Luftangriff in Kundus Die KSK und Guttenbergs Salamitaktik

Die KSK war offenbar in das Bombardement von Kundus verwickelt. Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripour spricht im stern.de-Interview über die Bomben-Nacht, Oberst Klein und Verteidungsminister Guttenberg.

Menschen, die Oberst Georg Klein kennen, beschreiben ihn als umsichtig und besonnen. Welche Erklärung haben Sie dafür, dass er plötzlich einen derart martialischen Einsatz befahl wie den Luftangriff bei Kundus?
Ich kenne die Chronologie der Ereignisse aus dem Isaf-Bericht. Und wenn man das liest, bekommt man Schweißausbrüche. Er hat unter einem unglaublichen Druck und Stress gestanden. Ich möchte niemandem eine solche Überforderungssituation wünschen. Deswegen geht es auch weiterhin nicht darum, dass man den Stab über Oberst Klein bricht. Sondern die Fehler in der Operationsführung aufarbeitet.

Welche sind das konkret?
Die Aufklärung vorab, die Sicherung des Einsatzortes hinterher, die Befehlskette, und die Frage, ob dieser Einsatz mit den Regularieren überhaupt vereinbar war.

Welche Rolle spielte das Kommando Spezialkräfte (KSK) in der Nacht vom 4. September?
Sie wissen, dass ich darüber nicht reden darf. Mein bisheriger Eindruck war, dass das Verteidigungsministerium die Obleute im Verteidigungsausschuss in diesem Punkt - aber auch nur in diesem Punkt - hinreichend informiert hatte.

Wenn Oberst Klein, wie die "Bild" schreibt, tatsächlich von fünf KSK-Mitgliedern informiert und beraten wurde - wurde ihm vielleicht ein Szenario nahegelegt, das eine Bombardierung zwingend erscheinen ließ?
Wenn das so war, dann muss man fragen, wie der Stab von Klein zusammengestellt worden ist. Ich bin auch nicht sicher, ob es so war, wie die "Bild" schreibt. Aber es ergibt sich auch noch eine andere Frage: Dem Artikel zufolge wurde das KSK-Protokoll der Nacht nicht an die Nato-Partner weitergegeben. Warum?

Könnte die KSK die Rolle des "Scharfmachers" gespielt haben - weil sie auf die Bekämpfung von Taliban fixiert ist?
Das ist der Eindruck, den die Publikationen vermitteln. Ich kann das derzeit weder bestätigen noch dementieren.

War demnach die zunächst gegebene Einsatz-Begründung, dass die gekaperten Tanklastzüge eine potentielle Bedrohung des deutschen Lagers in Kundus gewesen seien, nur ein vorgeschobenes Argument?
Das ist eine der zentralen Fragen, die im Untersuchungsausschuss zu klären sind. Alle Antworten, die wir bisher hatten, sind offenkundig nicht mehr brauchbar. Ich habe eine Liste mit Fragen zusammengestellt - zahlenmäßig bin ich bisher im oberen dreistelligen Bereich.

Sollte es vornehmlich eine Jagd auf Taliban gewesen sein - ist ihnen bekannt, welchen Rang die Getöteten hatten? Waren das potentielle beziehungsweise bedeutende Terroristen?
Wie ich schon sagte: Der Einsatzort wurde viel zu spät gesichert. Es ist nicht mehr genau nachvollziehbar, wer wo und wann war. Aber so oder so: Es ging niemals, in keiner Erklärung der deutschen Politik darum, die physische Vernichtung der Taliban zum obersten Ziel zu erklären. Und wenn das die neue politische Linie ist, dann ist sie definitiv falsch.

Ist es überhaupt wahrscheinlich, dass sich Taliban nachts um 2 Uhr rund um die Tanklastzüge versammeln? Ist es nicht wahrscheinlicher, dass es Zivilisten waren, die Benzin klauen wollten?
Das war in der Sekunde des Geschehens natürlich sehr schwer zu beantworten. Es gibt auch Leute, die sagen: Was wollen denn Zivilisten mitten im Fastenmonat Ramadan nachts um 2 Uhr auf einer Sandbank?

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Ist die Tatsache, dass sich das Verteidigungsministerium immer hinter Oberst Klein gestellt hat, eventuell dem Wissen geschuldet, dass er unter dem Einfluss der KSK stand?
Das ist eine spannende Frage. Aber: Es geht im Untersuchungsausschuss nicht primär um Klein. Er muss sich einem Strafverfahren stellen, das reicht. Wir wollen wissen: Was ist passiert, wie gingen die politisch Verantwortlichen damit um und was ist zu tun, um solche Desaster künftig zu vermeiden?

Hat die Regierung bisher dem Verteidigungsausschuss, dem Parlament und der Öffentlichkeit bewusst Informationen vorenthalten?
Bei Ex-Verteidigungsminister Franz-Josef Jung wissen wir das - sonst wäre er nicht gegangen.

Und bei seinem Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg?
Guttenberg, der einstige Mr. Klartext, hat anscheinend eine riesige Salami in der Hand, die er scheibchenweise serviert.

Omid Nouripour

ist sicherheitspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag und Obmann im Verteidigungsausschuss. Der gebürtige Iraner kam mit 13 Jahren nach Frankfurt, 1997 trat er in den hessischen Landesverband der Grünen ein. Mehr unter www.nouripour.de

Lutz Kinkel