nach der Elternzeit nicht weiter beschäftigen wollte.

Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, kennt das Problem. "Immer wieder erleben wir in den Beratungsstellen, dass Frauen mit Kindern diskriminiert werden. Das ist völlig inakzeptabel. Denn Deutschland kann es sich überhaupt nicht leisten, auf solche Potenziale zu verzichten."

Astrid F. alles andere als Einzelfall

Astrid F. gehört zu jenen Frauen mit Potenzial, denen Politiker das Kinderkriegen schmackhaft machen wollen. Sie studierte fünf Jahre lang in Deutschland und Frankreich Design, sammelte acht Jahre Berufserfahrung, bevor die norddeutsche Modefirma sie 2006 aus leitender Position abwarb. Ein verlockender Job, wie es schien. Die Firma ist renommiert, gibt sich nach außen sozial, spendet für Kinderhilfsprojekte.

Auf Suche nach neuen Trends flog Astrid F. nach Paris, London und Mailand. Dass ihr Arbeitstag auch im Büro nicht selten zwölf Stunden dauerte und sie mitunter auch am Wochenende arbeiten musste, habe sie nie gestört. "Ich habe sehr gern gearbeitet, stand hinter der Firma und dem Produkt." Kinder waren für die Designerin lange Zeit kein Thema. Nicht nur wegen ihrer langen Arbeitszeiten. Auch die Vorstellung, nach der Geburt kein Geld zu verdienen, schreckte sie.

Der Designerin kam es sehr gelegen, dass die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) Anfang 2007 das Elterngeld einführte, um gut verdienenden Karrierefrauen "Mut" zu machen, "sich auf das Wagnis Kind einzulassen". Als Astrid F. schwanger wurde, hätten ihr "die Kollegen im Personalbüro sogar noch gratuliert", erinnert sie sich. Die Designerin vereinbarte schriftlich mit dem Personalbüro, dass sie ihre Arbeit nach 14 Monaten Mutterschutz und Elternzeit wieder aufnehmen würde.

Eigentlich alles richtig gemacht

Um Astrid F. den Ganztagsjob zu ermöglichen, verlegte ihr Mann, der als Geschäftsführer in der Gastronomie tätig ist, seine Arbeitszeit in die Nachtstunden. Das Ehepaar ist auf beide Gehälter angewiesen, hat sich eine Eigentumswohnung gekauft. Auf der Suche nach einem Krippenplatz klapperte das Elternpaar alle Kindertagesstätten an ihrem Wohnort ab. Zwar sollen Mütter möglichst nicht länger als zwölf Monate aussteigen, um den Anschluss im Job nicht zu verlieren, wie es das Bundesfamilienministerium rät. Doch einen Anspruch auf einen Kindergartenplatz haben Mütter erst, wenn ihr Kind drei Jahre alt ist. Ehepaar F. suchte wochenlang, bevor es einen Krippenplatz fand. Alles schien perfekt vorbereitet zu sein für den Wiedereinstieg in den Beruf. Bis die Einladung zum persönlichen Gespräch kam.

Arglos fuhr die Designerin in die Firma. Doch statt um die Einzelheiten ihrer Rückkehr zu besprechen, hätten der Firmenchef und der Personalsachbearbeiter - so notierte Astrid F. in ihrem Gedächtnisprotokoll - ihr schon bei diesem ersten Gespräch nahe gelegt zu kündigen.

"Eine Unverfrorenheit"

Geistesgegenwärtig bat die Designerin um Bedenkzeit, vereinbarte ein zweites Gespräch. Diesmal brachte sie ihren Anwalt Andreas Witte mit und ließ in ihrer Handtasche das Tonband mitlaufen. Eigentlich ist das Mitschneiden vertraulicher Gespräche strafbar. Es gibt jedoch Ausnahmen, wenn zum Beispiel ein strafrechtlich relevantes Verhalten bewiesen werden soll. Ein Chef, der seiner Angestellten droht, sie solle auf ihren Arbeitsplatz verzichten, weil sie sonst nicht mehr glücklich werde, begeht unter Umständen eine versuchte Nötigung. Nach dem Gespräch war selbst Rechtsanwalt Witte geschockt. "So eine Unverfrorenheit habe ich noch nie erlebt", sagt er. "Die Herren haben meiner Mandantin ganz klar die Pistole auf die Brust gesetzt."

Dennoch stehen die Chancen, sich zu wehren, eher schlecht. Zwar kann Astrid F. Klage beim Arbeitsgericht einreichen. Doch so ein Verfahren kann Monate, wenn nicht gar Jahre, dauern. Um eine einstweilige Verfügung gegen ihren Arbeitgeber zu erwirken, müsste Astrid F. die Eilbedürftigkeit nachweisen und hätte damit immer noch keine endgültige Entscheidung. Und selbst eine Klage nach dem neuen Antidiskriminierungsgesetz würde ihr den Verlust der Arbeitsstelle nicht ersetzen. 11.000 Euro sprach das Arbeitsgericht Wiesbaden Ende 2008 einer Frau zu, die von der R&V Versicherung nach der Geburt ihres Kindes auf eine andere, weniger lukrative Stelle versetzt worden war. Immerhin entschied das Gericht, dass die Klägerin einen Anspruch auf ihren alten Arbeitsplatz habe. Doch wer will schon zurück in die Firma, die er vorher verklagen musste?

Kein Schuldbewusstsein

Firmenchef und Personalleiter der Modefirma sind sich keiner Schuld bewusst. Über ihren Anwalt lassen sie mitteilen, die "Vorwürfe" seien "haltlos". Sie hätten Astrid F. nach der Elternzeit vielmehr verschiedene Angebote unterbreitet an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Die Designerin habe allerdings "deutlich signalisiert, sich eine weitere Tätigkeit im Hause trotz verschiedenster Angebote nicht mehr vorstellen zu können." Nur deshalb sei thematisiert worden, ob sich Astrid F. nicht woanders bewerben wolle. Wäre da nicht das Tonband, stünde nun Aussage gegen Aussage.

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Anwalt Witte hat inzwischen für Astrid F. eine Abfindung von 25.000 Euro ausgehandelt. Die Designerin will das Geld nutzen, um sich selbstständig zu machen. "Ich will endlich meine eigene Chefin sein." Wie sie inzwischen erfahren hat, ist der neue Chefdesigner in ihrer alten Firma ein Mann. Er ist verheiratet. Aber kinderlos.

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