Kommentar Barack Kant rettet die Welt

Der Streber hat schon wieder alles richtig gemacht: Politstar Barack Obama hat sich in seiner Berliner Rede als mahnender Europafreund, Weltenbürger und Weltenretter inszeniert und so Europäer und Amerikaner befriedigt. Der Anti-Bush verhieß ein neues Verständnis von internationaler Politik.

Schluss jetzt, möchte man mahnen. Mit dieser Euphorie, mit dieser Lobhudelei, mit den Vorschusslorbeeren. Schluss mit dieser Obamania. Herr Senator, werden Sie zum Menschen! Machen Sie einen Fehler. Nur einen klitzekleinen.

Aber alles Flehen bliebe unerhört.

Denn der Wahlkämpfer Barack Obama macht keine Fehler. Nicht in Kabul. Nicht in Bagdad. Nicht in Jerusalem. Und auch nicht in Berlin. Im Gegenteil. Der globale Polit-Messias mit dem federnden Schritt und dem jugendlichen Auftreten hat auch in Deutschland die richtigen Worte gefunden, den richtigen Ton getroffen, trotz der widersprüchliche Erwartungen des Publikums in Kreuzberg und Kansas. Der Mann ist perfekt, makellos, glatt. Fast zu glatt.

Obamas Rede war in weiten Teilen wolkig, bisweilen banal, erinnerte mehr an John Lennons Habt-Euch-Alle-Lieb-Hymne "Imagine" als an ein außenpolitisches Programm. Und dennoch, die außenpolitischen Vordenker des Senators haben ihren Job gut gemacht: Obama gelang es, geschmeidig zwei zentralen Botschaften zu überbringen: Erstens, liebe Wähler zu Hause, ein Präsident Obama scheut nicht davor zurück, die Europäer in die Pflicht zu nehmen. Und zweitens, liebe Europäer, ein Präsident Obama wird einer missionarisch-irrationalen US-Außenpolitik à la George W. Bush ein Ende setzen und versuchen, mit Euch, mit Euch wichtigen Partnern, vernünftig zu reden.

Dabei war das zentrale Thema der Rede ein Klassiker: Obama nahm die Stadt Berlin als historische Metapher für den universalen Kampf von Gut gegen Böse, von Demokratie gegen Kommunismus, von Freiheit gegen Unterdrückung. Anno 1948 habe es gegolten, die Freiheit per Luftbrücke in Berlin zu verteidigen, heute sei die Freiheit eben andernorts bedroht, in Afghanistan oder im Irak, vom Iran, durch die Umweltverschmutzung oder durch die nukleare Proliferation.

Weil Europäer und Amerikaner gleichermaßen der Freiheit verpflichtet seien, müssten sie nun im Angesicht der neuen Feinde zusammenstehen. Sie müssten die Lasten teilen, auch wenn das konkret bedeute, Soldaten nach Afghanistan zu schicken. Obama nahm Europa generell in die Pflicht, ohne es mit konkreten Forderungen, gar gegenüber der Bundesregierung, zu überfordern.

Bürger Obama

All das hätte George W. Bush so oder so ähnlich auch formulieren können. Ein anderes, ein neues Verständnis von internationaler Politik konnte man an einem anderen Element der Obama-Rede ablesen: Immer und immer wieder führte er den Begriff des Bürgers im Munde. Er sei ein Bürger Amerikas, aber auch ein Bürger der Welt, verkündete Obama an der Siegessäule. Wer mag, kann aus dieser Begriffswahl Obamas allerlei herauslesen. Denn ideengeschichtlich ist der Begriff des Bürgers tief in der Aufklärung verwurzelt, in einem vernunftgetriebenen, liberalen Verständnis von Politik und Weltpolitik. Obama berief sich, ohne freilich den Namen im Munde zu führen, so sehr indirekt auf die Tradition Immanuel Kants, des Königsberger Philosophen. Barack Kant beschwor den ewigen Frieden.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Kant hin oder her. Eine schroffe Absage war die Anspielung auf das aufgeklärte Weltbürgertum in jedem Fall an die irrationalen, neokonservativen Eiferer, die die Außenpolitik Bushs lange bestimmten, an das Missionarisch-Engstirnige dessen Politik.

Jedwede tiefenphilosophische Interpretation der Worte Obamas sagt dabei freilich noch lange nichts darüber aus, wie dieser seine globale Politik als Präsident konkret gestalten würde. Dazu waren die Ausführungen an diesem Abend zu diffus. Aber immerhin verrät die Wortwahl des Senators, dass er den Fundamentalismus des derzeitigen Präsidenten durch vernunftgetriebenen Dialog ersetzen will. Das ist schon viel. Denn mit einem vernünftigen Gegenüber lässt sich auch bei widersprüchlichen Interessen verhandeln, bei Eiferern ist das schwierig.

Er inszenierte sich als Brückenbauer

Ansonsten tat der Politstar niemandem weh, erwähnte Differenzen zwischen Europa und Amerika, aber blieb jener Linie treu, die er auch im Wahlkampf zu Hause verfolgt: Er inszenierte sich als Brückenbauer, als Versöhner. In Berlin versprach er, verfeindete Völker zu befrieden und die Welt zu retten. Von Hoffnung war viel die Rede, von Mut. Und von Einheit. Habt Euch alle lieb, alles wird gut. Imagine.

Und so hatte man am Ende dieses Abends das Gefühl, dass in Deutschland ein Barack Obama aufgetreten war, der rhetorisch meisterhaft das Banale verkündet hatte, den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen Amerikanern und Europäern. Immerhin. Gleichzeitig war es ihm gelungen, eine kleine Vision zu skizzieren, einen Vorschlag in den Raum zu werfen: Lasst uns wieder vernünftig miteinander reden.

Unterm Strich lässt das hoffen. Denn selbst wenn man die Imagine-Weichspül-Rhetorik ebenso abzieht wie die Kant-Interpretation, dann spricht Obama offenbar eine Sprache, die diesseits und jenseits des Atlantiks verstanden werden kann. Das ist schon viel.