Kurt Beck Der letzte Mann

SPD-Vorsitzender wird er nur, weil es keinen anderen mehr gibt? Vorsicht! Kurt Beck ist durch sozialen Aufstieg hart geworden, und er schöpft seine Kraft in der pfälzischen Provinz - wie einst Helmut Kohl

Ostern war es fast ein wenig so wie früher. Über die Feiertage kommt der Kurt immer nach Haus, sagt Herr Ott. Dann bleibt der Kurt sogar über Nacht, weil ja Feiertag ist und sich Kurts alter Vater freut, sagt er. Dann hängt sich Herr Ott das Akkordeon um und spielt sein liebstes Lied, das von der Liebe zur Heimat: Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus…

Der Ott Rudolf, wie man hier in Steinfeld sagt, am südlichen Ende der Pfalz, ist 83 Jahre alt und der beste Freund vom Beck Oskar, dem Vater vom Beck Kurt. Über seinem beigefarbenen Sofa hängt eine Zeichnung des Dorfes. Die hat Herr Ott zum Dank für seine 40-jährige Gemeinderatsarbeit geschenkt bekommen. Auf die Rückseite hat der Beck Kurt eine Widmung geschrieben: "Was wären die vielen Sitzungen ohne den Humor vom Rudolf gewesen." Herr Ott, der politisch "von de andere" ist, hängt sich sein Akkordeon wieder um und sagt: "Der Kurt ist scho ein guter Junge. Ebbe a eschter Pfälzer."

Auch wenn er und seine Frau Roswitha, die Rosi, längst vor allem im Reihenhaus im nahen Bad Bergzabern leben - Kurt Beck liebt das 2000-Seelen-Dorf an der Grenze zum Elsass, seine gute, alte Steinfelder Welt, die Felder, den Kirchturm, den dunklen Bienwald am Horizont. Hier liegen seine Wurzeln. Hier lebt sein Vater in dem kleinen, weißen Haus bei der Grundschule. Hier hat er selbst in den 70er Jahren sein eigenes Haus hinter das des Vaters gebaut. Hier war er nebenbei Ortsbürgermeister. Und wenn er heute mit seiner Limousine an der Bücherei vorbei in die kleine Straße einfährt, dann weiß er genau, was ihm seine Haushälterin in den Kühlschrank gelegt hat: Saumagen und Blut- und Leberwurst, alles frisch bereitet vom Metzgermeister Katus, bei dessen Vater schon Kurts Mutter Hanna eingekauft hat.

Sicher, seit er Ministerpräsident geworden ist, schafft er es nicht mehr allzu oft aus der Landeshauptstadt in sein Heimatdorf. Doch immerhin - bisher hat er sich an jedem zweiten Sonntagvormittag die Zeit genommen und in seinem kleinen Haus die Dorfleute zur Bürgersprechstunde empfangen. Das rechnen ihm die Menschen von Steinfeld hoch an. Das zeigt ihnen, dass der Kurt noch "a eschter von hier" ist. Bodeschdändisch. Ehrlisch. Da macht es nichts, dass er bald noch seltener kommt, jetzt, wo er auch noch diese verrückte SPD führen muss in Berlin. Kurt Beck SPD-Vorsitzender! Hätte man das vor ein paar Jahren prophezeit, man wäre ausgelacht worden. Toller Witz! Und Weihnachten ist im August! Bebel, Brandt, Beck - das ist ja in der Tat eine bizarre Reihung, auf den ersten Blick. Er war der ewig Unbeachtete. Der Schattenmann. Der, den es eben auch noch gibt, da unten in Deutschland-Südwest, im Land der Reben und Rüben.

Als Kurt Beck Ministerpräsident wurde, 1994, regierte die SPD im Saarland und in Nordrhein-Westfalen mit absoluter Mehrheit, Matthias Platzeck war bei den Grünen und Franz Müntefering weithin unbekannter Sozialminister in Düsseldorf. Und der Parteivorsitzende hieß Rudolf Scharping. Beck regierte praktisch unfallfrei, es gab keine Skandale, er musste keinen einzigen Minister rausschmeißen. Er verschmähte die Grünen, koalierte als einziger Sozi mit der FDP, förderte den Mittelstand, zog im Hintergrund die Strippen beim ZDF und brummte durchs Land, bis er jedem Wähler mindestens einmal auf die Schultern gepatscht hatte.

Er gewann seine Wahl 1996, er gewann 2001, aber wann immer nach Nachfolgern, Kandidaten und Zukunftshoffnungen gefahndet wurde in der SPD, auf Beck kam keiner. Erst im November 2003 stieg er zum stellvertretenden SPD-Vorsitzenden auf, als einer von fünf. Er hatte sich vorgenommen, künftig stärker in Berlin mitzumischen, aber die großen Jungs ließen ihn nicht. Müntefering und Schröder dealten ihre Politik unter sich aus, Beck durfte sie bei "Christiansen" verteidigen. Irgendwann hatte er die Nase voll. "Was soll ich meinen Sonntagabend opfern für den Scheiß", polterte er in Mainz. "Lasst doch den Wowereit da hingehen."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Natürlich gehörte Kurt Beck auch nicht zu der Hand voll Vertrauter, die Schröder und Müntefering voriges Jahr rechtzeitig in ihren Neuwahlplan einweihten. Erst am Tag der Entscheidung, dem 22. Mai, wurde er nachmittags telefonisch informiert. Beck empfahl, "den Stier bei den Hörnern zu packen". Ihm konnte es nur recht sein, dass im Bund die ungeliebte rot-grüne Koalition nicht mehr regieren würde, wenn er seine Wahl zu bestehen hatte. Das erhöhte seine Chance, Ministerpräsident zu bleiben.

Und es machte Kurt Beck wichtig. Sein Name fiel plötzlich häufiger, wenn über einen neuen SPD-Chef gesprochen wurde für die Zeit nach der Wahlniederlage Schröders und dem Abgang Münteferings. Beck sagte nur: "Alles Gewäsch. Ich bleib in der Pfalz, das ist der drittschönste Job nach Papst." Dabei fühlte er sich am Bauch gepinselt. Einerseits. Andererseits missfiel ihm der schale Beiton: Er war als Notnagel im Gespräch. Als Übergangsvorsitzender, bis die SPD wieder einen richtigen Strahlemann und Wahlmagneten gefunden hätte.

Das hat er sich gemerkt. Er sei nicht nachtragend, hat er mal gesagt, aber er vergesse auch nichts. Jetzt, nachdem aus Matthias Platzeck ein Übergangsvorsitzender geworden ist, ist die Bank leer. Und Beck ist übrig geblieben. Der letzte Mann. Aber das ist kein Zufall. Es ist eine Leistung. Beck weiß das, und er erinnert daran, auf seine Weise. Denn er vergisst wirklich nichts. Deshalb sagte er schon bald nach seiner Nominierung denkwürdige Sätze. Er habe nicht vor, nur für kurze Zeit Parteichef zu sein. Er richte sich auf mehrere Jahre ein. Einen ersten Stellvertreter, wie er es unter Platzeck war, brauche die SPD nicht mehr: "Das war aus einer speziellen Situation geboren." Er werde keine "Zirkusnummern" vollführen: "Wer mit 57 Jahren kein Profil hat, kriegt auch keins mehr."

Es waren Sätze, die selbstbewusst klangen. Aber eher angestrengt statt gelassen. Und ein bisschen nach verletzter Eitelkeit.

Beck hatte schon mit dem Kapitel abgeschlossen, als er Platzeck im November das Amt ließ - weit schwereren Herzens, als er nach außen zu erkennen gab, und auch nur, weil er sein fast überparteiliches Image, das er in Rheinland-Pfalz genießt, nicht kurz vor dem Wahlkampf daheim verlieren wollte. Aber nun, da er seine Wahl mit absoluter Mehrheit gewonnen hat und doch noch SPD-Chef geworden ist, wird er das Amt auch füllen. Und zwar richtig. Seine Verbindlichkeit kaschiert da nur eine Verbissenheit, die - auch - mit seiner (Aufstiegs-)Geschichte zu tun hat.

Steinfeld liegt an der Grenze zu Frankreich. Der einstige Westwall, das riesige Hitler-Bollwerk aus Bunkern und Sperren, geht durch den Ort hindurch. Als Becks Eltern das Haus auf der Anhöhe bezogen, lag das ganze Dorf in Trümmern. Heute säumen Pappeln die Panzergräben von einst, und die Betonhöcker der Sperren sind mit Moos bewachsen. Als Kind hat Kurt Beck mit seinen Freunden jede freie Minute zwischen den Trümmern verbracht. Sie sind in die Bunker gestiegen und haben sich ausgiebig gegruselt. Haben leere Patronenhülsen mit Pulver gefüllt und entzündet.

Das Haus seiner Eltern, geklinkert an den Seitenwänden, hutzelig, klein, erzählt von den bescheidenen Verhältnissen in den frühen 50er Jahren. Sein Vater Oskar kam aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Hause und schaffte fortan als Maurer. Seine Mutter flocht Körbe, half im Wald und auf den Feldern. "Der Kurt hat mal gesagt, er wär froh gewesen, wenn sein Vater ihm eine Tracht Prügel angedroht hätte, dass er das Abitur machen soll", erzählt der alte Nachbar Martin.

Es gibt zwei Themen, auf die reagiert der Politiker Kurt Beck äußerst schmallippig. Das eine ist sein Privatleben, das schottet er ab, so gut es geht. Das zweite ist sein Bildungsweg.

Bedauern Sie es, dass Sie kein Abitur haben, Herr Beck?

"Ich hatte keine Chance dazu."

Er sagt das ganz schnell, ganz hart, ohne die übliche Jovialität. Dann räuspert er sich, streicht über die Krawatte. "Ich bin aufm Dorf aufgewachsen." Acht Klassen Volksschule, jeweils mehrere Stufen zusammengepackt in einem Raum, "und die Ordensschwestern haben mit einem Rohrstock dazwischengehauen, das war pädagogisch sehr ausgewogen …"

Höhere Schule, auf die Idee kam hier keiner. Mitschüler Katus, ein kluger Kopf, wurde eben Metzger, Beck lernte Elektromechaniker, "es war halt, wie es war". Es gab kein Geld fürs Abitur. Es gab ja nicht mal Geld für eine Klassenfahrt. Das war normal auf den Dörfern der Nachkriegszeit. Mit Anfang 20 machte er die mittlere Reife nach; der "ungeplante" Sohn Stefan verhinderte, dass Beck auf dem Speyer-Kolleg auch das Abitur baute, die junge Familie brauchte jeden Pfennig. Statt zu studieren, machte er Karriere als Personalrat und Gewerkschafter, trat in die SPD ein und stieg auf: Kreistag, Landtag, Fraktionschef, Ministerpräsident.

Geblieben sind ihm aus dieser Zeit Empfindlichkeit gegen Ungerechtigkeiten, Empfindsamkeit und eine starke Abneigung gegen intellektuelle Geschwätzigkeit und Aufsteigerallüren. Und dass ausgerechnet Beck in seinem Land die modernste Bildungspolitik machen lässt, mit Ganztagsschulen und Frühförderung, auch das ist biografisch begründet.

Vielleicht haben sie es nicht so gemeint, aber irgendwie sind viele Genossen und viele Journalisten in der Hauptstadt immer etwas herablassend mit dem Mann aus der pfälzischen Provinz umgegangen. Etwas dünkelhaft. Wie der schon aussieht, so hotzenplotzig, das ganze Gegenteil des Womanizers Platzeck. Das ist jetzt noch so. Beck zeichne das "Charisma einer Erdverbundenheit" aus, sagt etwa Präsidiumsmitglied Ludwig Stiegler. Wahrscheinlich soll es ein Lob sein. Es ist ein ähnlicher intellektueller Hochmut, der früher auch Helmut Kohl entgegenschlug. Der hat sich gewehrt, indem er Wahlsiege sammelte, einen nach dem anderen, den Hochfahrenden zum Trotz.

Natürlich ging auch gleich wieder die Kanzlerkandidatendebatte los. Im Präsidium hatten sie schnell noch eine Sprachregelung festgelegt nach Platzecks Rückzug: Der Vorsitzende habe das Recht des ersten Zugriffs. Aber selbstverständlich wurden sofort andere Namen durch Berlin gewispert, schillerndere Namen: Steinbrück, Gabriel, sogar Steinmeier.

Beck konterte wieder auf seine Weise. Was ein guter Kanzlerkandidat mitbringen müsse?, fragten ihn "Spiegel"-Redakteure kurz vor Ostern. "Schon mal eine Wahl gewonnen zu haben ist sicher kein Nachteil", sagte Beck. Das war eine ebenso einleuchtende wie raffinierte Antwort. Steinbrück hat in NRW verloren, Gabriel in Niedersachsen vergeigt und Steinmeier noch nie irgendwo kandidiert. So viel dazu.

Unter SPD-Mitgliedern ist ohnehin so gut wie ausgemacht, wer 2009 gegen Angela Merkel antreten muss: Kurt Beck. 54 Prozent der eingeschriebenen Sozialdemokraten halten ihn für den Kandidaten mit den besten Aussichten, ergab eine Umfrage im Auftrag des stern. Auf Rang zwei folgt Peer Steinbrück - mit 16 Prozent. Die Genossen geben viel auf ihren designierten Vorsitzenden. Fast alle glauben, dass er seine Sache gut machen werde, und drei Viertel sehen mit ihm an der Spitze die Chancen auf einen Wahlsieg wachsen. Sogar über die Parteigrenzen hinweg gilt ein SPD-Chef Beck als gute Wahl: 62 Prozent aller Bürger sagen das. Von Matthias Platzeck dachten das vor fünf Monaten nur 42 Prozent.

Vielleicht ist Beck ja doch so etwas wie der übersehene Messias, der die Genossen glücklich machen und auch noch konservative Wähler gewinnen kann. Vielleicht verbinden seine Parteifreunde aber auch nur so viel Heilserwartungen mit ihm, weil da sonst niemand mehr ist. Denn restrealistisch sind sie ja geblieben. Gefragt, wer den größten Einfluss in der SPD habe, antwortet mehr als die Hälfte: Franz Müntefering.

Das wird Beck nicht auf sich beruhen lassen. Denn Kurt Beck werde "generell überschätzt, was Ruhe und Gelassenheit angeht", sagt einer, der ihn sehr gut kennt. "Und er wird unterschätzt, was Jähzorn und Ehrgeiz angeht."

"Der Kurt war ein Streber. Der wollte immer der Beste sein. Wurde aber nur der Zweitbeste, weil ich der Beste war", sagt sein Schulfreund Alfons Schwöbel. Herr Schwöbel ist sogar ein bisschen mit dem Kurt verwandt. Alle Steinfelder sind irgendwie ein bisschen verwandt miteinander, aber die Großväter von Alfons und Kurt waren immerhin Brüder. Und so sind sie miteinander aufgewachsen. Haben im Bienwald Heidelbeeren gesammelt und sie für 15 Pfennig das Pfund am Waldrand verkauft. Der Kurt hat es "gehasst", sein Kreuz schmerzte, "die Schnaken quälten uns". Später sind sie manchmal in die Nachbardörfer gefahren und haben sich dort zu viert ein Bier geteilt und zu Schlagern und den Rolling Stones getanzt. Der Kurt und seine Rosi waren immer die wildesten Tänzer. Auf jedem Fest, am liebsten durchgängig von Freitag bis Sonntag, haben die beiden durchgeschwoft. Da war die harte Zeit schon lang vorbei - die Zeit der Hänseleien und bösen Witze. Die Zeit, als die anderen Jungs nicht wollten, dass der Kurt mit ihnen als Messdiener vor dem Altar stand.

"Als kleine Jungs hatten wir es beide hart. Der Kurt wegen dem Schorf und ich wegen dem Sprachfehler", sagt Herr Schwöbel heute. "Wegen dem Schorf", damit meint er die Hautkrankheit, unter der Kurt Beck als Junge litt. Er war mit Kaiserschnitt zur Welt gekommen, der Strom im Krankenhaus fiel aus, seine Mutter und er schwebten in Lebensgefahr; der Säugling kriegte Medikamente, die seine Haut schwer schädigten. Bis in die Pubertät war sie belegt mit schorfigen Placken, er hatte keine Wimpern, keine Augenbrauen. Einige Male musste ihm die Gesichtsoberhaut abgezogen werden.

"Kinder können sehr hart sein", sagt Kurt Beck heute. "Der Kurt und ich mussten uns immer mal wehre. Geschadet hat das aber nicht", sagt Alfons Schwöbel heute.

Es gibt nur ein Thema bei ihrem Kurt, zu dem wollen die Leute von Steinfeld am liebsten gar nichts sagen: zum Ehepaar Beck. Damals, vor etwa einem Vierteljahrhundert, als Roswitha mit dem kleinen Stefan nach Bad Bergzabern zog, da wurde viel gemunkelt im Dorf. Dass die Roswitha einen jüngeren Mann brauche; dass sich der Kurt wegen der Politik zu wenig um sie kümmere. Die Steinfelder sind katholisch. In jedem Zimmer ein Kreuz. In jedem Regal die Bibel. Die meisten wählten brav CDU, bis Beck für die SPD antrat. Wenn die Steinfelder ihren Kurt und seine Roswitha zusammen sehen, wenn auch nur im Fernsehen am Wahlsonntag oder beim Papst auf dem Foto in der Zeitung, dann sind sie erleichtert. Dann sagen sie: "Siehste, auf den Kurt ist eben doch Verlass."

Eigentlich gibt es zwei Kurt Becks. Der äußere wirkt immer so gemütlich, so bodenständig, so jovial. Der innere entscheidet zügig und bockelhart. Wenn's nicht läuft, wie er sich das vorstellt, wird er zum Rumpelstilz. Beck sei "ein Temperamentsbolzen", sagt seine Landsfrau Andrea Nahles, "ein Rheinland-Pfälzer halt". Die Sprecherin der SPD-Linken hat ihn auch schon mal bewundernd einen "Buddha mit Sprengsatz" genannt. Wer Matthias Platzeck also schlaffe Führung ankreidete, wird sich bald freuen können - oder sich nach ihm zurücksehnen.

Beck fackelt nicht lange. Seinem Diktat, den Magdeburger Jens Bullerjahn zum SPD-Vize zu küren, hatten sich alle zu beugen, Bullerjahn inklusive. Klaus Wowereit hätte parat gestanden. Aber der Berliner Bürgermeister steht und plädiert für "Rot-Rot", so einen will Beck nicht als Stellvertreter. Seinem neuen Justizminister in Mainz ließ er eine Stunde Bedenkzeit, das Angebot anzunehmen. "Die Leute wollen keine Selbsterfahrungsgruppen in Regierungsverantwortung, sie wollen wissen, wo sie dran sind", lautet Becks Ansage. Natürlich müssen Parteien diskutieren, "aber am Ende muss es auch Entscheidungen geben, die akzeptiert werden". Da ist Beck eng bei Müntefering.

Ansonsten sind sich die beiden zwar inhaltlich eher nah, persönlich aber herzlich fremd. Hier der Sauerländer Stoiker, der umso mehr schweigt, je ernster die Lage wird; da der Pfälzer Brausekopp, der explodiert, wenn er sich missverstanden fühlt. Vizekanzler und Parteichef leben in Parallelwelten, trotz ähnlicher Lebensläufe. Immerhin, anders als Platzeck sieht Müntefering Beck "auf Augenhöhe": gleiches Kaliber, stur wie er. Die Zahl einsamer oder zweisamer Entscheidungen an der Regierungsspitze dürfte abnehmen. "Die SPD", sagt Andrea Nahles, "bringt jetzt mehr Gewicht auf die Waage" - und damit womöglich die Große Koalition aus der mühsam gehaltenen Balance.

Seinen Machtanspruch hat Beck bereits formuliert, nett verpackt, aber klar: Die Partei gibt den Ton vor, verlangt der Vorsitzende, und er erwartet, dass dieser Ton auch einigermaßen sicher nachgespielt wird in Koalition und Fraktion. Das ist nicht nur eine Ansage an Müntefering, sondern auch an die Kanzlerin. Denn für Beck gilt, jenseits von Rheinland-Pfalz jedenfalls: Regierung wird nicht nur in der Regierung gemacht. "Koalitionsrunden sind Parteirunden", sagt er, "denn den Koalitionsvertrag haben Parteien abgeschlossen." Gesundheit, Unternehmensteuer, Föderalismus - diese und andere Reformen werde der Parteivorsitzende deshalb "natürlich massiv und aktiv begleiten".

Er sagt das freundlich lächelnd. Aber es klingt wie eine Drohung. Man weiß nur noch nicht, gegen wen.

print
von Andreas Hoidn-Borchers und Franziska Reich