Die Spannung, die in der Luft liegt, ist außerordentlich. Am Sonntag werden drei Landtage gewählt - in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Insgesamt 13,5 Millionen Wahlberechtigte sind aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Und es sind die ersten Landtagswahlen, seit das Land intensiv über die Flüchtlingsfrage diskutiert. Alles deutet darauf hin, dass wir am Montag in einer politisch veränderten Republik aufwachen werden. Sechs Thesen.
Die AfD gewinnt - der Diskurs kippt weiter nach rechts
Den Umfragen zufolge wird die AfD überall satte Gewinne einfahren. In Rheinland-Pfalz wird sie auf 9 Prozent geschätzt, in Baden-Württemberg auf 11, in Sachsen-Anhalt sogar auf 18 Prozent. Das beutet: Die Debatte um die Flüchtlingsfrage wird sich noch einmal deutlich verschärfen. Die AfD wird kampagnenfähiger sein als zuvor, weil sie die Finanzen dafür haben wird: Anspruch auf staatliche Wahlkampfkostenerstattung, Parteienfinanzierung und Fraktionsgelder. Zugleich werden ihre Funktionäre breiteren Raum in den Medien einnehmen, sie werden nicht mehr außerparlamentarische Opposition sein, sondern ein offizieller Faktor des politischen Lebens. Da aller Wahrscheinlichkeit nach Spitzenkandidat André Poggenburg aus Sachsen-Anhalt der größte Abräumer sein wird, dürfte sich der hart rechte Flügel der Partei gestärkt fühlen: Poggenburg ist eng mit Björn Höcke verbunden, der schon mal vom "afrikanischen Ausbreitungstyp" faselt.

Die Spaltung der Union wird tiefer
Derzeit haben CDU und CSU keine personelle Alternative zu Kanzlerin Angela Merkel. Sie wird im Amt bleiben, gleichgültig, wie die Landtagswahlen ausgehen. Aber: Sollte die CDU nicht nur in Baden-Württemberg sondern auch in Rheinland-Pfalz verlieren, wird die Unruhe in der Partei noch größer - weil Angela Merkels Kritker von einem Misstrauensvotum gegen ihre Flüchtlingspolitik sprechen werden. Umgekehrt wird Merkels Lager darauf verweisen, dass die beiden Spitzenkandidaten Julia Klöckner und Guido Wolf versucht hatten, sich von der Linie der Kanzlerin abzusetzen - und dafür nun die Quittung bekämen. Ganz falsch ist weder die eine noch die andere Interpretation. Das Resultat ist jedoch dasselbe: eine vertiefte Spaltung der Union.
Malu Dreyer muss Sigmar Gabriel retten
Der SPD-Vorsitzende hat keinen guten Lauf. Auf dem Berliner Parteitag im vergangenen Jahr wurde er mit nur 74,3 Prozent der Stimmen wiedergewählt. In der Flüchtlingspolitik hat er seiner Partei kein klares Profil geben können - die SPD unterstützt einerseits die Kanzlerin, andererseits glaubt Gabriel, auch die Ängste des "kleinen Mannes" vor Flüchtlingen artikulieren zu müssen. Gabriel kann nur darauf hoffen, dass Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz gewinnt und Ministerpräsidentin bleibt. Dann hätte die SPD am Sonntag zumindest einen Sieg zu verbuchen - die Niederlagen in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg sind schon eingepreist. Gelingt die Operation Dreyer nicht, wird die alte Frage wieder Raum greifen, ob Gabriel noch der richtige Vorsitzende und Kanzlerkandidat seiner Partei ist. Andererseits: Es ist niemand zu sehen, der ihn freiwillig in diesen Rollen ablösen wollte. Allein die Debatte darüber würde der SPD jedoch schwer schaden.
Winfried Kretschmann bleibt ein Solitär der Grünen
Wer sich mit Schwaben unterhält, traut bisweilen seinen Ohren nicht: Die Zuneigung, ja Bewunderung für Ministerpräsident Winfried Kretschmann kennt keine Grenzen. Selbst CDU-Anhänger würden es gerne sehen, wenn er im Amt bliebe. Den Umfragen zufolge hat er gute Chancen: Die Grünen stehen aktuell bei 32 Prozent, die CDU bei 29 Prozent. Kretschmann kann von sich behaupten, eine Volkspartei zu führen - und das in einer ehemals tiefschwarzen Bastion. Aber das ist und bleibt sein persönlicher Erfolg. Sowohl in Sachsen-Anhalt als auch in Rheinland-Pfalz müssen die Grünen vor der Fünf-Prozent-Hürde zittern. Hätten sie bessere Chancen, wenn sie das Modell Kretschmann kopieren und sich ein eher konservatives, mittiges Profil zulegen würden? Kaum. Die grüne Basis tickt aus Tradition links-alternativ. Kretschmann bleibt ein Sonderfall.
Manchmal geht nur noch ein Dreier-Bündnis
Den Begriff "Jamaika-Koaltion" hat vielleicht der ein oder andere schon gehört, weil ein solches Bündnis aus CDU, FDP und Grünen mal im Saarland existierte. Jetzt wird auch über die "Deutschland-Koalition" geredet: CDU, SPD und FDP. Oder über die "Kenia-Koalition": CDU, SPD und Grüne. Solche Dreier-Bündnisse sind in Deutschland ungewohnt, werden aber vielleicht nötig, um eine Regierungsmehrheit herzustellen. Das ist das Ergebnis einer schon länger laufenden Entwicklung: Die großen Volksparteien SPD und CDU verlieren Bindekraft. Der alte Satz "Wenn nichts mehr geht, geht immer noch eine Große Koalition" stimmt nicht mehr. In Sachsen-Anhalt kommen CDU und SPD gemeinsam auf 46 Prozent. In Baden-Württemberg sind es laut Umfragen 43 Prozent. Zugleich werden die kleinen Parteien stärker. Die FDP hat sich wieder stabilisiert und gute Chancen, in die Landtage einzuziehen. Hinzu kommen AfD, Grüne und Linke. Wir werden Parlamente mit fünf bis sechs Parteien erleben. Womöglich auch auf Bundesebene. Das zahlt insbesondere auf die FDP ein - sie könnte wieder ihre gelernte Rolle vom "Zünglein an der Waage" spielen.
Die Nichtwähler schwächen die Demokratie
Die Grafiken zeigen es: Die größte Partei bei den Landtagswahlen 2011 war sowohl in Rheinland-Pfalz als auch in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt die Partei der Nichtwähler. Ändert sich das jetzt, weil die Flüchtlingsfrage die Menschen so sehr bewegt?Wenn die Kommunalwahl in Hessen am vergangenen Sonntag ein Indiz dafür sein kann, lautet die Antwort: nein. Sehr, sehr viele Menschen, in Hessen waren es über die Hälfte der Wahlberechtigten, machen von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch. Forsa-Chef Manfred Güllner nennt sie "Wähler auf Urlaub" - gemeint sind Menschen, die zwar wählen wollen, aber unzufrieden sind und sich von keiner Partei repräsentiert fühlen. Dieser Zustand jedoch führt zu einer fortgesetzten Aushöhlung der Demokratie. Kaum eine Landesregierung kann mehr von sich sagen, sie spreche für die Mehrheit des Volkes.Diese Entfremdung von Politik und Bürgern ist beängstigend - ein wenig mehr Mut zu Formen der direkten Demokratie, also Volksabstimmungen, könnte vielleicht helfen, wieder besser ins Gespräch zu kommen.